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Krieg im Sudan – Anatomie einer zerrissenen Nation (2023–2025)

Ein ausgemergelter Junge steht allein in einer zerstörten, rötlich verstaubten Straßenkulisse; um ihn herum liegen Trümmer ausgebrannter Häuser, der Himmel ist dunkelorange. Die Szene vermittelt Verlassenheit und Gefahr – ein Sinnbild für den Krieg im Sudan und das Leid der Zivilbevölkerung.

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Warum wir über die größte Katastrophe sprechen müssen


Der Krieg im Sudan ist – nüchtern gerechnet wie moralisch betrachtet – die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart. Seit April 2023 hat sich ein Machtkampf zwischen den regulären Streitkräften (SAF) unter General Abdel Fattah al-Burhan und den Rapid Support Forces (RSF) von Mohamed Hamdan „Hemedti“ Dagalo zu einem totalen Zerstörungskrieg ausgewachsen. Ende 2025 ist der Staat faktisch fragmentiert: Die SAF halten weite Teile des Nordens und Ostens samt Port Sudan; die RSF dominieren den gesamten Westen mit allen fünf Bundesstaaten Darfurs sowie große Teile Kordofans. Die Folge ist nicht nur Frontverlauf auf der Landkarte, sondern ein politisches und menschliches Zerbröseln – wie eine Porzellanschale, die in zig scharfe Scherben zerfällt.


Die nackten Zahlen brennen sich ein: >150.000 direkt Getötete, dazu Schätzungen von über einer halben Million gestorbener Kinder durch Hunger und den Kollaps der Gesundheitsversorgung. Mehr als 14 Millionen Vertriebene – davon rund 9 Millionen Binnenvertriebene und über 3 Millionen Geflüchtete in Nachbarländer. Über 30 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen, Hungersnot (IPC-Phase 5) ist in Teilen Darfurs und der Nuba-Berge offiziell. Und doch: globale Aufmerksamkeit? Meist eine kurze Welle – dann wieder Stille. Warum?


Vom Sturz des Diktators zur militärischen Gegenrevolution


Um das Heute zu verstehen, müssen wir kurz zurückspulen. 2019 stürzte eine beeindruckend friedliche Massenbewegung die 30-jährige Diktatur Omar al-Bashirs. Ein kurzer Frühling, dann die Gegenbewegung: 2021 putschten Burhan und Hemedti gemeinsam, beendeten das demokratische Experiment und konservierten ihre Macht- und Geldnetzwerke. Der unmittelbare Zündfunke 2023 war ein Streit „auf dem Papier“ – die Sicherheitssektorreform: Wie, wann, ob überhaupt die RSF in die Armee integriert würden. Hinter dem Technokraten-Sprech verbarg sich eine existenzielle Frage: Wer ist künftig Oberbefehlshaber – und damit Herr über Staat, Waffen, Wirtschaft?


Die Ökonomie dahinter ist kein Randdetail, sondern Teil der Kriegslogik. Die SAF kontrollieren Industrie, Landwirtschaft, Staatsapparate; die RSF verdient an Goldminen und Schmuggelnetzwerken, besonders in Darfur. Und die Ethnografie des Konflikts schneidet tief: Niltal-Eliten vs. Peripherien, arabische und nicht-arabische Bevölkerungsgruppen – alte Wunden, die mit neuer Brutalität aufgerissen wurden.


Frontlinien 2025: Taktische Siege, strategische Verluste


Militärisch hat der Krieg eine neue Dimension erreicht: Drohnen. Die SAF erholten sich dank iranischen Mohajer- und Shahed-Systemen sowie türkischen Bayraktar- und Akinci-Drohnen. Damit drängten sie in Teilen von Khartum und in der „Kornkammer“ Gezira vor, eroberten Anfang 2025 Wad Medani zurück. Die RSF wiederum nutzen von den VAE gelieferte Systeme (u. a. Wing Loong II) und erweiterten die Reichweite ihrer Schläge bis nach Port Sudan. Ergebnis: ein technologisch eskalierter Zermürbungskrieg.


Paradox: Während die SAF ihre Kraft auf Symbolorte wie Khartum konzentrierten, überließ man die Peripherie der RSF – mit fatalen Konsequenzen in Darfur. Der Fall von El Fasher im Oktober 2025 war der Wendepunkt: Die letzte SAF-Bastion in Nord-Darfur fiel, anschließend begannen systematische Massaker. Satellitenbilder, Videoverifikation, Zeugenaussagen – alles deutet auf völkermordähnliche Verbrechen hin. El Fasher war nicht „nur“ militärische Niederlage, sondern die Zerstörung eines der letzten Symbole multiethnischen Zusammenlebens in der Region.


Verbrechen, die sich selbst dokumentieren


Dieser Krieg ist digital: Täter filmen, posten, prahlen. Das Yale Humanitarian Research Lab dokumentiert mit hochauflösenden Satellitenbildern Massentötungen – Cluster von Körpern, rötliche Bodenverfärbungen, Straßensperren, plötzlich „erstarrte“ Bewegungsmuster einer Stadt. Zeitgleich kursieren RSF-Videos von standrechtlichen Hinrichtungen. In El Fasher berichten Mediziner und UN-Organisationen von Massakern im Saudi-Krankenhaus – Hunderte Tote, Patienten und Personal. Es ist der Horror mit Beweismittelliste.


Wichtig: Schuld ist nicht monokausal. Die RSF trägt, gemessen an Umfang und Zielrichtung, die Hauptverantwortung für ethnisch motivierte Gewalt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; doch auch die SAF bombardierte wiederholt dicht besiedelte urbane Gebiete und ging in zurückeroberten Zonen brutal gegen mutmaßliche RSF-Unterstützer vor. Wer glaubt, der Krieg sei ein sauberes Nullsummenspiel „Gut gegen Böse“, verkennt die Wirklichkeit.


Die größte humanitäre Krise der Welt – entzaubert in Zahlen


Wie hält man das Ausmaß aus, ohne zu versteinern? Vielleicht, indem wir begreifen, wie sehr diese Katastrophe menschen-gemacht ist.


  • Todesopfer: konservativ gemeldete 10-Tausende, plausibel >150.000 direkt, plus ~522.000 tote Kinder durch Hunger, Krankheiten, fehlende Versorgung.

  • Vertreibung: >14 Mio. Menschen mussten ihre Häuser verlassen – Rekord. ~9 Mio. im Land, >3 Mio. im Ausland (Südsudan, Tschad, Ägypten u. a.).

  • Hilfe: 30,4 Mio. Menschen brauchen Unterstützung. Der UN-Plan 2025 fordert 4,2 Mrd. $ – das sind grob 50 Cent pro Mensch und Tag. Finanzierungsstand im November: 27,5 %.


Diese Lücke ist kein Buchhaltungsfehler, sie ist politisch. Große Player, die den Krieg befeuern, sind gleichzeitig die Geldgeber, die fehlen. Das Welternährungsprogramm muss Rationen kürzen, Kliniken schließen – und das wiederum treibt die Sterblichkeit nach oben. Eine Abwärtsspirale in Echtzeit.

Wenn dich diese Einordnung erreicht hat, lass es mich wissen: Like den Beitrag und teile deine Gedanken in den Kommentaren. Deine Sicht – auch kritische Rückfragen – helfen, dass das Thema nicht im Algorithmus versandet.


Kollaps eines modernen Staates: Gesundheit, Wasser, Geld


Krieg zielt im Sudan nicht nur auf Gegner – er zielt auf Gesellschaft. 70–80 % der Gesundheitseinrichtungen in den am stärksten betroffenen Bundesstaaten sind funktionsunfähig oder geschlossen. Masern, Cholera, Malaria, Dengue – vermeidbare Krankheiten kehren mit Wucht zurück. Wasser- und Strominfrastruktur wurden in Khartum gezielt attackiert; Millionen waren monatelang ohne sauberes Wasser. In Darfur wurden Brunnen kontaminiert – teils durch Leichen, teils durch Überflutungen, die Abwasser in Wasserquellen spülten.


Ökonomisch ist der Sudan implodiert: Landwirtschaft brach ein, Saatgut und Diesel fehlen, Lieferketten sind zerstört. Das Bankensystem? De facto offline. Die Währung? Im freien Fall. Ein Währungswechsel der Zentralbank (Port Sudan) scheiterte, weil die RSF neue Banknoten in ihren Gebieten verbot – die wirtschaftliche Teilung zementiert. Diese „De-Modernisierung“ ist kein Unfall; sie schwächt gezielt die urbane Zivilgesellschaft, die 2019 die Revolution trug.


Der Sudan als geopolitische Arena – und warum das lähmt


Kaum ein Bürgerkrieg ist so internationalisiert. Die RSF wird – verdeckt wie offen – vor allem von den VAE unterstützt: Geld, Treibstoff, Waffen, Logistik, mutmaßlich chinesische Drohnen; dazu das berüchtigte „Gold-gegen-Waffen“-Dreieck mit Netzwerken Richtung Russland/Wagner/Africa Corps. Im Gegenzug sichern Goldströme und mögliche Hafenprojekte Einfluss am Roten Meer.


Die SAF wiederum erhielt aus dem Iran entscheidende Drohnen, aus der Türkei weitere Systeme und politische Unterstützung aus Ägypten. Moskau verhandelt opportunistisch mit beiden Seiten – wegen eines möglichen Marinestützpunkts am Roten Meer. Ergebnis: eine Pattsituation der Paten. Die USA? In der Zwickmühle: harte Sanktionen gegen die VAE würden das eigene Regionalgefüge erschüttern; offene Unterstützung der SAF stärkt indirekt den Iran. Also passiert – zu wenig.


Warum Diplomatie scheiterte – und was realistisch bevorsteht


Jeddah-Gespräche, Genf-Runden, AU/IGAD-Initiativen: Jede Waffenruhe zerfaserte binnen Stunden. Warum? Weil beide Lager (und ihre Sponsoren) noch auf einen militärischen Vorteil hoffen und weil es keinen einheitlichen Druck der Vermittler gibt. Niemand will die eigene Einflusszone zu früh aufgeben. Die nüchterne Prognose führender Thinktanks: kein kurzfristiges Ende, stattdessen ein eingefrorener, fragmentierter Konflikt – RSF im Westen, SAF im Norden/Osten. Die demokratische Aufbruchsstimmung von 2019? Von der Kriegslogik überrollt.


Was jetzt zählt: Schutz, Zugang, Ehrlichkeit


Die bittere Wahrheit: Ein „großer Frieden“ ist absehbar nicht in Reichweite. Aber das heißt nicht, dass Handeln sinnlos wäre – im Gegenteil. Drei Dinge sind kurzfristig entscheidend:


  1. Humanitärer Zugang ohne Vorwand: Luft- und Landkorridore müssen verlässlich offen sein – nach Darfur, in die Nuba-Berge, nach Khartum. Blockaden (militärisch, bürokratisch, steuerlich) kosten Leben.

  2. Finanzierung schließen: 4,2 Mrd. $ sind viel – und gleichzeitig wenig im Vergleich zu den Summen, die in Drohnen und Munition fließen. Jeder Prozentpunkt mehr rettet messbar Menschenleben.

  3. Ehrliche Benennung: Sponsorenstaaten müssen beim Namen genannt werden – inklusive Konsequenzen bei fortgesetzter Aufrüstung der Kriegsparteien.


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„Krieg im Sudan“ heißt: Hinschauen, obwohl es wehtut


Vielleicht ist das die schwierigste Aufgabe: nicht abstumpfen. Der Krieg im Sudan ist kein „ferner Konflikt“, er ist ein Brennglas für eine Weltordnung, in der Gold, Häfen und Drohnen wichtiger sind als Kinderleben. Hinschauen ändert nicht alles – aber Wegschauen garantiert, dass alles so bleibt. Wenn dir dieser Beitrag geholfen hat, das Geschehen einzuordnen, gib ihm ein Like und teile deine Perspektive in den Kommentaren. Sichtbarkeit ist kein Ersatz für Hilfe – aber sie ist oft ihr Anfang.



Quellen:


  1. International Crisis Group – Bolstering Efforts to End Sudan's Civil War – https://www.crisisgroup.org/africa/sudan/bolstering-efforts-end-sudans-civil-war

  2. OCHA Sudan – Country page – https://www.unocha.org/sudan

  3. UNHCR – Sudan Emergency: Two Years On (2025) – https://www.unhcr.org/sites/default/files/2025-07/sudan-emergency-two-year-impact-update.pdf

  4. WHO – Health Emergency Appeal 2025 (Sudan) – https://www.who.int/publications/m/item/sudan--who-health-emergency-appeal-2025

  5. UNICEF – Famine and nutrition crisis updates – https://www.unicef.org/press-releases/food-and-nutrition-crisis-deepens-across-sudan-famine-identified-additional-areas

  6. World Food Programme – Famine in Sudan – https://www.wfp.org/emergencies/sudan

  7. ACLED – Foreign meddling and fragmentation fuel the war in Sudan – https://acleddata.com/report/foreign-meddling-and-fragmentation-fuel-war-sudan

  8. Council on Foreign Relations – Global Conflict Tracker (Sudan) – https://www.cfr.org/global-conflict-tracker/conflict/power-struggle-sudan

  9. The Guardian – Mass killings and El Fasher coverage – https://www.theguardian.com/world/2025/oct/31/sudan-civil-war-el-fasher-explained

  10. Yale HRL / Coverage via CBS – Satellite evidence of mass killings – https://www.cbsnews.com/news/satellite-images-reveal-mass-killing-is-continuing-in-sudan-yale-researchers-say/

  11. Human Rights Watch – Ethnic cleansing in West Darfur & El Fasher – https://www.hrw.org/news/2025/10/29/sudan-mass-atrocities-in-captured-darfur-city

  12. Amnesty International – RSF must halt attacks on civilians in El Fasher – https://www.amnesty.at/news-events/news/sudan-rsf-muessen-schreckliche-angriffe-auf-zivilbevoelkerung-in-el-fasher-beenden/

  13. ReliefWeb – Voices from the siege of El Fasher – https://reliefweb.int/report/sudan/surviving-siege-voices-el-fasher-sudan-october-15-2025

  14. UN News / OHCHR – UN Fact-Finding Mission statements – https://www.ohchr.org/en/press-releases/2025/06/sudan-war-intensifying-devastating-consequences-civilians-un-fact-finding

  15. OCHA – Humanitarian Needs and Response Plan 2025 (Executive Summary & Overview) – https://www.unocha.org/publications/report/sudan/sudan-humanitarian-needs-and-response-plan-2025-overview

  16. OCHA FTS – Financial Tracking for Sudan 2025 – https://fts.unocha.org/plans/1220/summary

  17. The Sentry – Frontmen for RSF-linked businesses in the UAE – https://thesentry.org/2025/10/02/80806/frontmen-for-businesses-linked-to-sudans-rapid-support-forces-identified-in-the-uae/

  18. Africa Defense Forum – Smuggled Gold fuels war – https://adf-magazine.com/2024/02/smuggled-gold-fuels-war-in-sudan

  19. Critical Threats – Drones over Sudan – https://www.criticalthreats.org/analysis/drones-over-sudan-foreign-powers-in-sudans-civil-war

  20. The Soufan Center – War Without End: Drone warfare & failed diplomacy – https://thesoufancenter.org/intelbrief-2025-october-24/

  21. Security Council Report – Sudan Monthly Forecast Sept 2025 – https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2025-09/sudan-37.php

  22. Chatham House – Why ending the war in Sudan should be a higher priority – https://www.chathamhouse.org/2025/09/why-ending-war-sudan-should-be-higher-priority-west

  23. SWP – Protecting Civilians in Sudan (2025) – https://www.swp-berlin.org/10.18449/2025C31/

  24. Al Jazeera – The Take: What the fall of El Fasher means – https://www.aljazeera.com/podcasts/2025/10/31/the-take-what-does-the-fall-of-el-fasher-mean-for-sudan

  25. UNHCR Operational Data Portal – Sudan Situation – https://data.unhcr.org/en/situations/sudansituation

  26. UNICEF – „Sudan is the world's largest humanitarian crisis – and children are paying the highest price“ – https://www.unicef.org/press-releases/sudan-worlds-largest-humanitarian-crisis-and-children-are-paying-highest-price%C2%A0

  27. UN News – Deadly attacks and collapsing services push Sudan closer to catastrophe – https://news.un.org/en/story/2025/09/1165854

  28. International Rescue Committee – Crisis in Sudan: What is happening and how to help – https://www.rescue.org/article/crisis-sudan-what-happening-and-how-help

  29. Wikipedia (kontextual) – Sudanese civil war (2023–present) – https://en.wikipedia.org/wiki/Sudanese_civil_war_(2023%E2%80%93present)

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