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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung
Dissoziative Störung
Dissoziative Störungen sind psychische Erkrankungen, bei denen die betroffene Person durch Abspaltungen des Bewusstseins oder des Gedächtnisses gekennzeichnet ist. Diese Abspaltungen oder „Dissoziationen“ treten meist als Reaktion auf traumatische oder extrem belastende Ereignisse auf und wirken als Schutzmechanismus, um das Individuum vor überwältigenden Erinnerungen oder Gefühlen zu bewahren. Menschen mit dissoziativen Störungen können Schwierigkeiten haben, ihre Identität, Erinnerungen und Wahrnehmungen der Realität aufrechtzuerhalten, was zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag führen kann.
Es gibt verschiedene Formen dissoziativer Störungen, darunter die dissoziative Amnesie, die Depersonalisations- und Derealisationsstörung sowie die dissoziative Identitätsstörung (DIS), früher bekannt als multiple Persönlichkeitsstörung. Bei der dissoziativen Amnesie verlieren Betroffene das Erinnerungsvermögen für bestimmte Ereignisse oder persönliche Informationen, meist in Verbindung mit traumatischen Erlebnissen. Diese Gedächtnislücken können kurzzeitig sein oder auch Jahre umfassen, wobei sie oft selektiv und nicht durch eine physische Gehirnverletzung bedingt sind.
Die Depersonalisations- und Derealisationsstörung äußert sich dadurch, dass die Betroffenen sich von sich selbst oder ihrer Umwelt entfremdet fühlen. Sie erleben Momente, in denen sie ihren eigenen Körper oder ihr Denken von außen beobachten, als würden sie nicht wirklich am eigenen Leben teilnehmen (Depersonalisation), oder sie empfinden ihre Umwelt als unwirklich oder fremd (Derealisation). Diese Zustände können kurz andauern oder über längere Zeiträume auftreten und führen oft zu Angstgefühlen, da die Betroffenen ein Gefühl des Kontrollverlusts über ihre eigenen Wahrnehmungen haben.
Eine der schwerwiegendsten Formen dissoziativer Störungen ist die dissoziative Identitätsstörung (DIS). Personen mit DIS weisen mehrere Identitäten oder Persönlichkeitszustände auf, die abwechselnd die Kontrolle über das Verhalten übernehmen können. Diese unterschiedlichen Identitäten oder „Alter“ haben oft eigene Erinnerungen, Verhaltensweisen, Vorlieben und sogar Namen. Die Übergänge zwischen den Persönlichkeitszuständen können durch bestimmte Reize oder Erinnerungen an traumatische Erlebnisse ausgelöst werden. Die dissoziative Identitätsstörung ist eng mit schweren Traumata in der Kindheit verbunden, insbesondere mit wiederholtem Missbrauch oder Vernachlässigung. Da sich die Erkrankung oft in einem jungen Alter entwickelt, dienen die unterschiedlichen Identitäten als Bewältigungsmechanismus, um mit extrem belastenden Erfahrungen umzugehen.
Die Ursachen dissoziativer Störungen sind in der Regel tief in traumatischen Erfahrungen verwurzelt. Häufige Auslöser sind extreme Belastungen, wie körperlicher, emotionaler oder sexueller Missbrauch, Vernachlässigung in der Kindheit, Kriegserlebnisse oder andere schwerwiegende Traumata. Die Dissoziation tritt hierbei als ein Schutzmechanismus in Kraft, der es den Betroffenen ermöglicht, sich von der Realität abzutrennen und so ihre Erlebnisse nicht vollständig zu verarbeiten, sondern abzuspalten. In solchen Fällen ist die Dissoziation zunächst eine Überlebensstrategie, die jedoch im späteren Leben zu erheblichen psychischen Problemen führen kann.
Die Behandlung dissoziativer Störungen gestaltet sich oft als langwierig und komplex. Ein zentraler Bestandteil der Therapie ist die Traumatherapie, in der die Betroffenen lernen, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und in die eigene Biografie zu integrieren, ohne sich dissoziieren zu müssen. Hierbei kommt häufig die psychodynamische Therapie oder traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie zum Einsatz. Diese Therapieformen helfen den Betroffenen, ihre Erfahrungen zu akzeptieren und belastende Gefühle und Gedanken zu bewältigen. Bei der dissoziativen Identitätsstörung besteht das Ziel der Therapie oft darin, ein besseres Verständnis und eine gewisse Integration der verschiedenen Persönlichkeitsanteile zu erreichen, damit die Betroffenen ein stabileres und funktionaleres Leben führen können.
Ein weiteres wichtiges Element in der Therapie dissoziativer Störungen ist das Erlernen von Stabilisierungstechniken und Skills zur Affektregulation. Diese Techniken sollen den Betroffenen helfen, ihre emotionalen Reaktionen besser zu kontrollieren und sich weniger in dissoziative Zustände zu flüchten, wenn sie mit belastenden Gefühlen oder Erinnerungen konfrontiert werden. Achtsamkeitsübungen, Atemtechniken und körperzentrierte Ansätze wie die somatische Therapie haben sich hierbei als wirksam erwiesen, um die Selbstwahrnehmung zu stärken und das Erleben im gegenwärtigen Moment zu fördern.
Dissoziative Störungen sind häufig von sozialer Isolation und Stigmatisierung begleitet, da das Erleben von Identitätswechseln oder das Gefühl, „außerhalb des eigenen Körpers“ zu sein, von der Umwelt schwer nachvollziehbar ist. Dies führt oft dazu, dass Betroffene sich zurückziehen und das Gefühl entwickeln, „anders“ oder „unverstanden“ zu sein. Die gesellschaftliche Entstigmatisierung und ein besseres Verständnis dieser Erkrankungen sind daher wichtige Schritte, um Betroffenen den Zugang zu angemessener Unterstützung zu erleichtern und ihnen zu ermöglichen, mit ihrer Erkrankung besser umzugehen.
Zusammenfassend sind dissoziative Störungen komplexe, oft schwer verständliche psychische Erkrankungen, die tief in traumatischen Erlebnissen verankert sind. Die Therapie ist herausfordernd und bedarf einer großen Sensibilität und Geduld, um die Betroffenen dabei zu unterstützen, ihre Dissoziationsneigung zu überwinden und ein stabileres Selbstgefühl zu entwickeln.
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