top of page
Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung
Mehrspeichermodell
Das Mehrspeichermodell ist ein einflussreiches Modell aus der kognitiven Psychologie, das die Struktur und Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses beschreibt. Es wurde 1968 von den Psychologen Richard C. Atkinson und Richard M. Shiffrin entwickelt und gilt als ein klassisches Modell zur Erklärung, wie Informationen im Gedächtnis gespeichert und verarbeitet werden. Das Modell unterteilt das Gedächtnis in drei grundlegende Speicher: den sensorischen Speicher, das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Jeder dieser Speicher hat spezifische Eigenschaften hinsichtlich Kapazität, Dauer und der Art und Weise, wie Informationen verarbeitet und gespeichert werden.
Der **sensorische Speicher** ist die erste Station im Mehrspeichermodell. Er empfängt und speichert Informationen aus der Umwelt für sehr kurze Zeiträume, meist nur für einige Millisekunden bis Sekunden. In dieser Phase werden sensorische Informationen, wie visuelle oder auditive Reize, ohne bewusste Kontrolle verarbeitet. Der sensorische Speicher ist sehr kapazitätsstark, aber die gespeicherten Informationen zerfallen schnell, wenn sie nicht selektiv für die nächste Speicherstufe, das Kurzzeitgedächtnis, ausgewählt werden. Diese Auswahl erfolgt durch einen Aufmerksamkeitsprozess, bei dem bestimmte Informationen weiterverarbeitet werden, während andere verworfen werden.
Das **Kurzzeitgedächtnis** (auch Arbeitsgedächtnis genannt) ist die nächste Stufe im Mehrspeichermodell. Es speichert Informationen für einen kurzen Zeitraum von etwa 15 bis 30 Sekunden und hat eine begrenzte Kapazität von ungefähr 7 ± 2 Informationseinheiten (Chunks). Informationen im Kurzzeitgedächtnis sind bewusst zugänglich und können durch kognitive Prozesse wie Wiederholung oder Rehearsal verlängert werden. Diese Prozesse sind entscheidend für das Überführen der Informationen ins Langzeitgedächtnis. Da das Kurzzeitgedächtnis eine begrenzte Kapazität hat, führt die Aufnahme neuer Informationen oft dazu, dass bereits gespeicherte Informationen verdrängt werden, wenn sie nicht schnell ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Das Arbeitsgedächtnis spielt eine zentrale Rolle in kognitiven Aufgaben wie Problemlösen, Sprachverstehen und Entscheidungsfindung, da es Informationen vorübergehend speichert und verarbeitet.
Das **Langzeitgedächtnis** ist die dritte und stabilste Gedächtniskomponente im Mehrspeichermodell. Es dient als dauerhaftes Speichersystem für Informationen und hat theoretisch eine unbegrenzte Kapazität und Dauer. Informationen, die erfolgreich aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überführt werden, können Jahre oder sogar ein Leben lang erhalten bleiben. Das Langzeitgedächtnis unterteilt sich in verschiedene Unterkategorien, darunter das deklarative (explizite) Gedächtnis, das Fakten und Ereignisse speichert, und das prozedurale (implizite) Gedächtnis, das für das Speichern von Fertigkeiten und Gewohnheiten verantwortlich ist. Der Abruf von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis ist allerdings ein komplexer Prozess und unterliegt verschiedenen Einflüssen wie dem Kontext und dem emotionalen Zustand der Person.
Das Mehrspeichermodell hat weitreichende Implikationen für das Verständnis der Gedächtnisprozesse und wurde zum Ausgangspunkt vieler weiterer Forschungen und Modifikationen in der Kognitionspsychologie. Es stellt den Gedächtnisprozess als lineare Abfolge dar, bei der Informationen von einer Speicherstufe zur nächsten überführt werden. Kritiker des Modells weisen jedoch darauf hin, dass diese lineare Struktur möglicherweise zu vereinfacht ist und die Interaktion zwischen den Speichersystemen nicht vollständig abbildet. Dennoch hat das Mehrspeichermodell wichtige Einsichten in die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses geliefert und bildet die Grundlage für viele angewandte Methoden in der Lern- und Gedächtnisforschung, wie z.B. Techniken zur Verbesserung der Informationsspeicherung und des Erinnerungsvermögens.
Insgesamt bietet das Mehrspeichermodell eine strukturierte und systematische Sichtweise darauf, wie Informationen im menschlichen Gedächtnis verarbeitet, gespeichert und abgerufen werden. Es hilft, die Komplexität der Gedächtnisstrukturen und -prozesse zu verstehen und liefert wertvolle Hinweise darauf, wie Lern- und Erinnerungsprozesse optimiert werden können.
Besuche auch unsere Blogartikel zum Thema Psychologie
bottom of page