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WTF-Fragen
Warum gefriert heißes Wasser manchmal schneller als kaltes?
Kategorie:
Physik
Der kurze TEASER:
Weil die Physik auf den zweiten Blick oft die Intuition aushebelt. Ein Mix aus Verdunstung, gelösten Gasen und speziellen Wärmeströmungen kann heißem Wasser unter den richtigen Bedingungen einen entscheidenden Vorsprung im Rennen zum Gefrierpunkt verschaffen.
Die ausführliche Antwort:
Jede Faser unserer Alltagserfahrung schreit uns entgegen: Wenn du etwas Kaltes noch kälter machen willst, geht das schneller, als wenn du mit etwas Heißem beginnst. Ein lauwarmer Drink wird im Eisfach schneller zum Eisblock als eine Tasse kochender Tee. Das ist logisch, sonnenklar und physikalisch einleuchtend – und trotzdem unter bestimmten Umständen komplett falsch. Die Beobachtung, dass heißes Wasser schneller gefrieren kann als kaltes, ist als „Mpemba-Effekt“ bekannt und ist ein physikalisches Paradoxon, das Wissenschaftler seit Jahrhunderten fasziniert und spaltet.
Die Geschichte hinter dem Namen ist fast so gut wie die Wissenschaft selbst. Wir schreiben das Jahr 1963 in Tansania. Ein junger Schüler namens Erasto B. Mpemba stellt im Kochunterricht Eiscreme her. In der Eile, sich einen der begehrten Plätze im Gemeinschafts-Gefrierschrank zu sichern, stellt er seine Mischung noch heiß hinein, während seine Klassenkameraden ihre brav abkühlen lassen. Als er später nachsieht, macht er eine schockierende Entdeckung: Seine heiße Mischung ist bereits gefroren, während die der anderen noch flüssig ist. Sein Lehrer tut die Beobachtung als Unfug ab – „Das kann nicht sein, das ist nicht die Physik, die wir kennen!“ –, doch Mpemba lässt sich nicht beirren. Jahre später, bei einem Vortrag des Physikprofessors Denis G. Osborne an seiner Schule, stellt er die entscheidende Frage: „Wenn man zwei gleiche Behälter mit Wasser nimmt, einen mit 35 °C und einen mit 100 °C, und sie in einen Gefrierschrank stellt, warum gefriert der mit 100 °C zuerst?“ Osborne ist zunächst ebenfalls skeptisch, verspricht aber, das Experiment nachzustellen. Zu seiner eigenen Überraschung bestätigt sein Labor den Effekt. Das Paradoxon hatte einen Namen.
Doch was steckt dahinter? Bis heute gibt es keine einzige, universell akzeptierte Erklärung, sondern ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die je nach Situation mal mehr, mal weniger stark zum Tragen kommen. Es ist ein perfektes Beispiel dafür, wie eine simple Frage eine Lawine komplexer Physik auslösen kann.
Verdunstung: Dies ist einer der Hauptverdächtigen. Heißes Wasser verdunstet logischerweise viel schneller als kaltes. Wenn Wasser verdunstet, entzieht es der verbleibenden Flüssigkeit Energie, was zu einem Kühleffekt führt (das gleiche Prinzip wie beim Schwitzen). Noch wichtiger ist aber: Durch die Verdunstung verringert sich die Gesamtmasse des Wassers. Wenn man also 1 Liter heißes und 1 Liter kaltes Wasser ins Rennen schickt, hat der heiße Behälter nach einer Weile vielleicht nur noch 0,95 Liter Inhalt. Eine geringere Menge Wasser gefriert natürlich schneller. Das heiße Wasser verschafft sich also einen Vorsprung, indem es schrumpft.
Gelöste Gase: Kaltes Wasser kann deutlich mehr Gase (wie Sauerstoff oder Kohlendioxid) gelöst halten als heißes Wasser. Beim Erhitzen werden diese Gase ausgetrieben. Diese gelösten Gase können die thermischen Eigenschaften des Wassers leicht verändern und den Gefrierpunkt subtil beeinflussen. Wasser mit weniger gelösten Gasen könnte eine etwas höhere Wärmeleitfähigkeit haben oder leichter Eiskristalle bilden, was den Prozess beschleunigt.
Konvektion: Hier wird es richtig spannend. Wenn Wasser abkühlt, entstehen in ihm Wärmeströmungen, die sogenannte Konvektion. Kälteres, dichteres Wasser an der Oberfläche sinkt ab, während wärmeres Wasser von unten aufsteigt. Bei heißem Wasser ist der Temperaturunterschied zwischen dem Wasser und der kalten Umgebungsluft im Gefrierfach viel größer. Dies führt zu stärkeren und effizienteren Konvektionsströmen, die die Wärme schneller aus dem gesamten Wasserkörper abtransportieren. Das kalte Wasser hat hingegen trägere Strömungen und kühlt dadurch möglicherweise langsamer als Ganzes ab.
Unterkühlung und Umgebung: Wasser gefriert nicht immer bei exakt 0 °C. Es kann oft in einen „unterkühlten“ Zustand geraten, also flüssig bleiben, obwohl seine Temperatur bereits unter dem Gefrierpunkt liegt. Erst eine kleine Störung oder ein Kristallisationskeim löst dann das schlagartige Frieren aus. Einige Theorien besagen, dass das zuvor erhitzte Wasser aufgrund seiner veränderten Struktur (weniger Gase, andere Verteilung von Verunreinigungen) weniger stark unterkühlt und somit früher mit der Eisbildung beginnt. Zudem kann ein heißer Behälter eine isolierende Frostschicht im Eisfach unter sich schmelzen und so einen besseren thermischen Kontakt zur Kühlfläche herstellen, was die Wärmeableitung drastisch verbessert.
Der Mpemba-Effekt ist also kein simpler Trick, sondern das Ergebnis eines komplexen Wettstreits verschiedener physikalischer Prozesse. Es ist ein faszinierendes Puzzle, das uns daran erinnert, dass selbst die alltäglichsten Phänomene noch Geheimnisse bergen, die darauf warten, mit neugierigem Geist – wie dem eines tansanischen Schülers – hinterfragt zu werden.
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