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WTF-Fragen
 

Schmeckt das Universum nach Himbeeren und riecht nach Rum?

 

Kategorie:

Chemie

Der kurze TEASER:

Ja, zumindest im Zentrum unserer Galaxie! Eine riesige Wolke aus dem Stoff, der Himbeeren ihr Aroma verleiht, schwebt durchs All – und sie enthält auch Moleküle, die für einen Hauch von Rum-Geruch sorgen.

Die ausführliche Antwort:

Ein Bissen von einer frischen Himbeere, ein Schluck eines alten Rums – beides sind komplexe Sinneserfahrungen, die wir sofort mit irdischen Dingen verbinden. Wir denken an Sommer, an Destillerien, an Chemie, die hier auf unserem Planeten stattfindet. Der Gedanke, dass diese spezifischen Aromen in den eiskalten, leeren Weiten des Weltraums existieren könnten, klingt wie Science-Fiction. Doch die Realität der Astrochemie ist oft bizarrer und wunderbarer als jede Fiktion. Im Zentrum unserer Milchstraße, etwa 26.000 Lichtjahre von uns entfernt, befindet sich eine gigantische Molekülwolke namens Sagittarius B2. Diese kosmische Wolke ist eine wahre Geburtsstätte für Sterne, ein dichtes Gemisch aus Gas und Staub, das langsam kollabiert, um neue Sonnen zu formen. Doch sie ist auch eine gigantische Chemiefabrik. Astronomen, die ihre Radioteleskope auf Sagittarius B2 richteten, machten eine verblüffende Entdeckung. Sie analysierten das Licht, das durch diese Wolke dringt, und suchten nach den chemischen "Fingerabdrücken" – den spezifischen Frequenzen, bei denen Moleküle Energie absorbieren oder aussenden. Dabei stießen sie auf eine ganze Menagerie komplexer organischer Verbindungen. Unter den Dutzenden von identifizierten Molekülen waren zwei besonders bemerkenswert: Ethylformiat (C3​H6​O2​) und Propylcyanid (C3​H7​CN). Ethylformiat ist hier auf der Erde ein bekannter Stoff. Es ist ein Ester, eine chemische Verbindung, die für viele fruchtige Gerüche und Geschmäcker verantwortlich ist. Ganz besonders ist es die Schlüsselkomponente, die Himbeeren ihr charakteristisches Aroma verleiht. Propylcyanid wiederum wird oft mit dem Geruch von Rum in Verbindung gebracht. Die Konzentrationen sind natürlich nicht so hoch, dass man mit einem Raumschiff hinfliegen und einen kosmischen Cocktail genießen könnte. Die Wolke ist immer noch größtenteils ein Vakuum nach irdischen Maßstäben. Aber die schiere Größe ist unvorstellbar: Die Wolke enthält genug Ethylformiat, um den "Himbeergeschmack" für jeden Erdenbürger milliardenfach zu replizieren. Wie aber entsteht so etwas Komplexes im All? Die Bedingungen in Sagittarius B2 sind extrem: Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt von -273,15 Grad Celsius und eine ständige Bombardierung durch kosmische Strahlung. Doch genau diese extremen Bedingungen sind der Schlüssel. Die riesige Wolke ist reich an Staubkörnern, die mit einer dünnen Eisschicht überzogen sind. Diese eiskalten Staubkörner wirken wie winzige kosmische Labore. Einfache Atome wie Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, die in der Wolke schweben, bleiben an diesen gefrorenen Oberflächen haften. Die eisige Kälte verlangsamt sie genug, damit sie sich nahekommen können. Dann kommt die Energie ins Spiel. Die allgegenwärtige kosmische Strahlung und das ultraviolette Licht junger, heißer Sterne in der Nähe liefern die nötige Energie, um chemische Bindungen aufzubrechen und die Atome zu neuen, komplexeren Molekülen zu rekombinieren. Über Millionen von Jahren bauen sich so schrittweise immer kompliziertere Strukturen auf – von einfachen Molekülen wie Wasser (H2​O) und Methanol (CH3​OH) bis hin zu den Bausteinen für Zucker (Glykolaldehyd) und eben den Aromastoffen wie Ethylformiat. Wenn ein Stern in der Nähe entsteht oder ein Staubkorn durch Strahlung erwärmt wird, verdampfen diese Moleküle von der Oberfläche und können dann von Radioteleskopen als Gas nachgewiesen werden. Diese Entdeckung ist weit mehr als nur eine witzige Anekdote. Sie ist ein fundamentaler Beweis dafür, dass die Chemie, die Leben auf der Erde ermöglicht hat, nicht einzigartig ist. Die organischen Moleküle, die als Vorläufer für Aminosäuren und Zucker gelten – die Bausteine des Lebens, wie wir es kennen – werden im Universum quasi am laufenden Band produziert. Kometen und Asteroiden, die in solchen Wolken geboren werden, könnten diese Moleküle wie kosmische Lieferdienste durch die Galaxie transportieren und auf jungen Planeten wie der frühen Erde abliefern. Die Tatsache, dass das Zentrum unserer Galaxie also nach Himbeeren und Rum riecht, ist ein duftendes Indiz dafür, dass die Zutaten für das Leben überall sein könnten.
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