crossorigin="anonymous">
top of page

Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Kognitive Landkarten

Kognitive Landkarten, auch bekannt als mentale Landkarten, sind innere, gedankliche Repräsentationen der räumlichen Umgebung, die Menschen und Tiere nutzen, um sich in ihrer Welt zu orientieren und sich effektiv darin zu bewegen. Dieses Konzept stammt aus der Kognitionspsychologie und wurde erstmals vom amerikanischen Psychologen Edward C. Tolman in den 1940er Jahren beschrieben, der das Phänomen bei Experimenten mit Ratten beobachtete. Tolman fand heraus, dass Ratten in der Lage waren, mentale Bilder von Labyrinthen zu erstellen, um effizient ihren Weg zum Ziel zu finden, anstatt nur eine Reihe von Stimulus-Response-Reaktionen zu lernen. Dieses Verhalten führte zu der Annahme, dass Menschen und Tiere komplexe mentale Modelle ihrer Umgebung entwickeln und nutzen.

Kognitive Landkarten umfassen eine Vielzahl von Informationen über die Umgebung, einschließlich der relativen Positionen und Distanzen zwischen verschiedenen Orten sowie der Lage von markanten Orientierungspunkten wie Gebäuden, Straßen oder Landschaftselementen. Diese mentale Abbildung ist jedoch keine exakte Kopie der physischen Umgebung, sondern eine vereinfachte und oft subjektiv verzerrte Darstellung, die auf individuellen Erfahrungen und Wahrnehmungen basiert. Diese subjektiven Unterschiede können dazu führen, dass verschiedene Menschen ein und dieselbe Umgebung unterschiedlich wahrnehmen und erinnern. Zudem beeinflussen kulturelle und soziale Prägungen, welche Details als relevant erachtet und daher in der kognitiven Landkarte gespeichert werden.

Die Bildung kognitiver Landkarten spielt eine entscheidende Rolle im Alltagsleben, da sie die räumliche Orientierung erleichtert und es Individuen ermöglicht, bekannte und unbekannte Orte auf effektive Weise zu erreichen. Dieser Prozess beginnt bereits in der frühen Kindheit und entwickelt sich im Laufe des Lebens weiter, wobei er von persönlichen Erfahrungen und spezifischen räumlichen Anforderungen geprägt wird. Zum Beispiel kann jemand, der in einer Großstadt aufgewachsen ist, eher eine feinere Unterscheidung zwischen verschiedenen Straßennetzen und Bezirken in urbanen Gebieten entwickeln, während jemand, der in einer ländlichen Umgebung lebt, sich möglicherweise stärker an natürlichen Landmarken orientiert. Kognitive Landkarten helfen auch dabei, Routen zu planen, Entfernungen abzuschätzen und Entscheidungen über die Bewegungsrichtung zu treffen.

In der kognitiven Neurowissenschaft wird das Konzept der kognitiven Landkarten auch als Grundlage für das Verständnis des räumlichen Gedächtnisses untersucht. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Hirnregionen, insbesondere der Hippocampus und der parahippocampale Gyrus, eine wichtige Rolle bei der Bildung und dem Abruf kognitiver Landkarten spielen. Studien mit räumlich orientierten Tieren wie Ratten und Vögeln zeigen, dass sogenannte „Ortszellen“ und „Gitterzellen“ im Hippocampus aktiviert werden, wenn sich ein Individuum in einer Umgebung bewegt, und somit ein internes System zur Navigation bereitstellen. Diese Entdeckungen lassen sich auch auf den Menschen übertragen, wo die gleichen oder ähnliche neuronale Mechanismen zur Orientierung und räumlichen Erinnerung beitragen.

Die Anwendung des Konzepts kognitiver Landkarten findet sich in vielen Bereichen der Psychologie und darüber hinaus. In der Umweltpsychologie wird untersucht, wie Menschen sich in urbanen oder natürlichen Umgebungen orientieren und wie Architektur und Stadtplanung die Entwicklung solcher mentalen Modelle beeinflussen können. Zum Beispiel können übersichtliche Straßenführungen, gut sichtbare Landmarken und eine sinnvolle Anordnung von Orientierungspunkten die Bildung präziser kognitiver Landkarten erleichtern. In der Verkehrspsychologie wird die Bedeutung kognitiver Landkarten für das Navigationsverhalten untersucht, etwa beim Fahren in einer unbekannten Stadt oder der Nutzung von GPS-Navigation, die zwar Orientierungshilfe bietet, aber oft das aktive Bilden und Trainieren eigener kognitiver Landkarten reduziert.

Darüber hinaus spielen kognitive Landkarten in der Bildung eine Rolle, besonders im Bereich der Geografie und Naturwissenschaften, wo Schüler mentale Modelle von geografischen Regionen oder astronomischen Zusammenhängen entwickeln. Pädagogische Methoden zur Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens und zur Verbesserung der Fähigkeit, sich mentale Karten zu erstellen, können helfen, komplexe räumliche Informationen besser zu verarbeiten und anzuwenden. Auch in der virtuellen Realität und in Computerspielen werden kognitive Landkarten genutzt, um sich in virtuellen Welten zu orientieren und Ziele zu erreichen.

Zusammenfassend sind kognitive Landkarten eine fundamentale mentale Fähigkeit, die uns ermöglicht, räumliche Informationen zu erfassen, zu speichern und abzurufen, um uns in der physischen und sozialen Welt zurechtzufinden. Sie zeigen, wie Menschen und Tiere Informationen über ihre Umgebung verarbeiten und darauf basierend Entscheidungen treffen. Das Verständnis kognitiver Landkarten erweitert die Erkenntnisse darüber, wie wir lernen, wie wir uns orientieren und wie unser Gehirn die räumliche Welt repräsentiert und navigiert.

bottom of page