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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung
Broken-Window-Theorie
Die Broken-Window-Theorie, oder auch „Theorie der zerbrochenen Fenster“, ist ein Konzept aus der Kriminalsoziologie und Stadtpsychologie, das besagt, dass bereits kleine Anzeichen von Unordnung und Verwahrlosung in einem städtischen Umfeld das Auftreten weiterer Verbrechen und sozialer Probleme begünstigen können. Diese Theorie wurde erstmals in den 1980er Jahren von den Sozialwissenschaftlern James Q. Wilson und George L. Kelling formuliert und hat seither erheblichen Einfluss auf die Strategien der Kriminalitätsbekämpfung und Stadtgestaltung genommen.
Das Grundprinzip der Broken-Window-Theorie besagt, dass bereits kleine, scheinbar unbedeutende Zeichen von Verfall, wie zerbrochene Fensterscheiben, Graffiti oder Müll auf der Straße, als Hinweis darauf wahrgenommen werden, dass sich niemand um das betreffende Umfeld kümmert. Dieses Gefühl von Vernachlässigung und sozialer Desintegration kann bei Bewohnern und Besuchern die Hemmschwelle für kriminelles oder unangepasstes Verhalten senken, da das Gebiet als „rechtsfrei“ oder weniger überwacht wahrgenommen wird. Das Auftreten von kleinen Ordnungsverstößen wie Vandalismus oder Lärmbelästigung soll demnach die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es in diesem Gebiet auch zu schwerwiegenderen Delikten wie Einbruch oder Körperverletzung kommt.
Ein berühmtes Beispiel für die Umsetzung der Broken-Window-Theorie ist die Kriminalitätsbekämpfung in New York City in den 1990er Jahren. Unter der Leitung des damaligen Bürgermeisters Rudolph Giuliani und des Polizeichefs William Bratton wurde eine Null-Toleranz-Politik eingeführt, die auch kleinere Gesetzesverstöße wie das Beschmieren von Wänden oder das Fahren ohne Ticket in öffentlichen Verkehrsmitteln hart bestrafte. Diese Maßnahmen führten zu einem deutlichen Rückgang der Kriminalitätsrate und prägten das Bild der Theorie als wirksames Werkzeug im Kampf gegen städtische Kriminalität. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass diese Form der Strafverfolgung häufig auch zur Überpolizeilichkeit und Diskriminierung marginalisierter Gruppen geführt hat, da vor allem Menschen aus einkommensschwachen Vierteln davon betroffen waren.
Die Broken-Window-Theorie hat auch Auswirkungen auf die Gestaltung und Pflege von städtischen Räumen. In der Stadtplanung wird die Bedeutung von Sauberkeit und Ordnung betont, um eine sogenannte „öffentliche Ordnung“ zu schaffen, die das Gefühl von Sicherheit und Zusammenhalt fördert. Indem öffentliche Plätze gepflegt, Graffiti entfernt und Schäden repariert werden, soll ein Gefühl der sozialen Kontrolle vermittelt werden, das dazu beiträgt, dass sich die Bewohner stärker mit ihrem Umfeld identifizieren und sich an dessen Erhalt beteiligt fühlen.
Jedoch wird die Theorie auch kontrovers diskutiert. Kritiker argumentieren, dass sie zu einer Verdrängung sozialer Probleme anstatt zu deren Lösung führen kann. Der Fokus auf sichtbare Zeichen von Verwahrlosung lenkt oft von tiefer liegenden Ursachen der Kriminalität ab, wie beispielsweise Armut, fehlenden Bildungsmöglichkeiten oder sozialer Ungleichheit. Darüber hinaus wird bemängelt, dass die Broken-Window-Theorie in der Praxis häufig als Rechtfertigung für aggressive Polizeipraktiken genutzt wird, was zu Spannungen zwischen Polizei und Gemeinschaft führen kann.
Insgesamt liefert die Broken-Window-Theorie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Beziehung zwischen Umweltgestaltung und sozialem Verhalten. Sie zeigt, wie stark Menschen durch ihre Umgebung beeinflusst werden und wie kleine Anzeichen von Verwahrlosung eine Kettenreaktion von Verhaltensänderungen auslösen können. Doch während sie wertvolle Einblicke in die Dynamik urbaner Kriminalität bietet, ist es wichtig, ihre Grenzen zu erkennen und einen ganzheitlichen Ansatz zur Lösung sozialer Probleme zu verfolgen, der sowohl strukturelle Ursachen als auch individuelle Handlungen berücksichtigt.
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