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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Übersteigerung

Übersteigerung ist ein psychologischer Begriff, der eine Übertreibung oder ein übermäßiges Hochstilisieren von Gedanken, Gefühlen, Wahrnehmungen oder Verhalten beschreibt. Sie tritt auf, wenn eine Person eine Situation, ein Ereignis oder eine Eigenschaft in einer Art und Weise bewertet, die über das objektiv angemessene Maß hinausgeht. Dies kann sich auf die eigene Wahrnehmung, die Einschätzung von anderen oder auf das eigene Verhalten beziehen und führt oft zu einer Verzerrung der Realität. Übersteigerung kann in vielen Kontexten auftreten, von der Selbstwahrnehmung bis hin zu Zwischenmenschlichen Beziehungen und kognitiven Verzerrungen.

Ein klassisches Beispiel für Übersteigerung ist die kognitive Verzerrung, bei der eine Person ein Ereignis oder eine Situation extrem positiv oder negativ bewertet, ohne die Vielschichtigkeit der Realität zu berücksichtigen. So kann ein einmaliges Missgeschick als dauerhaftes Zeichen persönlicher Inkompetenz interpretiert werden, oder umgekehrt, ein kleiner Erfolg wird als umfassender Erfolg und Beweis für außergewöhnliche Fähigkeiten angesehen. Diese Art der Übersteigerung wird häufig durch eine hohe Sensibilität für negative oder positive Ergebnisse beeinflusst und führt dazu, dass die betroffene Person die Situation verzerrt wahrnimmt. Solche Übertreibungen können zu Angst und Depressionen führen, wenn die Person regelmäßig auf Misserfolge mit negativen Übersteigerungen reagiert.

Im Bereich der Selbstwahrnehmung kann Übersteigerung dazu führen, dass Individuen sich entweder als vollkommen unzulänglich oder als außergewöhnlich talentiert und überlegen ansehen, ohne auf eine ausgewogene, realistische Einschätzung ihrer Fähigkeiten zu achten. Menschen mit einer niedrigen Selbstachtung neigen oft dazu, ihre Fehler zu übertreiben und sich selbst negativ zu bewerten, während Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl ihre Erfolge überbewerten können, was zu einem verzerrten Bild von sich selbst führt. Beide extremen Wahrnehmungen können zu emotionalen und zwischenmenschlichen Problemen führen, da sie die objektive Realität verzerren und zu unnötigen Konflikten oder Enttäuschungen führen.

Übersteigerung kann sich auch in Form von Emotionaler Intensität äußern. Ein kleines Problem wird überbewertet, indem es zu einem existenziellen oder katastrophalen Ereignis hochstilisiert wird. Menschen, die zur Übersteigerung neigen, reagieren auf Stress oder Schwierigkeiten oft mit übermäßiger Angst, Wut oder Traurigkeit. Diese intensiven emotionalen Reaktionen können die Fähigkeit zur Problemlösung beeinträchtigen, da die Person in einer übertriebenen emotionalen Reaktion gefangen ist, anstatt rationale Lösungen zu finden. Ein solcher Zustand wird in der Psychotherapie häufig als emotionale Dysregulation bezeichnet, bei der die Intensität der Reaktion nicht im Verhältnis zur Situation steht.

Die Übersteigerung ist auch im sozialen Kontext von Bedeutung, insbesondere in zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine Person, die dazu neigt, Situationen überzubewerten, kann in einer Beziehung schnell zu Missverständnissen kommen, da sie negative Intentionen in Verhaltensweisen anderer hineinliest. Ein harmloser Kommentar oder ein kleines Versehen des Partners kann als schwerwiegender Vertrauensbruch wahrgenommen werden, was zu Konflikten und emotionalem Stress führt. Auf der anderen Seite kann eine Person, die ihre eigenen Erfolge überbewertet, als arrogant oder selbstzentriert wahrgenommen werden, was zu zwischenmenschlichen Spannungen führt.

Ein häufiges Beispiel für Übersteigerung tritt in der psychischen Gesundheit auf, insbesondere bei Angststörungen und Zwangsstörungen. Menschen mit einer Angststörung neigen dazu, potenzielle Gefahren zu übertreiben und haben oft die Vorstellung, dass die schlimmsten Szenarien eintreten werden, selbst bei geringfügigen Bedrohungen. Bei Zwangsstörungen kann die Übersteigerung der Bedeutung von kleinen Handlungen oder Gedanken zu zwanghaften Verhaltensweisen führen. In solchen Fällen kann die Person den Eindruck haben, dass das Übersehen einer kleinen Handlung (wie etwa das Nicht-Abschließen einer bestimmten Aufgabe) zu katastrophalen Folgen führen wird.

In der Kognitiven Verhaltenstherapie wird Übersteigerung als eine der kognitiven Verzerrungen betrachtet, die die Wahrnehmung und das Verhalten eines Individuums negativ beeinflussen können. Der therapeutische Ansatz zielt darauf ab, den Patienten zu helfen, diese übertriebenen Denkmuster zu erkennen und realistischere, ausgewogenere Perspektiven zu entwickeln. Hierbei wird der Klient unterstützt, seine Gedanken zu hinterfragen und alternative, weniger verzerrte Interpretationen zu entwickeln, um das Verhalten zu ändern und emotionales Gleichgewicht wiederherzustellen.

Ein weiteres Beispiel für Übersteigerung findet sich in der sozialen Wahrnehmung. Menschen neigen dazu, sowohl die positiven als auch die negativen Merkmale einer Person oder einer Situation überzubewerten. Eine einzelne freundliche Geste wird als Beweis für eine außergewöhnliche Beziehung oder tiefgehende Zuneigung gedeutet, während eine kritische Bemerkung als vollständige Ablehnung wahrgenommen wird. Diese Übertreibung kann zu einer verzerrten Wahrnehmung der sozialen Realität führen und das zwischenmenschliche Verständnis stören.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Übersteigerung ein psychologisches Phänomen ist, das in verschiedenen Formen und in unterschiedlichen Kontexten auftreten kann. Sie beeinflusst die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten, die Einschätzung von Beziehungen und die emotionale Reaktion auf Ereignisse. Während diese Übertreibungen auf den ersten Blick als einfache Reaktionen auf eine bestimmte Situation erscheinen mögen, können sie langfristig zu psychischen Belastungen, Konflikten und Missverständnissen führen. Die bewusste Auseinandersetzung mit übersteigerten Wahrnehmungen und die Entwicklung realistischerer Denkmuster sind wesentliche Schritte in der psychologischen Behandlung und im persönlichen Wachstum.

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