Stirbt der Grüne Deal den Tod der tausend Schnitte?
- Benjamin Metzig
- 30. Juni
- 4 Min. Lesezeit

Nehmen wir mal an, Du stehst an einer Weggabelung. Der eine Pfad führt durch eine blühende, lebendige Landschaft voller Leben und Potenzial. Der andere führt in eine ausgedörrte, rissige Einöde. Vor ein paar Jahren schien es, als hätte sich Europa entschieden. Mit dem Europäischen Grünen Deal wurde eine Vision entworfen, die nichts weniger als Europas Mondlandung sein sollte: der erste klimaneutrale Kontinent der Welt. Eine atemberaubende Idee, die Wirtschaft, Gesellschaft und Natur in Einklang bringen sollte. Doch heute, im Jahr 2024, spüren wir ein politisches Beben. Ein kalter Wind weht über die blühende Wiese, und die Risse im Boden scheinen tiefer zu werden. Die Frage, die uns alle umtreiben sollte, ist nicht mehr ob wir den grünen Weg gehen, sondern ob wir ihn überhaupt noch finden. Denn der Green Deal wird nicht mit einem lauten Knall gekippt, sondern droht, in einem schleichenden Prozess der Aushöhlung zu verschwinden – ein Tod durch tausend kleine Schnitte.
Die politische Landschaft nach den jüngsten Europawahlen hat sich dramatisch verändert. Die Kräfte, die den Green Deal einst als unumstößliches Flaggschiff feierten, sind geschwächt. Stattdessen gewinnen Stimmen an Lautstärke, die von „Regulierungspausen“ sprechen, die Wettbewerbsfähigkeit über alles stellen und in den Umweltauflagen eine unerträgliche Last sehen. Das neue Zauberwort in Brüssel lautet nicht mehr „Green Deal“, sondern „Clean Industrial Deal“. Klingt gut, oder? Doch der Teufel steckt im Detail. Während der ursprüngliche Plan unsere gesamte Wirtschaft an die planetaren Grenzen anpassen wollte, konzentriert sich der neue Fokus vor allem auf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA. Der Schutz von Klima und Biodiversität wird dabei zu einem Nebenschauplatz degradiert, der nur dann eine Rolle spielt, wenn er der Industrie nicht im Weg steht. Gleichzeitig haben wir alle die Bilder der Bauernproteste gesehen, die ganz Europa erfasst haben. Ihr Druck hat bereits zu konkreten Ergebnissen geführt: Kernpunkte der Agrarwende, wie die Reduzierung von Pestiziden oder die Pflicht, Flächen für die Natur brachliegen zu lassen, wurden kassiert. Ein gefährlicher Präzedenzfall, der zeigt: Wer am lautesten schreit, bekommt Recht.
Das ist ein unglaublich komplexes Feld, und ich bin wahnsinnig gespannt auf deine Meinung. Ist der Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit eine notwendige Korrektur oder der Anfang vom Ende unserer Klimaambitionen? Hinterlasse gerne einen Like, wenn dich das Thema bewegt, und lass uns in den Kommentaren darüber diskutieren!
Doch die wirkliche Gefahr lauert im Verborgenen, in den unscheinbaren Paragrafen und den technischen Anhängen von Gesetzespaketen. Man könnte es als eine Guerilla-Taktik gegen die Nachhaltigkeit bezeichnen. Die EU hatte ein geniales Ökosystem der Transparenz geschaffen, das auf drei Säulen ruhte:
Die Taxonomie: Ein wissenschaftlicher Kompass, der klar definiert, was wirklich „grün“ und nachhaltig ist.
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD): Eine Pflicht für Unternehmen, offenzulegen, wie nachhaltig (oder eben nicht) sie wirtschaften.
Das Lieferkettengesetz (CSDDD): Ein Instrument, das Unternehmen für Umwelt- und Menschenrechtsverstöße in ihren globalen Wertschöpfungsketten zur Verantwortung zieht.
Diese drei Instrumente waren der Motor, der privates Kapital in die grüne Transformation lenken sollte. Doch jetzt wird dieser Motor systematisch zerlegt. Unter dem Vorwand des „Bürokratieabbaus“ werden die Berichtspflichten massiv aufgeweicht, die Haftung im Lieferkettengesetz praktisch abgeschafft und der wissenschaftliche Kompass der Taxonomie so stark vereinfacht, dass er seine Richtung verliert. Das Ergebnis? Der Markt wird blind für Nachhaltigkeitsrisiken. Greenwashing wird Tür und Tor geöffnet. Die Strategie, den Wandel über den Markt zu finanzieren, bricht in sich zusammen.
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Was bedeutet das alles für uns, für unsere Zukunft und für Europas Platz in der Welt? Ganz einfach: Die Lücke zwischen dem, was auf dem Papier steht – Klimaneutralität bis 2050 – und dem, was politisch getan wird, klafft immer weiter auseinander. Wir steuern auf ein massives „Umsetzungsdefizit“ zu. Das ist nicht nur eine ökologische Katastrophe, sondern auch ökonomischer Wahnsinn. Jede Studie zeigt: Die Kosten der Untätigkeit, die Kosten für Dürren, Überschwemmungen und den Verlust von Ökosystemen, übersteigen die Kosten für den Wandel um ein Vielfaches. Wir verschieben die Last auf die Schultern unserer Kinder und Enkelkinder und stellen ihnen eine Rechnung aus, die sie niemals begleichen können. Das ist der Kernbruch des Prinzips der Generationengerechtigkeit.
Und global? Europa, der selbsternannte Klimavorreiter, verliert seine Glaubwürdigkeit. Wir demontieren unseren größten Wettbewerbsvorteil – einen klaren, stabilen Regulierungsrahmen für grüne Technologien – und überlassen das Feld den USA und China.
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Am Ende stehen wir wieder an jener Weggabelung. Der Grüne Deal war Europas Versprechen, den Weg in eine lebenswerte Zukunft zu weisen. Doch dieses Versprechen wird gerade durch unzählige kleine politische Kompromisse, Lobby-Siege und eine Rhetorik der Angst ausgehöhlt. Es liegt an uns allen – als Wähler, als Konsumenten, als Bürger –, genau hinzusehen und zu fordern, dass dieser schleichende Prozess gestoppt wird. Denn die entscheidende Frage ist nicht, ob wir uns Klimaschutz leisten können, sondern ob wir es uns leisten können, es nicht zu tun. Welchen Weg wird Europa am Ende wählen?
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Verwendete Quellen:
Europawahl 2024: Das Ergebnis aus NABU-Sicht - https://www.nabu.de/news/2024/06/35028.html
100 Tage EU-Kommission – Der Green Deal steht unter Druck - Deutscher Naturschutzring - https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/100-tage-eu-kommission-der-green-deal-steht-unter-druck
Green Deal der EU: Welche Folgen hat die Europawahl 2024? - ZDFheute - https://www.zdfheute.de/politik/eu-green-deal-klimagesetz-manfred-weber-terry-reintke-interview-100.html
Deregulation Watch | Corporate Europe Observatory - https://corporateeurope.org/en/deregulation-watch
Klimapolitik: Was ist aus Europas Green Deal geworden? | bpb.de - https://www.bpb.de/themen/europawahlen/dossier-europawahlen/546894/klimapolitik-was-ist-aus-europas-green-deal-geworden/
EU reagiert auf Bauernproteste – bleibt Umwelt auf der Strecke? - Bayerischer Rundfunk - https://www.br.de/nachrichten/bayern/eu-reagiert-auf-bauernproteste-bleibt-umwelt-auf-der-strecke,U3X49aR
Historischer Sieg für die Natur - WWF Deutschland - https://www.wwf.de/2024/juni/historischer-sieg-fuer-die-natur
EU-Parlament beschließt Naturwiederherstellungsgesetz - Bauernstimme - https://www.bauernstimme.de/news/details/eu-parlament-beschliesst-naturwiederherstellungsgesetz
Die Glaubwürdigkeit der EU‑Klimapolitik steht auf dem Spiel - klimareporter° - https://www.klimareporter.de/europaeische-union/die-glaubwuerdigkeit-der-eu-klimapolitik-steht-auf-dem-spiel
Europäisches Klimagesetz - EU Climate Action - European Union - https://climate.ec.europa.eu/eu-action/european-climate-law_de
Kosten des Klimawandels – Neuste Erkenntnisse aus der Forschung - BMWK.de - https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik/2024/07/04-kosten-des-klimawandels.html
Die internationale Dimension europäischer Klimapolitik - Stiftung Wissenschaft und Politik - https://www.swp-berlin.org/10.18449/2024A67/
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