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Stereoisomerie

Chemie

Die Stereoisomerie ist ein fundamentales Konzept in der organischen Chemie, das sich mit Molekülen befasst, die die gleiche Konstitution, das heißt die gleiche Abfolge und Verknüpfung der Atome, aber eine unterschiedliche räumliche Anordnung dieser Atome aufweisen. Im Gegensatz zur Konstitutionsisomerie, bei der sich die Verknüpfungsreihenfolge der Atome unterscheidet, sind Stereoisomere durch die Art und Weise definiert, wie ihre Atome im dreidimensionalen Raum zueinander positioniert sind. Diese subtilen räumlichen Unterschiede können tiefgreifende Auswirkungen auf die physikalischen, chemischen und insbesondere auf die biologischen Eigenschaften einer Verbindung haben.


Man unterscheidet grundsätzlich zwei Haupttypen von Stereoisomeren: Enantiomere und Diastereomere. Beide Typen sind entscheidend für das Verständnis der Struktur-Wirkungs-Beziehungen in vielen Bereichen, von der Pharmazie bis zur Materialwissenschaft. Die Fähigkeit, zwischen diesen räumlichen Anordnungen zu unterscheiden und sie zu synthetisieren, ist ein Kernaspekt der modernen chemischen Forschung.


Enantiomere sind Stereoisomere, die sich zueinander wie Bild und Spiegelbild verhalten und nicht durch Drehungen oder andere Operationen ineinander überführt werden können. Sie sind somit nicht deckungsgleich. Diese Eigenschaft wird als Chiralität bezeichnet, und Moleküle, die chirale Enantiomere bilden können, werden als chiral bezeichnet. Typischerweise entsteht Chiralität, wenn ein Kohlenstoffatom (oder ein anderes Atom) an vier verschiedene Substituenten gebunden ist; dieses Kohlenstoffatom wird als chirales Zentrum oder Stereozentrum bezeichnet. Enantiomere besitzen identische physikalische Eigenschaften wie Schmelzpunkt, Siedepunkt und Löslichkeit, unterscheiden sich jedoch in ihrer Wechselwirkung mit polarisiertem Licht. Eine Lösung eines Enantiomers dreht die Ebene des linear polarisierten Lichts in eine bestimmte Richtung (entweder im Uhrzeigersinn, als dextrorotatorisch oder (+), oder gegen den Uhrzeigersinn, als levorotatorisch oder (-)), während das andere Enantiomer die Ebene um den gleichen Betrag, aber in die entgegengesetzte Richtung dreht.


Zur eindeutigen Benennung von Enantiomeren dient die R/S-Nomenklatur nach Cahn, Ingold und Prelog. Dabei wird jedem chiralen Zentrum eine Konfiguration zugewiesen, entweder R (rectus, lateinisch für rechts) oder S (sinister, lateinisch für links), basierend auf der Priorität der an das Stereozentrum gebundenen Substituenten und deren räumlicher Anordnung. Diese Nomenklatur ermöglicht eine präzise Beschreibung der molekularen Struktur und ist unerlässlich für die Kommunikation in der Chemie.


Diastereomere hingegen sind Stereoisomere, die nicht Spiegelbilder voneinander sind und sich somit in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften unterscheiden. Sie können ein oder mehrere chirale Zentren besitzen, aber im Gegensatz zu Enantiomeren sind sie nicht durch eine Spiegeloperation ineinander überführbar. Da sie unterschiedliche physikalische Eigenschaften aufweisen, können Diastereomere durch gängige Trennmethoden wie Kristallisation, Destillation oder Chromatographie voneinander getrennt werden.


Eine wichtige Untergruppe der Diastereomere sind die cis-trans-Isomere, auch bekannt als geometrische Isomere. Diese treten auf, wenn eine eingeschränkte Rotation um eine Bindung vorliegt, beispielsweise bei Doppelbindungen (wie in Alkenen) oder in cyclischen Verbindungen. Bei Alkenen bedeutet cis, dass gleiche oder ähnliche Substituenten auf der gleichen Seite der Doppelbindung liegen, während trans bedeutet, dass sie auf gegenüberliegenden Seiten liegen. Bei cyclischen Verbindungen bezieht sich cis darauf, dass Substituenten auf der gleichen Seite des Rings liegen, und trans auf gegenüberliegende Seiten. Diese räumlichen Anordnungen führen zu unterschiedlichen Molekülgeometrien und damit zu unterschiedlichen Eigenschaften.


Ein spezieller Fall, der im Zusammenhang mit Diastereomeren oft diskutiert wird, sind die Meso-Verbindungen. Eine Meso-Verbindung ist eine achirale Verbindung, die chirale Zentren enthält. Dies ist möglich, wenn das Molekül eine interne Symmetrieebene besitzt, die es zu seinem eigenen Spiegelbild macht. Obwohl es chirale Zentren gibt, ist das Gesamtmolekül aufgrund dieser internen Symmetrie nicht chiral und optisch inaktiv. Das klassische Beispiel hierfür ist die Meso-Weinsäure.


Die Bedeutung der Stereoisomerie erstreckt sich weit über die Grundlagenforschung hinaus. In der Pharmazie ist die Stereochemie von entscheidender Bedeutung, da oft nur eines der Enantiomere eines Wirkstoffs die gewünschte therapeutische Wirkung entfaltet, während das andere Enantiomer unwirksam, toxisch oder sogar schädlich sein kann. Beispiele hierfür sind der Thalidomid-Skandal oder die unterschiedliche Wirkung von L-Dopa und D-Dopa. Enzyme und Rezeptoren in biologischen Systemen sind hochspezifisch für bestimmte Stereoisomere, da ihre Bindungstaschen chiral sind und nur eine passende räumliche Anordnung aufnehmen können. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer stereoselektiven Synthese in der pharmazeutischen und agrochemischen Industrie.

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