Du triffst jemanden im Ausland, und plötzlich ruft ihr beide: „Du kommst auch aus Wuppertal?!“ – sofort seid ihr „ein Team“. Dabei kennt ihr euch nicht, teilt keinen Alltag, habt nur zufällig denselben Wohnort. Und trotzdem: ein kleines, warmes Gruppengefühl macht sich breit.
Das ist ein klassischer Fall von Granfalloon – einem Konzept aus der Sozialpsychologie (und Literatur!), das beschreibt, wie Menschen starke Gruppenidentitäten auf der Basis völlig bedeutungsloser Merkmale entwickeln.
Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Roman „Cat’s Cradle“ (Katzenwiege) von Kurt Vonnegut. Dort bezeichnet ein „Granfalloon“ eine Gruppe von Menschen, die glauben, durch etwas Bedeutendes verbunden zu sein – obwohl es in Wahrheit keine echte Verbindung gibt. Vonnegut selbst nennt als Beispiel:
„Ein Granfalloon ist zum Beispiel jemand, der sagt: 'Ich bin ein Hoosier!'“
(Hoosier = Bewohner von Indiana)
Die Sozialpsychologie hat dieses satirische Konzept später wissenschaftlich aufgegriffen – und siehe da: Menschen sind wahre Meister darin, sich in Granfalloons zu organisieren.
Beispiele gefällig?
Leute mit denselben Anfangsbuchstaben im Vornamen
Fans einer bestimmten Automarke
Teilnehmer eines Online-Kurses
Geburtstagskinder des selben Monats
Träger bestimmter Handyhüllen
…und natürlich: "Team Edward" vs. "Team Jacob"
Der Effekt dahinter ist tief in uns verankert: Wir Menschen sind soziale Wesen. Gruppenidentität gibt uns Sicherheit, Orientierung – und das gute Gefühl, „dazuzugehören“. Auch wenn das verbindende Element völlig banal ist.
Granfalloons können harmlos und sogar lustig sein – oder sie führen zu echten Gruppendynamiken, bis hin zu Abgrenzung, Vorurteilen oder Ingroup/Outgroup-Denken. Stichwort:
Minimalgruppenparadigma – Experimente zeigen, dass Menschen schon bei zufällig zugeteilten Gruppen anfangen, „ihre“ Gruppe zu bevorzugen und „die anderen“ schlechter zu bewerten. Auch wenn die Gruppenzugehörigkeit komplett sinnfrei ist.
Der Granfalloon ist ein wunderbar absurdes, aber real existierendes Phänomen – er zeigt, wie leicht wir uns durch Symbolik, Zufall oder Belanglosigkeit in Gruppen einsortieren. Und dass wir manchmal dringend hinterfragen sollten, ob unser „Wir-Gefühl“ wirklich Substanz hat… oder einfach nur ein cleverer Klecks Gruppenkleber ist.