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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung
Inkongruenz
In der Psychologie bezeichnet Inkongruenz eine Diskrepanz oder ein Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Aspekten des Selbst, wie zwischen den Selbstwahrnehmungen, den Gefühlen und den Verhaltensweisen einer Person. Sie tritt auf, wenn die inneren Überzeugungen, Werte oder das Selbstbild einer Person nicht im Einklang mit ihren tatsächlichen Erfahrungen, Handlungen oder äußerlichen Erscheinungen stehen. Inkongruenz kann zu innerer Unruhe, Stress und Unzufriedenheit führen, da das Individuum mit einem Zustand der „inneren Widersprüchlichkeit“ konfrontiert ist.
Das Konzept der Inkongruenz ist besonders mit der Humanistischen Psychologie und den Arbeiten von Carl Rogers verbunden, der die Theorie des Selbstkonzepts entwickelte. Rogers beschrieb die Inkongruenz als den Zustand, in dem das idealisierte Selbst (wie eine Person sich selbst gerne sehen möchte) und das real wahrgenommene Selbst (wie sie sich in der Realität sieht) nicht übereinstimmen. Diese Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Selbst und dem idealen Selbst kann emotionale Spannungen hervorrufen, da das Individuum beständig in Konflikt mit seiner Wahrnehmung und seinen Wünschen lebt.
Rogers betonte, dass der Grad der Inkongruenz das psychische Wohlbefinden eines Menschen stark beeinflussen kann. Eine hohe Inkongruenz führt oft zu psychischem Stress, Ängsten oder Depressionen, da der Mensch sich nicht vollständig akzeptiert fühlt oder das Gefühl hat, in einer Art „Fremdrolle“ zu leben. In einem Zustand der Inkongruenz können Menschen ihre eigenen Bedürfnisse oder Gefühle verdrängen, um den Erwartungen anderer zu entsprechen, was zu einem Verlust des authentischen Selbst führt.
Ein Beispiel für Inkongruenz im alltäglichen Leben könnte eine Person sein, die sich selbst als selbstbewusst und unabhängig wahrnimmt, aber in sozialen Situationen häufig Unsicherheit oder Abhängigkeit von der Zustimmung anderer verspürt. In diesem Fall würde das innere Selbstbild (die Wahrnehmung von Unabhängigkeit) nicht mit den tatsächlichen Gefühlen und Verhaltensweisen (Abhängigkeit von anderen) übereinstimmen.
Inkongruenz und Selbstakzeptanz: Eine der Hauptideen in Rogers' Theorie ist, dass Menschen dann ein höheres Maß an psychischem Wohlbefinden erreichen, wenn ihre Selbstwahrnehmung mit ihren tatsächlichen Erfahrungen übereinstimmt. Dies erfordert ein hohes Maß an Selbstakzeptanz und authentischem Verhalten. Um Inkongruenz zu verringern, müssen Menschen in der Lage sein, ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Wünsche ehrlich zu erkennen und auszudrücken. Das Ziel ist es, die Kluft zwischen dem idealisierten und dem realen Selbst zu verringern, was zu einer harmonischeren und authentischeren Lebensweise führt.
Inkongruenz in zwischenmenschlichen Beziehungen: Inkongruenz kann auch in Beziehungen zu anderen auftreten. Eine Person kann zum Beispiel das Bedürfnis verspüren, sich anzupassen oder jemandem gefallen zu müssen, und verhält sich dadurch nicht authentisch. In Beziehungen, in denen Menschen ihre wahren Gedanken oder Gefühle nicht ausdrücken können, entstehen häufig Spannungen und Missverständnisse. Wenn Menschen in ihren Beziehungen zu sehr versuchen, eine Rolle zu spielen oder unrealistische Erwartungen erfüllen zu wollen, verstärkt dies die Inkongruenz und führt oft zu unbefriedigenden oder konfliktbeladenen Interaktionen.
Inkongruenz und psychische Störungen: Inkongruenz wird häufig auch in der Psychotherapie behandelt, besonders in Ansätzen, die den Fokus auf Selbstwert und Selbstverwirklichung legen. In der gestalttherapeutischen Tradition oder der personenzentrierten Therapie von Rogers geht es darum, die Inkongruenz zu erkennen und eine ganzheitliche Integration von Selbstwahrnehmung und Verhalten zu fördern. Indem Menschen lernen, sich selbst wahrhaftig und ohne Abwehrmechanismen zu akzeptieren, können sie diese innere Diskrepanz abbauen und ein authentischeres Leben führen.
Im Bereich der psychischen Störungen kann Inkongruenz auch die Entstehung und Aufrechterhaltung von Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen beeinflussen. Bei Depressionen beispielsweise kann die Person eine sehr niedrige Wahrnehmung des eigenen Wertes haben und gleichzeitig unrealistische Erwartungen an sich selbst stellen, was zu einer inneren Zerrissenheit und ständigen Unzufriedenheit führt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Inkongruenz in der Psychologie einen Zustand beschreibt, in dem die verschiedenen Aspekte des Selbst, wie Überzeugungen, Gefühle und Verhaltensweisen, nicht miteinander in Einklang stehen. Dieser Zustand kann zu Stress, psychischen Beschwerden und zwischenmenschlichen Konflikten führen. Die Reduzierung der Inkongruenz wird als zentraler Bestandteil vieler therapeutischer Ansätze gesehen, insbesondere in der humanistischen Psychologie, die den Weg zur Selbstverwirklichung und Authentizität betont.
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