Blogverzeichnis Bloggerei.de
top of page

Cargo-Kult

Soziale Phänomene

Quadratisches Gemälde: Inmitten tropischer Vegetation steht ein stilisiertes Holzflugzeug, daneben zwei Männer in selbstgebauten Uniformen mit Stöcken als Gewehre – zwischen Ehrfurcht, Improvisation und Ritual.

Eines Tages landet ein riesiges Flugzeug auf deiner abgelegenen Insel. Fremde Menschen steigen aus, bringen Kisten voller Kleidung, Konserven, Werkzeug – alles kostenlos. Dann verschwinden sie wieder. Und du denkst: Diese "Cargo"-Geschenke kommen von den Göttern.


Genau hier beginnt die faszinierende, manchmal traurige und immer lehrreiche Geschichte der Cargo-Kulte – ein Phänomen, das zeigt, was passieren kann, wenn kulturelle Welten aufeinanderprallen.


Der Begriff Cargo-Kult (engl. „cargo“ = Fracht) beschreibt neureligiöse Bewegungen auf Inseln im Pazifik (vor allem Melanesien), die ab dem 19. Jahrhundert – und besonders während und nach dem Zweiten Weltkrieg – entstanden.


Als plötzlich Schiffe, Flugzeuge und Soldaten der Kolonialmächte oder der US-Armee auftraten, brachten sie Materialien („Cargo“) von unglaublichem Wert mit – aus Sicht der lokalen Bevölkerung: Uniformen, Medikamente, Konserven, Spiegel, Werkzeuge, Zelte, Radios…


Ohne Zugang zu westlicher Technik oder globaler Wirtschaft begannen manche Gemeinschaften zu glauben, diese Güter kämen von Ahnengeistern oder Göttern – und seien durch Rituale der Fremden herbeigerufen worden.


Was folgte, ist spektakulär:

  • Menschen errichteten Holzflugzeuge und Landebahnen, um die „Cargo-Götter“ zurückzulocken.

  • Sie bastelten Funkgeräte aus Kokosnüssen, hielten Wache mit Holzgewehren in Uniformnachbildungen – in der Hoffnung, das „heilige Ritual“ zu wiederholen.

  • Einer der bekanntesten Kulte: Der John-Frum-Kult auf der Insel Tanna (Vanuatu), bei dem ein mystischer „John from America“ als heiliger Bringer von Reichtum verehrt wird – inklusive Fahnenmast, Militärparaden und dem „Tag von John Frum“ am 15. Februar.


Aber Achtung: Das Ganze ist keine naive Dummheit, sondern ein logischer Versuch, das Unerklärliche zu deuten – mit den Mitteln der eigenen Kultur. Wenn man keine Ahnung hat, was ein Funkgerät ist, aber sieht, dass damit scheinbar Nahrung vom Himmel kommt, liegt der Gedanke an Magie oder göttliche Kräfte nicht fern.


In der modernen Soziologie und Wissenschaftskritik ist der Begriff „Cargo-Kult“ mittlerweile auch eine Metapher geworden – etwa für Organisationen oder Forschung, die nur die äußere Form nachahmen, aber den tieferen Sinn nicht verstehen. Der Physiker Richard Feynman sprach etwa von „Cargo-Kult-Wissenschaft“, wenn Methodik simuliert wird, aber echte Erkenntnis ausbleibt.


Cargo-Kulte sind faszinierende Beispiele für kulturelle Reaktion auf plötzlichen Technologiekontakt – sie zeigen, wie schnell Religion, Ritual und Mythos entstehen können, wenn Menschen versuchen, das Unerklärliche in ihre Welt zu integrieren. Und sie erinnern uns daran, dass Fortschritt ohne Verständnis nicht unbedingt Verständigung bedeutet.

bottom of page
TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste