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WTF-Fragen
 

Warum zum Teufel leuchten manche Pilze im Dunkeln?

 

Kategorie:

Biologie

Der kurze TEASER:

Weil sie Insekten täuschen, um als „Pilz-Taxi“ missbraucht zu werden. Das unheimliche Leuchten ist im Grunde eine geniale, biologische Werbetafel für eine Mitfahrgelegenheit der besonderen Art.

Die ausführliche Antwort:

Das Phänomen, das aussieht wie eine Szene aus Avatar, aber direkt hier auf der Erde in unseren Wäldern stattfindet, nennt sich Biolumineszenz. Es ist keine Magie, sondern knallharte Chemie, die von der Evolution über Jahrmillionen perfektioniert wurde. Man kennt das von Glühwürmchen oder Tiefseefischen, aber bei Pilzen? Das wirkt zunächst bizarr und sinnlos. Warum sollte ein Organismus, der fest im Boden oder an einem Baumstamm verankert ist, kostbare Energie darauf verschwenden, nachts zu leuchten? Er kann ja nicht weglaufen, um einen Partner zu finden oder Feinde zu erschrecken. Die Antwort ist ebenso clever wie faszinierend und hat die Wissenschaft lange vor ein Rätsel gestellt. Der biochemische Motor hinter dem Leuchten ist eine chemische Reaktion, die in ihrer Effizienz jede von Menschen geschaffene LED in den Schatten stellt. Eine Gruppe von Molekülen, die Luciferine (vom lateinischen „lucifer“, der Lichtträger), wird durch ein Enzym namens Luciferase mit Sauerstoff oxidiert. Bei dieser Reaktion wird Energie nicht als Wärme, sondern fast vollständig in Form von kaltem, grünlichem Licht freigesetzt. Dieser Prozess ist bei den über 100 bekannten leuchtenden Pilzarten, wie dem „Ghost Fungus“ (Omphalotus nidiformis) oder dem „Mycena lucentipes“, im Grunde derselbe. Doch das Warum blieb lange im Dunkeln – wortwörtlich. Erst neuere Forschungen, unter anderem aus Brasilien und den USA, knackten den Code. Forscher stellten künstliche, leuchtende Pilze aus Acryl her und platzierten sie neben echten, aber nicht-leuchtenden Pilzen im Wald. Das Ergebnis war überwältigend: Die leuchtenden Attrappen wurden von einer wahren Armada an nachtaktiven Insekten umschwärmt – Käfer, Fliegen, Wespen und Ameisen. Die nicht-leuchtenden Kontrollobjekte wurden weitgehend ignoriert. Das Licht funktioniert also wie die Leuchtreklame eines 24-Stunden-Diners in der Wildnis. Es lockt gezielt Insekten an, die sich im Dunkeln orientieren. Aber wozu der ganze Aufwand? Pilze können sich nicht bewegen, um ihre Sporen – ihre mikroskopisch kleinen „Samen“ – zu verbreiten. Sie sind darauf angewiesen, dass Wind, Wasser oder eben Tiere diese Aufgabe für sie übernehmen. Und hier schließt sich der Kreis: Die angelockten Insekten krabbeln über den leuchtenden Fruchtkörper des Pilzes, fressen vielleicht sogar Teile davon und nehmen dabei unweigerlich die Sporen auf, die an ihren Beinen, Fühlern und Körpern haften bleiben. Fliegen sie dann weiter zum nächsten Baum oder Waldboden, transportieren sie die Sporen an neue Orte, wo der Pilz eine neue Kolonie gründen kann. Der Pilz nutzt die Insekten also als kostenloses, interkontinentales Transportmittel. Er hat im Laufe der Evolution „gelernt“, dass die Investition von Energie in Licht eine höhere Erfolgsquote bei der Fortpflanzung bringt, als sich nur auf den Wind zu verlassen. Besonders genial ist dabei das Timing. Viele dieser Pilze leuchten nicht rund um die Uhr. Sie folgen einem zirkadianen Rhythmus, ähnlich unserer inneren Uhr. Das Leuchten wird zur Abenddämmerung hochgefahren und erreicht seinen Höhepunkt in der tiefsten Nacht, genau dann, wenn die relevanten Insekten am aktivsten sind. Tagsüber, wenn das Licht von der Sonne überstrahlt würde und die nachtaktiven Taxis „Feierabend“ haben, dimmen die Pilze ihre Beleuchtung und sparen so wertvolle Energie. Es ist ein perfekt abgestimmtes Ökosystem-Marketing. Das Ganze ist ein Paradebeispiel für evolutionäre Anpassung, bei der ein Organismus eine scheinbar bizarre Eigenschaft entwickelt, die ihm einen entscheidenden Überlebensvorteil sichert. Wenn du also das nächste Mal im Wald ein unheimliches, grünes Glimmen siehst, ist es kein Geist und keine Fee. Es ist nur ein extrem cleverer Pilz, der gerade seine „Uber-Fahrer“ für die Nachtschicht anwirbt.
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