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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Überidentifizierung

Überidentifizierung bezeichnet einen psychologischen Prozess, bei dem ein Individuum in einem übermäßigen Maße mit einer anderen Person, einer Gruppe oder einer bestimmten Rolle verschmilzt, sodass die eigene Identität weitgehend von dieser übernommen wird. In diesem Zustand wird die eigene Persönlichkeit oder das eigene Verhalten so stark mit der übernommenen Identität in Verbindung gebracht, dass Grenzen zwischen dem Selbst und dem anderen verwischen. Überidentifizierung kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden eines Menschen haben, je nach dem Kontext, in dem sie auftritt, und der Art und Weise, wie sie die persönliche Entwicklung beeinflusst.

In vielen Fällen ist Überidentifizierung ein bewusster oder unbewusster Versuch, Zugehörigkeit oder Sicherheit zu finden, insbesondere in schwierigen oder unsicheren Lebensphasen. Beispielsweise kann eine Person, die sich mit einer bestimmten Gruppe, etwa einer religiösen oder politischen Gemeinschaft, identifiziert, dies tun, um ein stärkeres Gefühl der Zugehörigkeit und Identität zu entwickeln. Eine ähnliche Überidentifikation kann auch in zwischenmenschlichen Beziehungen auftreten, beispielsweise wenn jemand sich in einer romantischen Beziehung oder Freundschaft so stark mit dem Partner oder der Freundin identifiziert, dass er oder sie deren Werte, Meinungen und Interessen übernimmt, ohne die eigene Perspektive zu wahren.

In der Psychotherapie und der psychodynamischen Theorie wird Überidentifizierung häufig als eine Reaktion auf ungelöste innere Konflikte oder als eine Art von Abwehrmechanismus verstanden. Sie kann auftreten, wenn eine Person mit bestimmten Ängsten, Unsicherheiten oder traumatischen Erfahrungen konfrontiert ist und daher unbewusst versucht, die Identität eines anderen zu übernehmen, um mit diesen Herausforderungen besser zurechtzukommen. Ein Beispiel dafür könnte das Überidentifizieren eines Kindes mit einem Elternteil sein, bei dem das Kind versucht, die Charakterzüge, Verhaltensweisen und Überzeugungen des Elternteils zu übernehmen, um das Gefühl von Geborgenheit oder Zustimmung zu erlangen.

Ein klassisches Beispiel für Überidentifikation ist die Rollenübernahme im Kontext von Familienstrukturen oder zwischenmenschlichen Beziehungen. In Familien, in denen ein Elternteil sehr dominierend oder kontrollierend ist, kann ein Kind beginnen, sich in einem Maße mit diesem Elternteil zu identifizieren, dass es dessen Verhaltensweisen, Meinungen und Emotionen übernimmt. Auf diese Weise könnte das Kind Schwierigkeiten haben, eine eigene Identität zu entwickeln und sich unabhängig von der Elternfigur zu definieren.

Überidentifizierung ist auch ein Thema, das in sozialen und kulturellen Kontexten untersucht wird, insbesondere in Bezug auf Gruppenzugehörigkeit und die Konstruktion sozialer Identitäten. Individuen, die sich stark mit einer bestimmten sozialen oder politischen Gruppe identifizieren, können dazu neigen, sich in einem Maße mit dieser Gruppe zu verschmelzen, dass sie die Vielfalt individueller Perspektiven und Meinungen innerhalb dieser Gruppe nicht mehr wahrnehmen. In extremen Fällen kann Überidentifikation zu Polarisierung oder extremen Ansichten führen, die das kritische Denken und die Fähigkeit zur offenen Diskussion beeinträchtigen.

Die Auswirkungen der Überidentifizierung können sowohl positive als auch negative Folgen haben. Auf der positiven Seite kann sie das Gefühl der Zugehörigkeit und des sozialen Zusammenhalts stärken und das Selbstbewusstsein in einem unterstützenden Kontext fördern. Auf der negativen Seite kann eine übermäßige Identifikation mit einem anderen oder einer anderen Gruppe jedoch zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung führen, die die Entwicklung der eigenen Identität behindert. Überidentifizierung kann dazu führen, dass eine Person ihre eigenen Bedürfnisse, Werte und Wünsche unterdrückt, weil sie sich zu stark an den Erwartungen und Zielen der anderen orientiert. Dies kann zu einer verringerten emotionalen Autonomie und zu inneren Konflikten führen.

In therapeutischen Kontexten wird Überidentifizierung oft als ein Thema behandelt, das in der Psychotherapie angesprochen werden muss, um das Gleichgewicht zwischen individueller Identität und sozialer Integration zu finden. In der Psychodynamischen Therapie beispielsweise wird der Klient dazu ermutigt, zu erkennen, wann er oder sie übermäßig mit anderen Personen oder Rollen identifiziert ist, und zu lernen, eine gesunde Balance zwischen dem Selbst und anderen zu entwickeln. Hierbei wird das Ziel verfolgt, den Klienten zu unterstützen, die eigene Identität zu stärken und die Fähigkeit zur Abgrenzung zu fördern.

Insgesamt ist Überidentifizierung ein psychologischer Prozess, der tiefgehende Auswirkungen auf das Selbstbild und die persönliche Entwicklung haben kann. Sie tritt oft in Übergangsphasen im Leben auf, wenn ein Individuum auf der Suche nach Klarheit oder Zugehörigkeit ist. Die Herausforderung besteht darin, ein gesundes Maß an Identifikation mit anderen zu bewahren, während gleichzeitig die eigene Identität und Autonomie nicht verloren gehen.

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