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WTF-Fragen
Wenn du eine Atombombe zündest, bist du dann für immer radioaktiv verstrahlt?
Kategorie:
Physik
Der kurze TEASER:
Nein – und die Wahrheit ist weitaus seltsamer. Die größte Gefahr ist nicht die Strahlung, die an dir haften bleibt, sondern die, die durch dich hindurchgeht und dabei eine unsichtbare Zerstörung anrichtet.
Die ausführliche Antwort:
Die Vorstellung, nach einer Atomexplosion für immer wie ein menschlicher Leuchtstab zu glühen, ist ein hartnäckiger Mythos, der tief in der Popkultur verwurzelt ist. Doch die Realität der Strahlenkrankheit und Kontamination ist subtiler, komplexer und auf eine fast schon beunruhigende Weise physikalisch elegant. Um das zu verstehen, müssen wir eine Reise ins Herz der Atome unternehmen und die verschiedenen Arten von Strahlung wie Charaktere in einem kosmischen Drama kennenlernen.
Eine Atombombe ist im Grunde eine entfesselte Kettenreaktion. Wenn ein Atomkern, beispielsweise von Uran-235 oder Plutonium-239, gespalten wird, setzt er eine gewaltige Menge Energie frei – und zusätzlich Neutronen. Diese Neutronen schlagen in benachbarte Atomkerne ein und spalten diese ebenfalls, was zu einer exponentiell anwachsenden Kaskade der Zerstörung führt. Das Ergebnis ist die bekannte Feuerkugel, die Druckwelle und ein intensiver Puls aus unsichtbarer Energie: die ionisierende Strahlung. Diese erste Strahlung, die direkt bei der Explosion freigesetzt wird, ist die sogenannte prompte Strahlung. Sie besteht hauptsächlich aus Gamma-Strahlen und Neutronen. Man kann sie sich vorstellen wie den Mündungsblitz einer gigantischen kosmischen Waffe. Diese Strahlung ist extrem energiereich und durchdringt Materie – also auch menschliches Gewebe – mit Leichtigkeit. Sie ist die primäre Todesursache für Menschen in unmittelbarer Nähe der Explosion, die nicht durch die Hitze oder die Druckwelle getötet wurden. Diese Strahlung macht dich aber nicht "radioaktiv". Sie fliegt durch deinen Körper, und während sie das tut, schlägt sie Elektronen aus deinen Atomen und Molekülen heraus. Sie ionisiert sie. Dieser Akt der Ionisierung zerfetzt die empfindliche Maschinerie deiner Zellen, insbesondere die DNA. Die Zellteilung gerät außer Kontrolle, Organe versagen. Du stirbst an akuter Strahlenkrankheit, nicht weil du selbst strahlst, sondern weil deine innere Architektur zerstört wurde.
Jetzt kommt der zweite Akt des Dramas: der Fallout. Die Explosion schleudert Unmengen an Material in die Atmosphäre – verdampfte Erde, Gebäudetrümmer und vor allem die Spaltprodukte, also die Überreste der gespaltenen Atome. Diese winzigen Partikel sind instabil und daher radioaktiv. Sie "wollen" in einen stabileren Zustand übergehen und tun dies, indem sie nach und nach weiter Strahlung abgeben. Man unterscheidet hier hauptsächlich zwischen Alpha-, Beta- und Gammastrahlung. Diese radioaktiven Partikel werden vom Wind kilometerweit verteilt und regnen als unsichtbarer Staub – der Fallout – wieder herab. Wenn dieser Staub auf dir landet, auf deiner Haut, deiner Kleidung oder wenn du ihn einatmest oder mit kontaminierter Nahrung und Wasser aufnimmst, dann wirst du kontaminiert. Jetzt bist du eine Strahlenquelle, aber nicht, weil du selbst verwandelt wurdest, sondern weil radioaktives Material an oder in dir haftet.
Der Unterschied ist entscheidend. Eine Person, die "nur" der prompten Strahlung ausgesetzt war, ist nicht ansteckend. Man kann sie berühren und pflegen, ohne selbst gefährdet zu sein. Eine Person, die mit Fallout kontaminiert ist, stellt hingegen eine Gefahr für andere dar, solange die radioaktiven Partikel nicht entfernt wurden. Eine gründliche Dekontamination – also das Ausziehen der Kleidung und sorgfältiges Waschen – kann den Großteil dieser Gefahr beseitigen. Das ist der Grund, warum in Katastrophenszenarien Dekontaminationsduschen eine so wichtige Rolle spielen.
Die eigentliche Tücke liegt in den Partikeln, die in den Körper gelangen. Einmal in der Lunge oder im Verdauungstrakt, geben sie ihre Strahlung direkt an das umliegende Gewebe ab. Hier kommt die spezifische Art der Strahlung ins Spiel. Alphastrahlung ist im Grunde ein Heliumkern. Sie hat eine sehr kurze Reichweite und wird schon von einem Blatt Papier oder der obersten Hautschicht blockiert. Außerhalb des Körpers ist sie relativ harmlos. Im Inneren ist sie jedoch extrem zerstörerisch, da sie ihre gesamte Energie auf kleinstem Raum abgibt und massive Zellschäden verursacht. Betastrahlung sind schnelle Elektronen. Sie dringen schon einige Millimeter bis Zentimeter ins Gewebe ein. Gammastrahlung, wie schon bei der prompten Strahlung, durchdringt den ganzen Körper. Besonders heimtückisch sind bestimmte Isotope, die der Körper mit nützlichen Elementen verwechselt. Strontium-90 beispielsweise ähnelt chemisch Kalzium und wird daher in die Knochen eingelagert, wo es über Jahre hinweg das Knochenmark bestrahlt und Leukämie verursachen kann. Cäsium-137 verhält sich wie Kalium und verteilt sich im gesamten Weichgewebe. Jod-131 reichert sich in der Schilddrüse an, was zu Schilddrüsenkrebs führen kann. Die Einnahme von stabilen Jodtabletten vor einer erwarteten Exposition sättigt die Schilddrüse, sodass sie das radioaktive Jod nicht mehr aufnehmen kann – eine der wenigen effektiven Schutzmaßnahmen.
Du selbst wirst also nicht permanent radioaktiv. Die Atome deines Körpers werden nicht in instabile Isotope umgewandelt. Aber du kannst zum Träger von radioaktiven Substanzen werden, die dich von außen oder – viel schlimmer – von innen langsam vergiften. Die Halbwertszeit dieser Substanzen bestimmt, wie lange die Gefahr besteht. Jod-131 hat eine Halbwertszeit von nur acht Tagen und ist daher in den ersten Wochen die größte Bedrohung. Strontium-90 und Cäsium-137 haben Halbwertszeiten von etwa 30 Jahren und stellen eine langfristige Gefahr für ganze Landstriche dar, wie die Sperrzonen um Tschernobyl und Fukushima eindrücklich zeigen. Du leuchtest also nicht im Dunkeln. Die Realität ist eine unsichtbare, schleichende und zutiefst biologische Invasion.
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