Der Jugendstil, international auch als Art Nouveau bekannt, war eine einflussreiche Kunstbewegung, die sich etwa von 1890 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs um 1914 in Europa und Nordamerika entfaltete. Er entstand als Reaktion auf den Historismus des 19. Jahrhunderts und die zunehmende Industrialisierung, die oft als Verlust von Handwerkskunst und Ästhetik empfunden wurde. Das Ziel des Jugendstils war es, eine neue, moderne Formensprache zu entwickeln, die alle Lebensbereiche umfassen und Kunst und Handwerk wieder vereinen sollte, oft unter dem Ideal des Gesamtkunstwerks. Er strebte nach einer ästhetischen Erneuerung, die Schönheit in den Alltag integrierte und eine Abkehr von starren akademischen Traditionen darstellte.
Charakteristisch für den Jugendstil sind fließende, geschwungene Linien, organische und florale Motive, die oft stark stilisiert sind, sowie eine Vorliebe für asymmetrische Kompositionen. Pflanzen- und Tiermotive, insbesondere langstielige Blumen, Wasserpflanzen, Insekten und Vögel, wurden häufig verwendet, um dynamische und elegante Formen zu schaffen. Die Bewegung legte großen Wert auf dekorative Elemente und eine hohe handwerkliche Qualität. Neue Materialien und Techniken, wie Eisen, Glas und Keramik, wurden innovativ eingesetzt, um die gewünschte Ästhetik zu erzielen, beispielsweise in der Architektur mit großen Glasflächen und ornamentalen Eisengittern oder im Kunsthandwerk mit irisierendem Glas und edlen Hölzern.
Regional zeigte der Jugendstil vielfältige Ausprägungen und Namen. In Frankreich und Belgien sprach man vom Art Nouveau, geprägt von Künstlern wie Victor Horta und Hector Guimard, deren architektonische Werke in Brüssel und Paris bis heute ikonisch sind. In Österreich entwickelte sich der Secessionsstil, dessen Hauptvertreter Gustav Klimt in der Malerei und Otto Wagner sowie Joseph Maria Olbrich in der Architektur waren. Deutschland prägte den Begriff „Jugendstil“ nach der Münchner Zeitschrift „Die Jugend“ und sah wichtige Zentren in München, Darmstadt und Weimar. In Großbritannien wurde er oft als Modern Style bezeichnet und war eng mit der Arts and Crafts-Bewegung verbunden, die eine Rückkehr zur Handwerkskunst propagierte. Weitere wichtige Strömungen waren der Liberty Style in Italien und der Modernismo in Spanien, verkörpert durch Antoni Gaudís einzigartige Architektur in Barcelona.
Der Gedanke des Gesamtkunstwerks war zentral für den Jugendstil. Architekten, Designer und Künstler arbeiteten oft zusammen, um Gebäude zu schaffen, bei denen vom äußeren Erscheinungsbild über die Inneneinrichtung bis hin zu Möbeln, Textilien und Gebrauchsgegenständen alles einem einheitlichen ästhetischen Konzept folgte. Dies führte zu einer Synthese von Architektur, Malerei, Skulptur und Kunsthandwerk, die den Alltag durch Kunst bereichern sollte. Berühmte Beispiele sind die Häuser von Horta oder die Wiener Secession.
Obwohl der Jugendstil eine relativ kurze Blütezeit hatte, hinterließ er einen nachhaltigen Einfluss auf die Kunstgeschichte. Er brach mit den historisierenden Strömungen des 19. Jahrhunderts und ebnete den Weg für die Moderne. Seine Betonung von Funktionalität und Ästhetik im Design beeinflusste spätere Bewegungen wie den Art déco und das Bauhaus. Gegen Ende seiner Ära wurde der Jugendstil jedoch zunehmend als überladen oder gar kitschig empfunden, und neue Strömungen, die eine schlichtere, funktionalere Ästhetik bevorzugten, begannen sich durchzusetzen. Dennoch wird er heute für seine Originalität, seine handwerkliche Qualität und seinen revolutionären Geist hochgeschätzt und seine Werke sind weltweit in Museen und als Baudenkmäler zu finden.