Aua bei der kleinsten Berührung? Wenn das Pflasterabziehen schlimmer ist als die eigentliche Wunde? Oder wenn der Sonnenbrand so empfindlich ist, dass selbst das T-Shirt zur Folter wird? Willkommen in der Welt der Hyperalgesie – ein Zustand, bei dem Schmerz stärker empfunden wird als normalerweise zu erwarten wäre.
Aber fangen wir vorne an:
„Algesie“ ist der medizinische Begriff für Schmerzempfindung. Und „Hyper-“ bedeutet wie immer: zu viel des Guten. Bei Hyperalgesie ist also nicht der Schmerz selbst das Problem – sondern die übertriebene Reaktion des Nervensystems darauf. Die Schmerzen sind „echt“, aber die Verstärkung kommt aus dem Inneren: aus einem Nervensystem, das aus der Balance geraten ist.
Es gibt zwei Hauptformen:
Primäre Hyperalgesie – direkt am Ort der Verletzung. Die Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) dort sind sensibilisiert. Das ist biologisch sinnvoll: Du sollst die verletzte Stelle schonen.
Sekundäre Hyperalgesie – im umliegenden, unverletzten Gewebe. Hier geht’s um die Verschaltung im Rückenmark und Gehirn: Das zentrale Nervensystem übertreibt.
Der eigentliche Knackpunkt: Hyperalgesie ist nicht einfach Schmerz – sie ist verstärkter Schmerz. Und das kann in der Medizin ganz schön knifflig werden. Besonders bei chronischen Schmerzen, Fibromyalgie oder nach Operationen beobachten Ärzt:innen oft:
Der Patient hat mehr Schmerzen als zu erklären wäre. Warum?
Weil das Nervensystem "lernt", Schmerz übermäßig zu verstärken.
Noch paradoxer: Auch langfristiger Schmerzmittelgebrauch, vor allem Opioide, kann zu einer sogenannten opioidinduzierten Hyperalgesie führen. Sprich: Ausgerechnet Medikamente, die Schmerzen lindern sollen, können langfristig das Schmerzempfinden steigern. Autsch – im wahrsten Sinne des Wortes.
Was passiert da neurologisch? Die Nervenbahnen werden empfindlicher, Botenstoffe wie Glutamat feuern verstärkt, hemmende Systeme versagen – das Gleichgewicht im „Schmerznetzwerk“ kippt. Man spricht auch von einer „zentralen Sensibilisierung“.
Fazit: Hyperalgesie zeigt, wie schmal der Grat zwischen Schutz und Leid sein kann. Schmerz ist nicht nur ein Signal – sondern auch eine Interpretation. Und wenn die Biochemie übertreibt, kann aus einer harmlosen Berührung eine Qual werden. Das macht Hyperalgesie zu einem zentralen Thema in Schmerzforschung und moderner Medizin.