top of page
Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung
Übersensibilität
Übersensibilität bezeichnet einen Zustand, in dem eine Person übermäßig oder unangemessen stark auf äußere Reize, Ereignisse oder zwischenmenschliche Interaktionen reagiert. Diese übersteigerte Sensibilität kann sich sowohl auf emotionale als auch auf sensorische Wahrnehmungen beziehen und führt häufig zu intensiven, manchmal auch übertriebenen Reaktionen auf Situationen, die von anderen Menschen als weniger belastend wahrgenommen werden. Übersensibilität kann in verschiedenen Kontexten auftreten und wird oft als eine Kombination aus erhöhter Empfindlichkeit und Schwierigkeiten bei der emotionalen Regulierung verstanden.
Emotional gesehen zeigt sich Übersensibilität oft in einer schnellen oder intensiven Reaktion auf Kritik, Ablehnung oder negative Rückmeldungen. Personen, die als übersensibel gelten, können sich schnell verletzt, beleidigt oder enttäuscht fühlen, selbst bei kleinen oder unbeabsichtigten Bemerkungen. Diese übermäßige emotionale Reaktion kann das Ergebnis von gesteigerter Empathie sein, bei der das Individuum die Gefühle anderer intensiv wahrnimmt und übernimmt, oder sie kann aus unsicheren Bindungsstilen und einer geringen emotionalen Resilienz hervorgehen. Solche Personen können auch Schwierigkeiten haben, konstruktive Kritik anzunehmen, da sie diese häufig als persönlichen Angriff erleben, anstatt sie als Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu betrachten.
In zwischenmenschlichen Beziehungen führt Übersensibilität häufig zu Missverständnissen. Die betroffene Person kann die Intentionen und Handlungen anderer übermäßig negativ interpretieren. So werden harmlose Bemerkungen oder Verhaltensweisen als ablehnend oder feindselig wahrgenommen, was zu unnötigen Konflikten oder Distanz führen kann. Dies kann insbesondere in sozialen, beruflichen oder familiären Beziehungen problematisch sein, da die Übersensibilität oft zu unnötigem Stress oder Kommunikationsbarrieren führt.
Übersensibilität ist jedoch nicht immer negativ oder dysfunktional. In manchen Fällen kann sie auch als eine Form von empathischer Sensibilität betrachtet werden, bei der die Person besonders gut in der Lage ist, die Gefühle anderer Menschen zu erkennen und zu verstehen. Diese Fähigkeit kann in bestimmten Berufen oder sozialen Kontexten von Vorteil sein, da sie es ermöglicht, mit anderen auf einer tiefen emotionalen Ebene zu interagieren. Dennoch kann eine übermäßige Ausprägung dieser Sensibilität zu emotionaler Erschöpfung führen, insbesondere wenn die Person ständig die negativen Emotionen und Bedürfnisse anderer in sich aufnimmt und nicht in der Lage ist, sich von diesen abzugrenzen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt von Übersensibilität ist ihre Verbindung zu Selbstwertproblemen und vergangenen traumatischen Erlebnissen. Personen, die in der Vergangenheit starke emotionale Belastungen erlebt haben, wie etwa durch Missbrauch, Vernachlässigung oder wiederholte Ablehnung, entwickeln oft eine erhöhte Sensibilität für negative Rückmeldungen oder abwertende Bemerkungen. Diese Erfahrung führt dazu, dass sie in der Gegenwart schnell emotional reagieren, da sie unbewusst frühere Verletzungen wiedererleben. In solchen Fällen kann Übersensibilität als eine Art Schutzmechanismus interpretiert werden, der darauf abzielt, sich vor erneuten Verletzungen zu schützen, aber auch dazu führt, dass die betroffene Person sich übermäßig auf potenzielle Gefahren oder Ablehnung fokussiert.
Psychologisch gesehen kann Übersensibilität auch durch hohe Ängstlichkeit oder neurotische Tendenzen bedingt sein. Menschen, die zur Neurotizismus-Dimension der Persönlichkeit neigen, haben eine höhere Anfälligkeit für negative Emotionen und sind häufiger von Gefühlen der Angst, Sorge oder Traurigkeit betroffen. Solche Menschen tendieren dazu, ihre Umgebung und ihre zwischenmenschlichen Interaktionen stärker zu überanalysieren, was dazu führen kann, dass sie auf jede noch so kleine negative Bemerkung oder jedes wahrgenommene negatives Ereignis überempfindlich reagieren. Diese ständige emotionale Alarmbereitschaft kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und das allgemeine Wohlbefinden der betroffenen Person mindern.
Ein weiterer Faktor, der zur Übersensibilität beiträgt, ist die kognitive Verzerrung. Diese betrifft insbesondere das Phänomen der Übertreibung, bei dem eine Person eine vermeintlich harmlose Bemerkung oder Handlung in übertrieben negativer Weise interpretiert. In solchen Fällen wird eine einmalige oder isolierte negative Erfahrung zu einem weitreichenden, allumfassenden Urteil über sich selbst oder andere verzerrt, was zu einer fortgesetzten emotionalen Überempfindlichkeit führt.
Therapeutisch betrachtet kann Übersensibilität durch verschiedene Ansätze adressiert werden. Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) ist eine weit verbreitete Methode, um kognitive Verzerrungen zu identifizieren und zu korrigieren, die zu übermäßigen emotionalen Reaktionen führen. In der CBT lernen die Betroffenen, ihre Wahrnehmung von Situationen realistischer zu gestalten und negative Denkmuster zu hinterfragen. Eine andere therapeutische Methode ist die Achtsamkeit-basierte Stressbewältigung, bei der die betroffene Person lernt, ihre Gedanken und Gefühle zu beobachten, ohne sich von ihnen überwältigen zu lassen. Hierbei wird versucht, eine ausgewogenere und weniger reaktive Haltung gegenüber den eigenen Emotionen zu entwickeln.
Insgesamt ist Übersensibilität ein komplexes psychologisches Phänomen, das sowohl Vorteile als auch Herausforderungen mit sich bringt. Auf der einen Seite können übersensible Menschen tiefgehende emotionale Einsichten und Empathie entwickeln, auf der anderen Seite führt eine übermäßige Sensibilität oft zu innerem Stress und zwischenmenschlichen Missverständnissen. Die psychologische Behandlung von Übersensibilität konzentriert sich daher darauf, den Betroffenen zu helfen, ihre emotionalen Reaktionen zu regulieren und ihre Wahrnehmungen realistischer und ausgewogener zu gestalten, ohne ihre empathischen Fähigkeiten zu verlieren.
Besuche auch unsere Blogartikel zum Thema Psychologie
bottom of page