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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Modelllernen

Modelllernen, auch als Beobachtungslernen oder sozial-kognitives Lernen bezeichnet, beschreibt den Prozess, durch den Individuen neues Verhalten, Einstellungen oder emotionale Reaktionen erwerben, indem sie das Verhalten anderer beobachten und nachahmen. Dieses Konzept geht auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura zurück, der das Modelllernen als eine wesentliche Form des Lernens erkannte, die über das klassische und operante Konditionieren hinausgeht. Während das klassische Konditionieren (nach Pawlow) und das operante Konditionieren (nach Skinner) auf direkten Reizen und Konsequenzen beruhen, erfordert das Modelllernen keine direkte Verstärkung. Stattdessen lernen Menschen durch das Beobachten und Nachahmen des Verhaltens anderer, sogenannter Modelle.

Banduras bahnbrechende Experimente, insbesondere das berühmte „Bobo-Doll-Experiment“, zeigten, wie Kinder aggressives Verhalten übernahmen, nachdem sie sahen, wie Erwachsene eine Puppe in aggressiver Weise behandelten. Diese Beobachtung führte zur Erkenntnis, dass allein durch das Beobachten eines Verhaltens dieses gelernt und später reproduziert werden kann, ohne dass eine eigene Erfahrung gemacht wurde. Dabei können sowohl prosociale (wie Teilen oder Helfen) als auch antisoziale Verhaltensweisen (wie Aggression oder Gewalt) gelernt werden.

Das Modelllernen besteht aus mehreren aufeinander aufbauenden Prozessen. Zunächst müssen die Aufmerksamkeit und das Interesse des Beobachters auf das Modellverhalten gelenkt werden. Faktoren wie die Ähnlichkeit zwischen Modell und Beobachter, das Charisma des Modells oder die Relevanz des Verhaltens für den Beobachter können die Aufmerksamkeit beeinflussen. Danach folgt die Behaltensphase, in der das gesehene Verhalten im Gedächtnis gespeichert wird. Hier spielen mentale Prozesse, wie die Fähigkeit zur mentalen Repräsentation und das Abrufen der Beobachtungen, eine entscheidende Rolle. In der dritten Phase, der Reproduktionsphase, versucht der Beobachter, das beobachtete Verhalten in die Tat umzusetzen. Dies erfordert motorische Fähigkeiten und die Möglichkeit zur Wiederholung und Übung. Schließlich spielt die Motivation eine wichtige Rolle, denn nur wenn der Beobachter einen Anreiz oder eine Motivation verspürt, wird das Verhalten tatsächlich gezeigt. Diese Motivation kann durch positive oder negative Verstärkung beeinflusst werden – also durch die Aussicht auf Belohnung oder die Vermeidung von Bestrafung.

Ein besonderer Aspekt des Modelllernens ist die „stellvertretende Verstärkung“. Diese bezeichnet die Tendenz, das Verhalten eines Modells eher zu übernehmen, wenn man sieht, dass das Modell dafür belohnt wird, oder aber das Verhalten zu vermeiden, wenn das Modell bestraft wird. Stellvertretende Verstärkung zeigt auf, dass Menschen in der Lage sind, aus den Konsequenzen, die andere für ihr Verhalten erfahren, zu lernen, ohne selbst diese Konsequenzen erleben zu müssen.

Modelllernen ist nicht nur für die individuelle Entwicklung von Kindern und Erwachsenen von Bedeutung, sondern hat auch erhebliche soziale Implikationen. Im Bereich der Medienpsychologie etwa wird untersucht, wie gewalttätige Inhalte in Filmen oder Videospielen das aggressive Verhalten von Zuschauern beeinflussen können. Da Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, dazu neigen, Verhalten nachzuahmen, das sie in den Medien sehen, besteht das Risiko, dass Gewalt, Aggression oder stereotypes Verhalten durch Nachahmung übernommen wird. Aus diesem Grund haben viele Länder Regelungen für die Altersfreigabe von Filmen und Videospielen eingeführt.

Im therapeutischen Kontext wird das Modelllernen als Technik eingesetzt, um positive Verhaltensweisen zu fördern. Bei der Verhaltenstherapie wird Modelllernen beispielsweise verwendet, um Patienten beizubringen, wie sie mit Angst oder sozialem Druck umgehen können, indem sie das Verhalten anderer beobachten. Ein Therapeut könnte zum Beispiel selbst ein Modell für entspanntes Verhalten in sozialen Situationen sein oder Videos einsetzen, in denen Personen erfolgreich mit herausfordernden Situationen umgehen. Patienten lernen dann durch Nachahmung, wie sie solche Fähigkeiten in ihrem eigenen Leben anwenden können.

Zusammenfassend ist das Modelllernen eine zentrale Komponente des sozialen Lernens und ein grundlegender Mechanismus, durch den Menschen Verhalten, Normen und Werte übernehmen. Es hebt die Bedeutung sozialer Interaktionen für das Lernen hervor und betont, dass Menschen durch bloßes Beobachten und Nachahmen komplexe Verhaltensweisen erlernen können, ohne diese direkt erfahren oder üben zu müssen. Damit stellt das Modelllernen ein wichtiges Konzept für die Psychologie, Erziehung und Sozialforschung dar.

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