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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung
Lernstörungen
Lernstörungen sind spezifische Beeinträchtigungen in grundlegenden schulischen Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Rechnen, die das Lernen erschweren und das Erreichen schulischer oder akademischer Ziele behindern können. Sie treten häufig bereits in der frühen Kindheit auf und bleiben oft bis ins Erwachsenenalter bestehen, wenn sie nicht erkannt und behandelt werden. Lernstörungen sind nicht mit einer generellen intellektuellen Beeinträchtigung oder mit einem Mangel an Motivation zu verwechseln. Sie betreffen spezifische Bereiche des Lernens und treten oft isoliert auf, was bedeutet, dass die betroffene Person in anderen kognitiven Bereichen durchaus durchschnittliche oder sogar überdurchschnittliche Fähigkeiten haben kann.
Ein zentraler Bereich in der Forschung zu Lernstörungen ist die Lesestörung, auch als Legasthenie oder Dyslexie bekannt. Menschen mit Legasthenie haben spezifische Schwierigkeiten beim Erkennen und Verarbeiten von Wörtern, was das Lesen und das Leseverständnis beeinträchtigt. Diese Schwierigkeiten können durch Defizite in der phonologischen Bewusstheit (die Fähigkeit, Sprachlaute zu erkennen und zu manipulieren) oder durch Schwierigkeiten im visuellen Verarbeiten von Buchstaben und Wörtern verursacht werden. Legasthenie ist die häufigste Lernstörung und tritt unabhängig von Intelligenzniveau oder Bildungsstand auf. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass bestimmte Bereiche im Gehirn von Menschen mit Legasthenie anders arbeiten, insbesondere jene Regionen, die für die Sprachverarbeitung und das Erkennen von Wörtern zuständig sind.
Eine weitere häufige Form von Lernstörung ist die Rechenstörung (Dyskalkulie), bei der Betroffene Schwierigkeiten im Bereich Mathematik haben. Dyskalkulie kann das Erlernen von Grundrechenarten, das Verständnis für Zahlen oder das Lösen mathematischer Probleme erheblich beeinträchtigen. Menschen mit Dyskalkulie haben oft Probleme mit der numerischen Kognition und der räumlichen Vorstellungskraft. Sie können einfache mathematische Konzepte, wie das Verständnis von Mengen oder den Vergleich von Zahlenwerten, nur schwer erfassen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Dyskalkulie teilweise genetisch bedingt ist und dass auch in diesem Fall spezifische Hirnregionen, insbesondere der intraparietale Sulcus, eine Rolle spielen.
Auch die Schreibstörung (Dysgraphie) gehört zu den Lernstörungen und äußert sich durch erhebliche Probleme im Schriftsprachbereich. Menschen mit Dysgraphie haben häufig eine schlechte Handschrift und Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Gedanken in geschriebene Sprache. Dies kann die Fähigkeit betreffen, klare und organisierte Texte zu verfassen, oder auch die motorische Ausführung des Schreibens. Schreibstörungen werden häufig von motorischen Problemen begleitet und erfordern sowohl eine Förderung im Bereich der Feinmotorik als auch spezifische Sprach- und Rechtschreibförderung. Dysgraphie ist häufig mit Legasthenie assoziiert, kann jedoch auch isoliert auftreten.
Die Ursachen von Lernstörungen sind komplex und umfassen ein Zusammenspiel von genetischen, neurobiologischen und umweltbedingten Faktoren. Genetische Einflüsse spielen eine erhebliche Rolle, da Lernstörungen oft in Familien gehäuft auftreten. Kinder, deren Eltern Lernstörungen haben, haben ein erhöhtes Risiko, selbst betroffen zu sein. Neurowissenschaftliche Forschungen haben spezifische strukturelle und funktionale Unterschiede in den Gehirnen von Menschen mit Lernstörungen identifiziert. Beispielsweise zeigen bildgebende Verfahren, dass bestimmte Gehirnareale, die für Sprach- oder Zahlenverarbeitung zuständig sind, bei Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie anders strukturiert oder weniger aktiv sind.
Zusätzlich zu biologischen Faktoren spielen auch psychosoziale Einflüsse eine Rolle. Stress, Angst und negative Erfahrungen im schulischen Umfeld können Lernstörungen verstärken. Häufig entwickeln betroffene Kinder ein geringes Selbstwertgefühl und erleben Schuld- und Schamgefühle aufgrund ihrer Lernschwierigkeiten. Dies kann zu sozialem Rückzug und in schweren Fällen zu psychischen Begleiterscheinungen wie Depressionen oder Angststörungen führen. Um diese negativen Auswirkungen zu minimieren, ist es wichtig, dass Lernstörungen frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden.
Die Diagnose einer Lernstörung erfordert eine umfassende Differentialdiagnostik, bei der der Entwicklungsstand des Kindes, seine kognitiven Fähigkeiten und sein Lernverhalten genau untersucht werden. Neben standardisierten Tests zur Erfassung der schulischen Leistungen werden auch neuropsychologische Tests eingesetzt, um spezifische Defizite in den betroffenen Bereichen zu identifizieren. Es ist wichtig, dabei auch andere Ursachen wie sensorische Beeinträchtigungen (z.B. Seh- oder Hörprobleme), emotionale Probleme oder eine allgemeine kognitive Einschränkung auszuschließen, um eine genaue Diagnose zu stellen.
Die Behandlung und Förderung von Kindern mit Lernstörungen basiert auf spezifischen Förderprogrammen, die auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten sind. Bei Legasthenie kommen oft phonologische Trainingsprogramme zum Einsatz, die das Erkennen und Verarbeiten von Sprachlauten fördern. Für Kinder mit Dyskalkulie gibt es spezielle mathematische Förderprogramme, die das Zahlenverständnis und das Rechnen unterstützen. Neben der schulischen Förderung sind auch psychologische Betreuung und Unterstützung durch die Familie entscheidend, um das Selbstbewusstsein der betroffenen Kinder zu stärken und ihnen zu helfen, ein positives Selbstbild zu entwickeln.
Zusammengefasst stellen Lernstörungen eine spezifische Form der Entwicklungsstörung dar, die das Lernen und die schulische Leistung erheblich beeinträchtigen können. Frühzeitige Diagnostik, gezielte Fördermaßnahmen und eine unterstützende Umgebung können dazu beitragen, die Lernentwicklung positiv zu beeinflussen und die langfristigen Auswirkungen zu minimieren. Lernstörungen sind zwar chronisch, doch mit den richtigen Maßnahmen und Strategien können betroffene Kinder und Erwachsene ihr Potenzial ausschöpfen und erfolgreich am schulischen und gesellschaftlichen Leben teilhaben.
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