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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Objektbeziehungstheorie

Die Objektbeziehungstheorie ist ein bedeutender Ansatz innerhalb der Psychoanalyse, der den Einfluss früher Beziehungserfahrungen, insbesondere zu primären Bezugspersonen wie den Eltern, auf die Entwicklung des Selbst und der Persönlichkeit eines Menschen untersucht. Im Zentrum dieser Theorie steht das Konzept der "Objekte," welches sich nicht auf materielle Dinge, sondern auf wichtige Beziehungspartner in der Kindheit bezieht. Diese "Objekte" (z.B. die Mutter oder der Vater) werden in der frühkindlichen Wahrnehmung als zentrale Bezugspunkte der eigenen Identität verinnerlicht und formen entscheidend, wie ein Mensch später Beziehungen erlebt und gestaltet.

Die Wurzeln der Objektbeziehungstheorie liegen in der klassischen Psychoanalyse nach Sigmund Freud, wobei spätere Theoretiker, vor allem Melanie Klein, Donald Winnicott und Otto Kernberg, das Konzept entscheidend weiterentwickelt und verfeinert haben. Klein, eine der bedeutendsten Vertreterinnen, legte den Fokus auf die frühe Kindheit und argumentierte, dass bereits Säuglinge komplexe, wenn auch unbewusste innere Bilder und Gefühle von ihren Bezugspersonen entwickeln, die sie "Objekte" nannte. Diese früh verinnerlichten Objektbilder beeinflussen das Kind in seiner gesamten psychischen Entwicklung und prägen seine inneren Beziehungsmuster.

Ein zentrales Konzept der Objektbeziehungstheorie ist die "Spaltung" (englisch: "splitting"), ein Abwehrmechanismus, der es dem Kind ermöglicht, widersprüchliche Gefühle gegenüber einer Bezugsperson zu trennen. Ein Säugling kann etwa die Mutter als "gutes Objekt" erleben, wenn sie seine Bedürfnisse erfüllt, und als "schlechtes Objekt", wenn sie nicht verfügbar ist. In der gesunden Entwicklung reifen diese inneren Bilder und integrieren sich zu einer komplexeren, nuancierteren Sichtweise, in der die Mutter als ein und dieselbe Person mit positiven und negativen Eigenschaften wahrgenommen wird. Wenn jedoch die Integration dieser positiven und negativen Bilder behindert ist, können Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung entstehen, wie etwa die Tendenz zu extremen Schwarz-Weiß-Denkweisen oder Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Ein weiterer wichtiger Begriff in der Objektbeziehungstheorie ist die "Internalisierung", das heißt, das Kind übernimmt nach und nach äußere Erfahrungen und macht sie zu einem Teil seines inneren Selbst. Diese internalisierten Objekte beeinflussen unbewusst die Wahrnehmung und Erwartungen an zukünftige Beziehungen. Ein Kind, das beispielsweise eine fürsorgliche und verlässliche Beziehung zu seinen Eltern erlebt, wird auch als Erwachsener eher in der Lage sein, vertrauensvolle und stabile Beziehungen einzugehen. Im Gegensatz dazu könnte ein Kind, das emotionale Vernachlässigung oder instabile Bezugspersonen erlebt hat, in Beziehungen misstrauisch oder ängstlich sein und eine starke Abhängigkeit oder Unsicherheit entwickeln.

Donald Winnicott, ein weiterer bedeutender Theoretiker der Objektbeziehungstheorie, führte das Konzept des "Wahren Selbst" und "Falschen Selbst" ein. Er argumentierte, dass eine stabile und einfühlsame Umgebung es dem Kind ermöglicht, ein "wahres Selbst" zu entwickeln, das seine authentischen Gefühle und Wünsche ausdrücken kann. Ist die Beziehung zur primären Bezugsperson hingegen stark gestört oder wird das Kind in seiner Entwicklung zu sehr kontrolliert, kann ein "falsches Selbst" entstehen, das sich an äußeren Erwartungen orientiert und das eigentliche Selbst verdeckt. Ein solches falsches Selbst führt oft dazu, dass Erwachsene Schwierigkeiten haben, sich selbst zu erkennen und echte, erfüllende Beziehungen einzugehen.

Otto Kernberg integrierte die Objektbeziehungstheorie in die moderne Persönlichkeitsforschung und analysierte die Entstehung und Struktur von Persönlichkeitsstörungen, insbesondere der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Kernberg sah die Unfähigkeit zur Integration widersprüchlicher Objektbilder als zentrale Ursache für die Instabilität und Intensität der Emotionen, die für diese Störung typisch sind. Menschen mit dieser Störung erleben ihre Beziehungen oft als extrem – entweder idealisieren sie andere oder empfinden tiefes Misstrauen und Abwertung, was oft zu Konflikten und emotionaler Unruhe führt.

In der psychotherapeutischen Praxis hat die Objektbeziehungstheorie wichtige Anwendungen gefunden, vor allem in der Psychodynamischen Psychotherapie. Hier wird der Fokus auf die frühen Beziehungsmuster und die Wiederholung dieser Muster in der therapeutischen Beziehung gelegt. Die Therapie ermöglicht es Patienten, die unbewussten Erwartungen und Ängste, die sie in Beziehungen hegen, zu erkennen und zu bearbeiten. Durch das Verstehen und Neuordnen der inneren Objekte kann der Patient lernen, erfüllendere und stabilere Beziehungen zu führen.

Zusammenfassend bietet die Objektbeziehungstheorie eine differenzierte Sichtweise auf die psychische Entwicklung und zeigt, wie unsere frühen Bindungserfahrungen unser Selbstbild und unsere Beziehungsmuster prägen. Sie stellt damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis psychischer Störungen und zur Gestaltung therapeutischer Prozesse dar, die Menschen dabei helfen können, vergangene Beziehungserfahrungen zu integrieren und auf diese Weise ihr gegenwärtiges Beziehungsverhalten zu verbessern.

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