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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung
Ambivalenz
Ambivalenz beschreibt in der Psychologie das gleichzeitige Erleben widersprüchlicher Gefühle, Gedanken oder Wünsche gegenüber einer Person, Situation oder Entscheidung. Der Begriff leitet sich vom lateinischen „ambi“ (beide) und „valere“ (stark sein, wert sein) ab und beschreibt einen Zustand, in dem gegensätzliche Emotionen oder Bewertungen eine vergleichbare Stärke haben und sich gegenseitig beeinflussen. Ambivalenz ist ein alltägliches Phänomen, das in verschiedenen Lebensbereichen auftritt und sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das emotionale Erleben und die Entscheidungsfindung haben kann.
Ein klassisches Beispiel für Ambivalenz ist die Erfahrung, wenn eine Person sowohl Liebe als auch Hass für einen nahestehenden Menschen empfindet, beispielsweise für einen Partner, der wiederholt verletzendes Verhalten gezeigt hat. Ambivalente Gefühle führen oft zu inneren Spannungen und Unsicherheiten, da das Individuum hin- und hergerissen ist und sich weder klar für eine positive noch für eine negative Bewertung entscheiden kann. Diese widersprüchlichen Gefühle treten häufig in engen zwischenmenschlichen Beziehungen auf, in denen sowohl Nähe als auch Konflikte und unterschiedliche Bedürfnisse eine Rolle spielen.
Psychologisch wird Ambivalenz oft als ein normaler Bestandteil menschlicher Erfahrung betrachtet, da sie aus der Komplexität des Lebens und der Vielschichtigkeit emotionaler Reaktionen hervorgeht. Dabei spielt auch das Verständnis von Konflikten und Widersprüchen in der inneren Erlebniswelt eine Rolle, die durch Ambivalenz verdeutlicht werden. Die Fähigkeit, Ambivalenz zu tolerieren, wird häufig als Zeichen emotionaler Reife angesehen, da sie Flexibilität und die Akzeptanz widersprüchlicher Empfindungen beinhaltet. Menschen, die ihre ambivalenten Gefühle akzeptieren können, haben oft eine größere emotionale Resilienz und sind besser in der Lage, schwierige oder komplexe Lebenssituationen zu bewältigen.
In der klinischen Psychologie kann Ambivalenz jedoch auch problematisch werden, wenn sie in einem übermäßigen Maß auftritt und die Entscheidungsfindung beeinträchtigt. Menschen, die stark ambivalente Gefühle empfinden, können Schwierigkeiten haben, sich festzulegen oder verbindliche Entscheidungen zu treffen, da sie ständig zwischen verschiedenen Optionen oder Bewertungen schwanken. Dieses Phänomen ist besonders häufig bei Personen mit bestimmten psychischen Störungen wie Depressionen oder Angststörungen anzutreffen. Hier kann Ambivalenz zu einer Lähmung oder einem ständigen Zögern führen, was das Leiden verstärkt und die Handlungsfähigkeit einschränkt. Eine ausgeprägte Ambivalenz kann zudem bei Zwängen oder Persönlichkeitsstörungen, wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung, auftreten, bei der emotionale Instabilität und eine starke Neigung zu ambivalenten Empfindungen typische Symptome sind.
In der Psychotherapie spielt das Erleben und Bearbeiten von Ambivalenz eine zentrale Rolle. In der psychodynamischen Therapie wird Ambivalenz als ein bedeutender Aspekt innerer Konflikte verstanden, der tiefere Einblicke in die Motivationen und unbewussten Anteile der Persönlichkeit geben kann. Die Fähigkeit, ambivalente Gefühle zu erkennen und auszuhalten, wird als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Selbstakzeptanz und Selbstregulation betrachtet. Durch therapeutische Interventionen können Patienten lernen, ihre ambivalenten Empfindungen anzuerkennen und besser mit ihnen umzugehen, ohne dass diese ihr Leben übermäßig beeinträchtigen.
In der Motivierenden Gesprächsführung (Motivational Interviewing), die insbesondere bei der Behandlung von Suchterkrankungen und bei Verhaltensänderungen eingesetzt wird, ist das Verständnis von Ambivalenz ebenfalls von großer Bedeutung. Hier wird Ambivalenz als normaler Teil des Veränderungsprozesses angesehen, bei dem Patienten gleichzeitig den Wunsch nach Veränderung und die Neigung zum Verbleib im bisherigen Zustand empfinden. Der Therapeut hilft dem Patienten, seine ambivalenten Gefühle zu benennen und zu verstehen, um ihm dabei zu helfen, motivierende Argumente für eine positive Veränderung zu finden und Ambivalenz aufzulösen.
Zusammenfassend ist Ambivalenz ein vielschichtiges und facettenreiches Konzept, das sowohl Herausforderungen als auch Chancen bietet. Sie stellt einerseits eine Belastung dar, da sie zu Unsicherheit und Zögern führen kann, andererseits ermöglicht sie eine differenzierte Betrachtung komplexer Situationen und hilft, persönliche Werte und Bedürfnisse besser zu verstehen. Ambivalenz ist ein natürlicher Bestandteil menschlicher Erfahrung und ein Zeichen für die Komplexität unseres inneren Lebens, das Raum für eine Vielfalt von Gefühlen und Überzeugungen lässt. Durch den bewussten Umgang mit ambivalenten Empfindungen kann ein tieferes Verständnis für die eigenen Wünsche und Ziele entwickelt werden, was letztlich zu einer höheren inneren Stabilität und einem erfüllteren Leben beitragen kann.
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