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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Familienaufstellung

Die Familienaufstellung ist eine therapeutische Methode, die ursprünglich von dem deutschen Psychotherapeuten Bert Hellinger entwickelt wurde. Sie gehört zu den systemischen Therapieformen und wird in der psychologischen und therapeutischen Praxis eingesetzt, um unbewusste Familiendynamiken und zwischenmenschliche Konflikte sichtbar zu machen und aufzulösen. Ziel der Familienaufstellung ist es, die zugrunde liegenden, oft unbewussten, emotionalen Verstrickungen und Beziehungsmuster innerhalb der Familie zu erkennen und zu transformieren, um die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der betroffenen Personen zu fördern.

Der Grundgedanke der Familienaufstellung beruht auf der Annahme, dass jedes Familienmitglied nicht nur als Individuum, sondern auch als Teil eines größeren, interdependenten Systems von Beziehungen betrachtet werden muss. In diesem System können ungelöste Konflikte, verdrängte Emotionen oder belastende familiäre Muster von Generation zu Generation weitergegeben werden. Diese unbewussten „Verstrickungen“ können zu psychischen, emotionalen oder auch physischen Problemen führen, die sich in den nachfolgenden Generationen fortsetzen. Die Familienaufstellung zielt darauf ab, diese Verstrickungen zu erkennen, zu benennen und aufzulösen.

Ablauf einer Familienaufstellung:

In einer typischen Familienaufstellung wird eine Person (der „Aufsteller“) gebeten, ihre familiären Beziehungen oder ein spezielles Problem, mit dem sie zu kämpfen hat, zu beschreiben. Um das Familien- oder Beziehungssystem darzustellen, werden häufig andere Personen als Stellvertreter in den Raum gestellt, die die verschiedenen Familienmitglieder repräsentieren. Alternativ können auch Gegenstände oder Marker verwendet werden, um die Positionen und Beziehungen der einzelnen Personen innerhalb des Systems sichtbar zu machen.

Die Stellvertreter werden dann in den Raum gestellt und spüren in ihren eigenen Körpern die Emotionen und Energien, die mit ihrer Rolle verbunden sind. Diese Vorgehensweise soll unbewusste Dynamiken und Verstrickungen zwischen den Familienmitgliedern sichtbar machen. Während der Aufstellung werden die Stellvertreter aufgefordert, ihre Empfindungen und Wahrnehmungen zu äußern, wodurch das zugrunde liegende emotionale Geschehen im Familiennetzwerk sichtbar wird. Der Therapeut beobachtet diese Interaktionen und gibt gezielte Anweisungen, um das System neu zu ordnen und eine Lösung oder Veränderung herbeizuführen.

Der Therapeut kann den Stellvertretern helfen, ihre Positionen zu ändern oder sie dazu anregen, bestimmte Sätze oder Aussagen auszusprechen, die zu einer Lösung des Problems führen können. Diese Interventionen sollen dazu beitragen, alte, ungesunde Bindungen zu lösen und gesunde Beziehungen innerhalb des Familiensystems zu fördern. Ein zentraler Aspekt der Familienaufstellung ist die Respektierung der Herkunftsfamilie und der anerkannten familiären Ordnung, was als eine Art von „Wiedergutmachung“ und emotionaler Heilung angesehen wird.

Theoretische Grundlagen:

Die Familienaufstellung basiert auf verschiedenen systemischen und psychodynamischen Prinzipien. Ein grundlegendes Konzept ist das der familiären Ordnung, das von Bert Hellinger formuliert wurde. Hellinger identifizierte verschiedene „Gesetze“ oder Prinzipien, die für das Gleichgewicht und die Harmonie innerhalb von Familiensystemen von Bedeutung sind. Dazu gehören:

Das Gesetz der Zugehörigkeit: Jedes Familienmitglied hat einen festen Platz und das Recht, zugehörig zu sein. Wenn ein Mitglied ausgeschlossen oder in irgendeiner Weise aus der Familie ausgeschlossen wird, können diese Verstrickungen zu emotionalen Problemen führen.

Das Gesetz der Gerechtigkeit oder des Ausgleichs: In einer Familie sollte es ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen geben. Wenn dieses Gleichgewicht gestört ist, etwa durch ungerechte Zuteilung von Ressourcen oder Verantwortung, können Konflikte entstehen.

Das Gesetz der Hierarchie: Ältere Generationen, insbesondere die Eltern und Großeltern, haben Vorrang und eine stärkere Rolle innerhalb des Systems. Wenn jüngere Mitglieder die Hierarchie durcheinander bringen, kann dies zu Spannungen führen.

Das Gesetz der Balance: Dieses Gesetz bezieht sich auf das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen und die Ordnung der Bindungen. Wenn ein Familienmitglied zu viel gibt oder zu wenig empfängt, kann dies zu negativen Auswirkungen auf die Beziehungen führen.

Anwendungen und Nutzen der Familienaufstellung:

Familienaufstellungen werden häufig in der Psychotherapie eingesetzt, um eine Vielzahl von Problemen zu bearbeiten, darunter Beziehungsprobleme, Familiendynamiken, Traumata, Eltern-Kind-Beziehungen, Scheidungsproblematiken und Unverarbeitete Verluste. Sie können auch in Bezug auf berufliche Fragen und Selbstfindungsprozesse angewendet werden, insbesondere wenn familiäre Konflikte oder emotionale Blockaden das berufliche Leben oder persönliche Entwicklung beeinträchtigen.

Die Methode wird oft als hilfreich angesehen, weil sie den Zugang zu unbewussten Prozessen ermöglicht, die im Gesprächsprozess möglicherweise nicht direkt zugänglich sind. Sie kann die therapeutische Arbeit beschleunigen und tiefere emotionale Einsichten vermitteln, die für die Lösung von langanhaltenden Konflikten oder emotionalen Blockaden von Bedeutung sind.

Kritik und Einschränkungen:

Trotz der weiten Verbreitung und positiven Erfahrungen mit der Familienaufstellung gibt es auch Kritikpunkte. Ein häufig genannter Kritikpunkt ist, dass die Methode auf subjektiven Wahrnehmungen beruht und die wissenschaftliche Validität der Technik in Frage gestellt wird. Es fehlt an empirischen Studien, die die Wirksamkeit von Familienaufstellungen klar belegen. Kritiker betonen, dass die Methode sehr emotional und dramatisch wirken kann, was dazu führen könnte, dass Veränderungen lediglich oberflächlicher Natur sind oder dass Teilnehmer unter Umständen stärker verwirrt oder belastet aus der Sitzung hervorgehen.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Einsatz von Familienaufstellungen in Gruppen. Der emotionale Druck und die starke Gruppendynamik können für einige Teilnehmer überwältigend sein, besonders wenn tiefe familiäre Traumata oder ungelöste Konflikte angesprochen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Familienaufstellung eine tiefgreifende, emotionale Methode zur Aufdeckung und Bearbeitung von familiären und zwischenmenschlichen Konflikten darstellt. Sie kann für viele Menschen eine wirksame therapeutische Intervention sein, erfordert jedoch eine sorgfältige Anwendung und sollte von erfahrenen Therapeuten begleitet werden.

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