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WTF-Fragen
Könnte dein Nachbar ein Zombie sein, ohne dass du es merkst?
Kategorie:
Philosophie
Der kurze TEASER:
Ja – und damit ist kein blutrünstiges Monster gemeint. Die Philosophie kennt Wesen, die aussehen und handeln wie Menschen, aber innerlich leer sind – eine Vorstellung, die unser Verständnis von Bewusstsein auf den Kopf stellt.
Die ausführliche Antwort:
Das Wort „Zombie“ beschwört sofort Bilder von schlurfenden, gehirnfressenden Untoten herauf. Doch lass uns diese popkulturelle Vorstellung für einen Moment beiseitelegen und in einen der seltsamsten und gleichzeitig faszinierendsten Winkel der modernen Philosophie des Geistes eintauchen. Hier treffen wir auf den „philosophischen Zombie“ (kurz P-Zombie), ein Gedankenexperiment, das so verstörend wie erhellend ist. Ein P-Zombie ist eine exakte physikalische Kopie eines Menschen. Er hat denselben Körper, dieselben Gehirnstrukturen, dieselben Verhaltensweisen. Er lacht über deine Witze, weint bei traurigen Filmen, führt komplexe Diskussionen über das Wetter und beschwert sich montags über die Arbeit. Er würde jeden medizinischen Scan bestehen, von einem MRT bis zu einem EEG. Es gibt nur einen einzigen, fundamentalen Unterschied: In seinem Inneren ist niemand zu Hause. Es brennt kein Licht. Der P-Zombie erlebt nichts. Er hat kein Bewusstsein, keine subjektiven Empfindungen, keine „Qualia“.
Was sind Qualia? Das ist der wissenschaftliche Begriff für das, was wir ganz persönlich und subjektiv erleben. Es ist das spezifische „Rot“ einer Tomate, das du siehst, die besondere „Süße“ von Honig, die du schmeckst, die Wärme der Sonne auf deiner Haut oder die Melancholie, die ein bestimmtes Lied in dir auslöst. Es sind die Farben auf der Leinwand unseres Geistes. Der P-Zombie verhält sich zwar so, als würde er all das erleben – er sagt „Oh, was für ein schönes Rot!“ –, aber innerlich ist da nur Dunkelheit. Eine leere Kinoleinwand. Seine Worte sind das Ergebnis komplexer neuronaler Berechnungen, eine rein physikalische Reaktion auf einen Reiz, aber sie sind nicht mit einem echten Gefühl unterfüttert. Er ist ein perfekter Schauspieler, der nicht einmal weiß, dass er eine Rolle spielt.
Dieses Gedankenexperiment wurde vor allem durch den australischen Philosophen David Chalmers populär gemacht. Es dient nicht dazu, zu beweisen, dass es solche Zombies wirklich gibt. Vielmehr ist es ein Werkzeug, ein intellektueller Dietrich, um eine der hartnäckigsten Fragen der Wissenschaft und Philosophie aufzubrechen: das „schwere Problem des Bewusstseins“ (the hard problem of consciousness). Das „leichte“ Problem ist zu erklären, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, Reize erkennt und Verhalten steuert. Das ist zwar unglaublich komplex, aber wir glauben, dass wir es mit den Mitteln der Neurowissenschaften prinzipiell lösen können. Das schwere Problem aber lautet: Warum fühlt es sich überhaupt irgendwie an, ein Gehirn zu sein? Warum ist all diese Informationsverarbeitung nicht einfach ein unbewusster, dunkler Prozess? Warum gibt es einen inneren Film, ein subjektives Erleben?
Die Existenz von P-Zombies ist logisch denkbar. Wir können uns eine Welt vorstellen, die physikalisch identisch zu unserer ist, aber in der niemand Bewusstsein hat. Wenn das denkbar ist, so argumentiert Chalmers, dann kann Bewusstsein nicht vollständig durch physikalische Eigenschaften erklärt werden. Wäre es rein physikalisch, dann müsste eine physikalische Kopie zwangsläufig auch eine bewusste Kopie sein – genau wie eine physikalische Kopie eines Wassermoleküls zwangsläufig die Eigenschaft hat, bei 100 Grad Celsius zu kochen. Wenn Bewusstsein aber eine zusätzliche, nicht-physikalische Zutat ist, dann öffnet das die Tür für die Idee, dass es Wesen geben könnte, denen diese Zutat fehlt.
Kritiker, wie der Philosoph Daniel Dennett, halten das ganze Konzept für eine logische Unmöglichkeit, einen irreführenden Taschenspielertrick. Sie argumentieren, dass das Verhalten und die Gehirnprozesse untrennbar mit dem Erleben verbunden sind. Ein Wesen, das perfekt über seine Gefühle berichten kann, alle Nuancen von Freude und Schmerz beschreibt und kreativ auf seine Umwelt reagiert, muss diese Gefühle auch haben. Alles andere sei eine falsche Vorstellung von Bewusstsein als eine Art mystischer „Geist in der Maschine“. Das Verhalten ist der Ausdruck des Bewusstseins.
Doch die Frage bleibt quälend: Woran erkennst du den Unterschied? Du kannst nicht in den Kopf deines Nachbarn schauen. Du nimmst nur sein Verhalten wahr, seine Worte, sein Lächeln. Du schließt daraus, dass er, genau wie du, eine reiche innere Welt hat. Aber es ist ein Schluss, eine Annahme, kein Beweis. Die Möglichkeit des P-Zombies zwingt uns, die Grundlage unseres sozialen Miteinanders zu hinterfragen. Wir behandeln andere Menschen als bewusste Wesen, weil wir annehmen, dass hinter ihren Augen jemand ist, der uns ansieht. Die Vorstellung, dass dies nur eine leere Hülle sein könnte, ein unglaublich komplexer biologischer Roboter, ist zutiefst beunruhigend. Es kratzt an der Essenz dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein und stellt die vielleicht größte ungelöste Frage der Wissenschaft in den Raum: Was genau ist dieses Ich, das die Welt erlebt?
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