Glossar der Astronomie
Spektrum
Stellen Sie sich vor, Sie blicken in eine unvorstellbar ferne Welt, in der das Spektrum eine zentrale Rolle spielt – das ist die Magie dieses Phänomens. Aber was genau ist dieses Spektrum, von dem hier die Rede ist? Und warum ist es so wichtig für unser Verständnis des Universums? Nun, das Spektrum, genauer gesagt das elektromagnetische Spektrum, ist im Grunde genommen eine Darstellung der verschiedenen Arten von Licht, die existieren. Ja, richtig gehört, Licht ist nicht gleich Licht! Was wir mit unseren Augen als sichtbares Licht wahrnehmen, ist nur ein winziger Ausschnitt aus einem viel breiteren Spektrum an Strahlung, das sich über einen riesigen Wellenlängenbereich erstreckt.
Das Spektrum umfasst alles von den energiearmen Radiowellen, die wir für die Kommunikation nutzen, über die Mikrowellen, die unsere Speisen erwärmen, das Infrarotlicht, das wir als Wärme spüren, das sichtbare Licht, das unsere Welt in Farben taucht, das ultraviolette Licht, das uns im Sommer einen Sonnenbrand beschert, bis hin zu den energiereichen Röntgenstrahlen und Gammastrahlen, die in medizinischen Anwendungen und in der Astrophysik eine wichtige Rolle spielen. All diese verschiedenen Arten von Strahlung sind im Grunde genommen ein und dasselbe Phänomen: elektromagnetische Wellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, aber unterschiedliche Wellenlängen und damit unterschiedliche Energien besitzen.
Die Geschichte der Erforschung des Spektrums ist eine Geschichte der schrittweisen Erweiterung unseres Horizonts. Lange Zeit war den Menschen nur das sichtbare Licht bekannt. Erst im 19. Jahrhundert entdeckten Wissenschaftler wie William Herschel und Johann Wilhelm Ritter, dass es auch jenseits des sichtbaren Bereichs noch Strahlung gibt, die wir zwar nicht sehen, aber mit geeigneten Instrumenten nachweisen können. Herschel entdeckte die Infrarotstrahlung, indem er die Temperatur in verschiedenen Bereichen des durch ein Prisma zerlegten Sonnenlichts maß und feststellte, dass jenseits des roten Endes des sichtbaren Spektrums die Temperatur anstieg. Ritter hingegen entdeckte die ultraviolette Strahlung, indem er die lichtempfindliche Substanz Silberchlorid verschiedenen Bereichen des Spektrums aussetzte und beobachtete, dass sie sich jenseits des violetten Endes am schnellsten verfärbte. Diese Entdeckungen waren der Beginn einer wahren Revolution in unserem Verständnis des Lichts und des Universums.
Doch wie hilft uns das Spektrum, die Geheimnisse des Kosmos zu entschlüsseln? Die Antwort liegt in der Spektroskopie, einer Technik, die es ermöglicht, das Licht von Himmelskörpern in seine Bestandteile zu zerlegen und daraus Informationen über ihre chemische Zusammensetzung, Temperatur, Bewegung und andere Eigenschaften abzuleiten. Jeder Stoff, ob fest, flüssig oder gasförmig, sendet oder absorbiert Licht bei ganz bestimmten Wellenlängen, die für ihn charakteristisch sind. Das ergibt das typische Spektrum dieses Stoffes. Die Spektren von Sternen zeigen dunkle Linien an bestimmten Wellenlängen, sogenannte Absorptionslinien. Diese Linien entstehen, wenn das Licht des Sterns auf dem Weg zu uns durch kühlere Gase in der Sternatmosphäre oder im interstellaren Raum hindurchgeht und dabei bestimmte Wellenlängen absorbiert werden. Aus der Position und Stärke dieser Linien können Astronomen die chemische Zusammensetzung, die Temperatur und den Druck in der Sternatmosphäre bestimmen.
Die Spektroskopie ist also wie ein Fingerabdruck, der uns verrät, aus welchen Stoffen ein Himmelskörper besteht. Aber sie kann noch mehr: Sie ermöglicht es uns auch, die Bewegung von Himmelskörpern zu messen. Das geschieht mithilfe des Doppler-Effekts, der besagt, dass sich die Wellenlänge des Lichts verändert, wenn sich die Lichtquelle auf uns zu oder von uns weg bewegt. Bewegt sich ein Stern auf uns zu, so wird sein Licht zu kürzeren Wellenlängen, also in den blauen Bereich des Spektrums, verschoben (Blauverschiebung). Bewegt er sich von uns weg, so wird sein Licht zu längeren Wellenlängen, also in den roten Bereich des Spektrums, verschoben (Rotverschiebung). Aus dem Ausmaß dieser Verschiebung können Astronomen die Geschwindigkeit des Sterns entlang unserer Sichtlinie berechnen.
Die Anwendung der Spektroskopie hat unser Bild des Universums grundlegend verändert. Sie hat uns gezeigt, dass die Sterne aus denselben Elementen bestehen wie die Erde, dass sich das Universum ausdehnt und dass es eine Vielzahl von Himmelskörpern gibt, die Strahlung in den unterschiedlichsten Bereichen des elektromagnetischen Spektrums aussenden. So haben Astronomen mithilfe der Radioteleskope riesige Gaswolken und die Überreste explodierter Sterne entdeckt, mit Infrarotteleskopen können sie die Geburt neuer Sterne in dichten Staubwolken beobachten und mit Röntgenteleskopen die extrem heißen und energiereichen Prozesse in der Umgebung von Schwarzen Löchern und Neutronensternen untersuchen.
Die Spektroskopie ist jedoch nicht auf die Astronomie beschränkt. Sie findet auch in vielen anderen Bereichen Anwendung, beispielsweise in der Chemie, der Medizin, der Materialwissenschaft und der Umweltforschung. So können Chemiker mithilfe der Spektroskopie die Zusammensetzung von Stoffen analysieren, Ärzte können Gewebeproben auf Krankheitsanzeichen untersuchen und Umweltforscher können die Luft- und Wasserqualität überwachen.
Ein besonders faszinierender Aspekt des Spektrums ist die Tatsache, dass wir mit unseren Augen nur einen winzigen Ausschnitt davon wahrnehmen können. Unsere Augen sind nur für einen sehr engen Bereich von Wellenlängen empfindlich, den wir als sichtbares Licht bezeichnen. Jenseits dieses Bereichs sind wir blind. Doch dank der technischen Entwicklung der letzten Jahrhunderte haben wir gelernt, diese unsichtbaren Bereiche des Spektrums zu "sehen", indem wir Instrumente gebaut haben, die Strahlung in diesen Bereichen detektieren und in für uns wahrnehmbare Signale umwandeln können.
Bleibt die Frage: Gibt es vielleicht noch andere Bereiche des elektromagnetischen Spektrums, die wir bisher noch gar nicht kennen, weil uns die technischen Mittel fehlen, um sie nachzuweisen? Oder haben wir bereits das gesamte Spektrum entdeckt und müssen "nur" noch lernen, es vollständig zu verstehen?





























