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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Überschätzung

Überschätzung bezeichnet in der Psychologie den Prozess, bei dem eine Person ihre eigenen Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten oder auch ihre Kontrolle über eine Situation als größer oder effektiver wahrnimmt, als sie tatsächlich sind. Diese kognitive Verzerrung führt dazu, dass das Individuum seine eigenen Stärken oder Ressourcen überbewertet, was oft zu unrealistischen Erwartungen an sich selbst und an andere führt. Überschätzung kann in verschiedenen Bereichen des Lebens auftreten, darunter im beruflichen Umfeld, in persönlichen Beziehungen oder im sozialen und emotionalen Kontext.

Ein klassisches Beispiel für Überschätzung ist die Selbstüberschätzung. Menschen, die zu dieser Art der Verzerrung neigen, überschätzen oft ihre Fähigkeiten oder die Qualität ihrer Entscheidungen. Dies kann sich in Bereichen wie der Karriere, im sozialen Umgang oder in der Einschätzung von persönlichen Kompetenzen äußern. Ein übermäßig selbstbewusster Mensch kann beispielsweise davon ausgehen, dass er eine Aufgabe leichter bewältigen kann, als es tatsächlich der Fall ist, oder er könnte glauben, dass er in einer komplexen Situation die Kontrolle hat, obwohl dies nicht zutrifft. Diese falsche Einschätzung kann zu Misserfolgen, Enttäuschungen oder auch zu gefährlichen Handlungen führen, wenn Risiken unterschätzt oder übersehene Probleme ignoriert werden.

Überschätzung kann auch das Ergebnis von kognitiven Verzerrungen sein, wie sie in der Verhaltensforschung und in der Kognitiven Psychologie beschrieben werden. Eine der bekanntesten Verzerrungen, die zur Überschätzung führen kann, ist die Illusion der Kontrolle. Hierbei nehmen Menschen an, dass sie in einer Situation mehr Einfluss haben, als es tatsächlich der Fall ist. Ein Beispiel für diese Verzerrung ist, wenn jemand glaubt, er könne den Ausgang eines zufälligen Ereignisses (wie etwa ein Glücksspiel oder ein Wetterphänomen) durch sein eigenes Handeln beeinflussen. Diese Überschätzung der eigenen Fähigkeiten oder Kontrolle kann zu Fehlentscheidungen und riskanten Verhaltensweisen führen.

Im sozialen Kontext ist Überschätzung ebenfalls weit verbreitet. Menschen neigen oft dazu, ihre sozialen Fähigkeiten oder die Wahrnehmung anderer von sich selbst zu überschätzen. Sie glauben möglicherweise, dass sie besser in der Lage sind, mit anderen zu interagieren, Konflikte zu lösen oder ihre Wirkung auf andere zu beeinflussen, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Diese Form der Überschätzung kann zu Missverständnissen in Beziehungen führen, da das Individuum die Reaktionen oder Bedürfnisse der anderen nicht richtig einschätzt. Diese Diskrepanz zwischen der eigenen Wahrnehmung und der Realität kann insbesondere in professionellen oder romantischen Beziehungen problematisch sein, wenn falsche Annahmen zu Enttäuschungen oder Konflikten führen.

In der Sozialpsychologie gibt es das Konzept der Dunning-Kruger-Effekts, das beschreibt, dass Menschen mit geringen Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich oft dazu neigen, ihre Fähigkeiten überschätzen, da sie nicht die nötige Kompetenz haben, um ihre eigenen Defizite zu erkennen. Auf der anderen Seite neigen hochkompetente Personen dazu, ihre Fähigkeiten als weniger außergewöhnlich wahrzunehmen, da sie sich der Komplexität und Tiefe ihres Wissens bewusst sind. Dieser Effekt zeigt, dass Überschätzung besonders häufig in Bereichen auftritt, in denen mangelnde Kompetenz vorliegt und die Betroffenen ihre Unzulänglichkeiten nicht erkennen können.

Überschätzung kann auch als eine Form des Selbstschutzes dienen. Menschen, die in ihrer Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht haben oder eine geringe Selbstachtung haben, könnten sich durch Überschätzung ihrer Fähigkeiten vor den Ängsten oder Zweifeln schützen, die sie in bestimmten Situationen empfinden. Sie versuchen vielleicht, durch eine übermäßige Darstellung ihrer Fähigkeiten das eigene Selbstbild zu stabilisieren und sich vor der Möglichkeit der Ablehnung oder des Scheiterns zu schützen. Diese Art der Überschätzung kann kurzfristig das Selbstwertgefühl stärken, führt jedoch langfristig zu Enttäuschungen, wenn die Realität mit den überhöhten Erwartungen nicht übereinstimmt.

Psychologisch betrachtet, kann Überschätzung als eine kognitive Verzerrung oder ein Fehler in der Selbstwahrnehmung angesehen werden. Sie ist oft mit Optimismus und Selbstvertrauen verbunden, kann aber auch negative Auswirkungen haben, wenn sie zu unrealistischen Zielen, gefährlichem Verhalten oder Misserfolgen führt. In der Therapie kann die Arbeit an der Selbstreflexion und der Selbsteinschätzung helfen, diese Verzerrung zu erkennen und die eigene Wahrnehmung realistischer zu gestalten. Besonders in der kognitiven Verhaltenstherapie wird versucht, den Klienten dabei zu unterstützen, ihre eigenen Überzeugungen und Wahrnehmungen zu hinterfragen und eine ausgewogenere Sichtweise zu entwickeln.

Ein weiteres Beispiel für Überschätzung tritt in der Gruppenpsychologie auf. In Gruppenkontexten kann es zu einer Art kollektiver Überschätzung kommen, bei der die Gruppe als Ganzes ihre Fähigkeit überschätzt, eine Aufgabe zu bewältigen oder ein Ziel zu erreichen. Dies kann zu Gruppenzwang oder Fehleinschätzungen führen, da die Mitglieder der Gruppe die Risiken oder Schwierigkeiten einer Situation nicht angemessen berücksichtigen, wenn sie sich durch die Gruppenzugehörigkeit gestützt fühlen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Überschätzung eine weit verbreitete kognitive Verzerrung ist, die dazu führt, dass Menschen ihre Fähigkeiten, Kenntnisse und Kontrolle über eine Situation überschätzen. Sie kann zu unrealistischen Erwartungen, Fehlentscheidungen und Konflikten führen. Das Erkennen und Überwinden von Überschätzung erfordert eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmung und eine objektive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und der tatsächlichen Herausforderungen, die in einer gegebenen Situation bestehen. Durch eine realistische Einschätzung und Selbstreflexion lässt sich die Gefahr von Fehleinschätzungen minimieren und eine ausgeglichene und gesunde Wahrnehmung von sich selbst und der Welt entwickeln.

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