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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Milgram-Experiment

Das Milgram-Experiment ist eine bahnbrechende psychologische Studie, die in den 1960er Jahren von dem amerikanischen Sozialpsychologen Stanley Milgram durchgeführt wurde, um die Bereitschaft von Menschen zu untersuchen, Anweisungen von Autoritätspersonen zu folgen, selbst wenn diese Anweisungen im Widerspruch zu ihrem moralischen Empfinden stehen. Das Experiment gilt als eine der bekanntesten und zugleich umstrittensten Studien der Psychologie und liefert bis heute wertvolle Einblicke in das menschliche Verhalten in Hierarchiestrukturen und die Mechanismen des Gehorsams.

In der Grundform des Experiments wurden die Teilnehmer gebeten, an einer vermeintlichen Lernstudie teilzunehmen. Sie wurden als „Lehrer“ eingeteilt, während eine andere Person – ein Schauspieler, den die Teilnehmer für einen weiteren Teilnehmer hielten – die Rolle des „Schülers“ übernahm. Der Lehrer sollte dem Schüler eine Reihe von Fragen stellen und ihn bei jeder falschen Antwort mit einem elektrischen Schock bestrafen, wobei die Intensität der Schocks mit jeder falschen Antwort stieg. Tatsächlich erhielt der Schüler keine Schocks; er simulierte die Schmerzen durch Schauspiel, wobei die Intensität seiner gespielten Reaktionen mit den vermeintlich stärkeren Stromstößen zunahm.

Der Versuchsleiter, der als Autoritätsfigur fungierte, forderte den Lehrer auf, die Schocks bei falschen Antworten zu verabreichen und bei jeder falschen Antwort die Spannung zu erhöhen. Wenn ein Teilnehmer zögerte oder Einwände äußerte, gab der Versuchsleiter klare Anweisungen, um den Teilnehmer zum Weitermachen zu ermutigen, beispielsweise durch Sätze wie „Bitte machen Sie weiter“ oder „Es ist unbedingt erforderlich, dass Sie weitermachen“. Viele Teilnehmer drückten ihr Unbehagen aus, setzten das Experiment jedoch fort, wenn sie von der Autoritätsperson dazu aufgefordert wurden.

Die Ergebnisse des Experiments waren überraschend und erschütternd. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer setzten das Experiment bis zum höchsten Spannungsniveau (450 Volt) fort, obwohl sie glaubten, dem Schüler ernsthaften Schaden zuzufügen. Diese Bereitschaft, Anweisungen zu folgen, trotz des offensichtlichen Leids einer anderen Person, verdeutlichte die starke Wirkung von Autorität und sozialen Normen auf das individuelle Verhalten.

Milgrams Experiment führte zu einer Vielzahl an Erklärungsansätzen und Interpretationen. Eine zentrale Schlussfolgerung war, dass Menschen in hierarchischen Strukturen oft ihre eigene moralische Verantwortung in Frage stellen oder sogar abgeben und sich stattdessen auf die Anweisungen der Autoritätsperson verlassen. Milgram prägte hierfür den Begriff des „agentischen Zustands“, bei dem die Person nicht mehr aus eigener moralischer Überzeugung handelt, sondern sich als „Agent“ der Autorität begreift, der lediglich Befehle ausführt. Diese Verlagerung der Verantwortung auf eine externe Instanz erklärt, warum Menschen bereit sind, Handlungen durchzuführen, die ihren moralischen Grundsätzen widersprechen.

Das Milgram-Experiment wird oft im Kontext von historischen Ereignissen, wie Kriegsverbrechen oder anderen Fällen massenhaften Gehorsams, diskutiert, um zu verstehen, wie gewöhnliche Menschen in die Durchführung unmoralischer oder gewalttätiger Handlungen involviert werden können. Es zeigt, dass Gehorsam gegenüber Autorität tief in sozialen Strukturen verankert ist und dass selbst Personen, die sich als moralisch verlässlich und einfühlsam betrachten, in bestimmten Situationen in der Lage sind, aus Pflichtgefühl oder Angst vor sozialer Ablehnung extreme Handlungen durchzuführen.

Die ethischen Implikationen des Milgram-Experiments sind erheblich und haben die psychologische Forschung nachhaltig beeinflusst. Milgram wurde für das psychische Leid kritisiert, dem die Teilnehmer durch das Experiment ausgesetzt waren, da viele von ihnen erst nach der Aufklärung darüber informiert wurden, dass der Schüler nicht tatsächlich geschockt wurde. Diese ethische Kontroverse führte in der Folge zur Einführung strengerer ethischer Standards und Richtlinien für psychologische Experimente, einschließlich informierter Einwilligung, Aufklärung und dem Schutz vor psychischen Belastungen.

Insgesamt hat das Milgram-Experiment das Verständnis für das Verhalten von Menschen in Hierarchien grundlegend geprägt und die Psychologie des Gehorsams in einem neuen Licht dargestellt. Es bleibt bis heute ein wichtiger Bezugspunkt für die Erforschung von sozialen Einflüssen und autoritätsbasiertem Verhalten und dient als Warnung für die potenziellen Gefahren blinden Gehorsams.

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