Die nächste Impf-Revolution? Ein Nasenspray aus lebenden Bakterien gegen Meningitis
- Benjamin Metzig
- vor 5 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

Stell dir mal für einen Moment die Welt vor, die direkt in deiner Nase existiert. Ein geschäftiges, unsichtbares Ökosystem, in dem unzählige Mikroben um Platz und Ressourcen wetteifern. Was, wenn ich dir sage, dass genau dort, in diesem biologischen Mikrokosmos, ein unscheinbarer Held lebt, der das Potenzial hat, uns vor einer der gefürchtetsten Krankheiten zu schützen? Es klingt wie Science-Fiction, ist aber die absolut faszinierende Realität der aktuellen Forschung: Ein harmloses Bakterium namens Neisseria lactamica könnte sich als unsere Geheimwaffe gegen seinen tödlichen Cousin, den Meningokokken, entpuppen – und dabei die Art und Weise, wie wir über Impfungen denken, für immer verändern.
Meningokokken (Neisseria meningitidis) sind der Stoff, aus dem medizinische Albträume gemacht sind. Sie können eine rasend schnell verlaufende Hirnhautentzündung (Meningitis) oder eine Blutvergiftung (Sepsis) auslösen, die selbst bei schnellster Behandlung oft tödlich endet oder verheerende Langzeitschäden hinterlässt. Zwar haben wir fantastische Impfstoffe, die uns vor den häufigsten Serogruppen (A, C, W, Y und B) schützen, doch sie haben ihre Grenzen. Sie wirken sehr spezifisch, ihre Schutzwirkung kann nachlassen und sie tun sich schwer damit, die eigentliche Wurzel des Problems zu bekämpfen: die Tatsache, dass viele Menschen die Meningokokken unbemerkt im Nasen-Rachen-Raum tragen und so weiterverbreiten.
Und hier betritt unser Held die Bühne: Neisseria lactamica. Dieses Bakterium ist ein enger Verwandter, aber im Gegensatz zum Meningokokkus ein absolut friedlicher Mitbewohner unserer Nase. Forscher machten schon vor langer Zeit eine verblüffende Beobachtung: Kleinkinder, deren Nasen häufig von N. lactamica besiedelt sind, erkranken extrem selten an Meningokokken. Es scheint fast so, als würde dieser harmlose Kommensale eine Art natürlichen Schutzschild aufbauen. Aber wie? Dieses Rätsel führte Wissenschaftler auf eine unglaubliche Entdeckungsreise.
Das Geheimnis liegt in einem genialen Trainingsprogramm für unser Immunsystem. N. lactamica und der gefährliche Meningokokkus teilen sich bestimmte Oberflächenmerkmale – man könnte sagen, sie tragen teilweise die gleiche „Uniform“. Wenn unser Immunsystem nun auf den harmlosen N. lactamica trifft, lernt es, diese Uniform zu erkennen und eine Abwehr zu entwickeln. Stößt es dann später auf den echten Feind, den pathogenen Meningokokken, ist es bereits alarmiert und kann viel schneller reagieren. Das Besondere daran:
Breiter Schutz: Da diese „Uniform“-Merkmale bei vielen verschiedenen Meningokokken-Stämmen vorkommen, könnte dieser Schutz serogruppenübergreifend wirken – also auch gegen Typen, für die es noch keine Impfung gibt.
Intelligente Abwehr: Die ausgelöste Immunantwort ist subtiler als bei herkömmlichen Impfungen. Sie führt weniger zu einer direkten Zerstörung der Bakterien im Blut, sondern markiert die Eindringlinge vielmehr effektiv für die „Aufräumtrupps“ unseres Immunsystems, die Phagozyten.
Direkte Konkurrenz: Der vielleicht wichtigste Punkt: Der lebende N. lactamica besetzt einfach den Lebensraum im Nasen-Rachen-Raum. Er verdrängt die gefährlichen Meningokokken aktiv und verhindert so, dass sie sich überhaupt erst festsetzen können. Ein biologisches Kräftemessen, das zu unseren Gunsten ausgeht!
Der erste logische Schritt der Forscher war, einen Impfstoff aus den Hüllen des harmlosen Bakteriums (sogenannten Outer Membrane Vesicles, OMVs) zu entwickeln. Dieser war sicher und rief auch eine Immunantwort hervor. Doch dann kam die kalte Dusche, der Moment, der die Wissenschaft so unglaublich spannend macht: In einer Studie stellte sich heraus, dass dieser Impfstoff die Geimpften nicht davor schützte, Meningokokken-Träger zu werden. Mehr noch, die durch den Impfstoff erzeugten Antikörper verhinderten sogar, dass sich der nützliche lebende N. lactamica ansiedeln konnte!
Das ist ein Wendepunkt, der mich absolut fasziniert. Es war kein Scheitern, sondern eine entscheidende Erkenntnis: Der Schutz ist untrennbar mit dem lebenden Organismus und seiner aktiven Anwesenheit in unserer Nase verbunden. Ein reiner Extrakt reicht nicht aus. Was hältst du von solchen wissenschaftlichen Irrwegen, die am Ende zu noch tieferen Einsichten führen? Lass es mich in den Kommentaren wissen – ich bin gespannt auf deine Gedanken!
Diese Erkenntnis führte zu einer noch kühneren Idee, einem echten „Trojanisches Pferd“-Ansatz. Forscher arbeiten jetzt daran, den lebenden N. lactamica selbst als Impfstoff zu verwenden – als Nasentropfen. In einem noch genialeren Schritt haben sie das Bakterium gentechnisch so verändert, dass es zusätzlich ein Schlüsselprotein des gefährlichen Meningokokkus auf seiner Oberfläche präsentiert. So kombiniert man das Beste aus beiden Welten: die natürliche Verdrängung durch den lebenden Organismus UND ein gezieltes Training des Immunsystems gegen eine spezifische Schwachstelle des Feindes.
Der Weg dorthin ist natürlich steinig. Einen lebenden, gentechnisch veränderten Organismus als Impfstoff zuzulassen, ist mit enormen regulatorischen und produktionstechnischen Hürden verbunden. Sicherheit, Stabilität und Wirksamkeit müssen in unzähligen Studien zweifelsfrei nachgewiesen werden. Aber das Potenzial ist schlichtweg atemberaubend.
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Wir stehen hier möglicherweise am Anfang einer Revolution in der Vakzinologie. Die Idee, einen nützlichen Kommensalen als lebendigen, intelligenten Schutzschild zu nutzen, geht weit über Meningokokken hinaus. Sie könnte eines Tages auch im Kampf gegen andere Atemwegserreger oder sogar gegen den eng verwandten Gonokokken, den Erreger von Tripper, eingesetzt werden. Es zeigt auf wunderbare Weise, dass die Lösungen für einige unserer größten medizinischen Herausforderungen vielleicht nicht nur im Labor, sondern auch in der komplexen und faszinierenden Welt unseres eigenen Mikrobioms verborgen liegen. Die Frage ist nicht mehr nur, wie wir Krankheitserreger bekämpfen, sondern wie wir unsere nützlichen Verbündeten stärken können. Was für eine unglaublich spannende Zeit, um Zeuge dieser Entwicklungen zu sein!
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Verwendete Quellen:
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Biological Functions of the Secretome of Neisseria meningitidis - Frontiers - https://www.frontiersin.org/journals/cellular-and-infection-microbiology/articles/10.3389/fcimb.2017.00256/full
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Novel approaches to Neisseria meningitidis vaccine design - Oxford Academic - https://academic.oup.com/femspd/article/75/3/ftx033/3078540
Neisseria lactamica - Wikipedia - https://en.wikipedia.org/wiki/Neisseria_lactamica
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Bacterial Outer Membrane Vesicles and Vaccine Applications - Frontiers - https://www.frontiersin.org/journals/immunology/articles/10.3389/fimmu.2014.00121/full
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Study Details | A Human Controlled Infection Study with Neisseria ... - ClinicalTrials.gov - https://clinicaltrials.gov/study/NCT04665791
Protocol for a controlled human infection with genetically modified Neisseria lactamica expressing the meningococcal vaccine antigen NadA - PubMed Central - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6501966/
Development of live biotherapeutic products: a position statement of Asia-Pacific Microbiota Consortium | Gut - https://gut.bmj.com/content/74/5/706
Early Clinical Trials With Live Biotherapeutic Products: Chemistry, Manufacturing, and Control Information | FDA - https://www.fda.gov/regulatory-information/search-fda-guidance-documents/early-clinical-trials-live-biotherapeutic-products-chemistry-manufacturing-and-control-information
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Future prospects for new vaccines against sexually transmitted infections - PMC - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5325242/
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