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Fachbereich Psychologie
Begriffserklärung

Psychologie

Orientierungsreaktion

Die Orientierungsreaktion (OR) ist eine automatische, physiologische und psychologische Reaktion, die auftritt, wenn ein Organismus auf neue oder relevante Reize in seiner Umwelt aufmerksam wird. Die OR wird manchmal auch als „Was-ist-das?-Reaktion“ oder "Orientierungsreflex" bezeichnet und ist eng mit dem Konzept der Aufmerksamkeit und sensorischen Verarbeitung verbunden. Sie spielt eine wichtige Rolle in der menschlichen und tierischen Informationsverarbeitung, da sie dafür sorgt, dass potenziell bedeutsame Umweltveränderungen wahrgenommen und bewertet werden können.

Die Orientierungsreaktion wurde erstmals umfassend vom russischen Physiologen Iwan Pawlow beschrieben, der ihre Bedeutung für die Anpassung und das Überleben betonte. Die Reaktion ist durch eine Reihe typischer physiologischer Veränderungen gekennzeichnet: Dazu gehören beispielsweise eine Abnahme der Herzfrequenz (Bradykardie), eine leichte Erweiterung der Pupillen (Mydriasis), eine Verringerung der Atemfrequenz und eine erhöhte Hautleitfähigkeit (verursacht durch gesteigerte Schweißproduktion). Diese physiologischen Reaktionen signalisieren eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine kurzfristige Hemmung anderer, nicht unmittelbar notwendiger Prozesse, um die Verarbeitungsressourcen des Organismus auf den neuen Reiz zu konzentrieren.

Die Orientierungsreaktion ist ein zentraler Mechanismus der kognitiven und neuronalen Ressourcenallokation, da sie es dem Gehirn ermöglicht, zwischen relevanten und irrelevanten Reizen zu unterscheiden. Beispielsweise tritt die OR auf, wenn man plötzlich ein ungewohntes Geräusch hört, wie ein Klopfen oder eine laute Stimme, oder wenn im Blickfeld eine unerwartete Bewegung wahrgenommen wird. Dabei kommt es zu einer automatischen Zuwendung der Aufmerksamkeit zum Reiz, während gleichzeitig eine schnelle Bewertung erfolgt: Handelt es sich um eine potenzielle Gefahr, eine Chance oder eine neutrale Veränderung? Diese Bewertung beeinflusst, ob der Reiz weiter untersucht wird oder die Aufmerksamkeit schnell auf andere Reize zurückkehrt.

Aus neurobiologischer Sicht ist die Orientierungsreaktion mit Aktivierungen im Thalamus, präfrontalen Kortex, Colliculus superior und Hippocampus verbunden. Der präfrontale Kortex ist wichtig für die Aufmerksamkeitssteuerung, der Thalamus wirkt als Filter und Umschaltstelle für sensorische Informationen, und der Hippocampus spielt eine Rolle bei der Speicherung und Einordnung neuer Eindrücke im Gedächtnis. Die OR wird häufig mit dem Startle-Reflex verglichen, ist jedoch subtiler und spezifischer. Während der Startle-Reflex eine kurze Schreckreaktion auf intensive und potenziell bedrohliche Reize ist, richtet sich die Orientierungsreaktion auf alle Arten von neuen oder bedeutungsvollen Reizen, unabhängig davon, ob sie eine Bedrohung darstellen.

In der Psychologie und Neurowissenschaft wird die Orientierungsreaktion oft als Untersuchungsgegenstand genutzt, um Prozesse der Aufmerksamkeit und die Reizverarbeitung zu verstehen. Dazu werden in Experimenten beispielsweise Messungen der Herzrate oder Hautleitfähigkeit durchgeführt, wenn Probanden neuen oder unerwarteten Reizen ausgesetzt werden. Durch die Beobachtung dieser Reaktion kann ermittelt werden, welche Art von Reizen besonders aufmerksamkeitsstark sind und wie das Gehirn auf abweichende sensorische Informationen reagiert.

Die Orientierungsreaktion kann durch wiederholte Exposition gegenüber demselben Reiz habituiert werden. Das bedeutet, dass der Reiz nach mehrfacher Darbietung immer weniger Aufmerksamkeit erregt, weil das Gehirn ihn als ungefährlich oder irrelevant einstuft. Habituation ist ein wichtiger Prozess im täglichen Leben, da er dem Gehirn ermöglicht, sich auf neue, potenziell wichtigere Reize zu konzentrieren, ohne von bekannten, irrelevanten Hintergrundinformationen abgelenkt zu werden.

Insgesamt ist die Orientierungsreaktion ein grundlegender und automatisierter Mechanismus der sensorischen Aufmerksamkeit, der eine adaptive Funktion für das Überleben und die effiziente Informationsverarbeitung erfüllt. Sie ist ein zentraler Bestandteil dessen, wie Menschen und Tiere auf ihre Umwelt reagieren und spielt eine wesentliche Rolle in der psychophysiologischen Forschung zur Reizwahrnehmung und Aufmerksamkeitslenkung.

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