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Von der Zelle zum Ich: Die faszinierende Biologie unseres Selbst

Eine stilisierte Illustration auf hellblauem Hintergrund. Links ist eine vereinfachte Darstellung einer Tierzelle mit Zellkern, Mitochondrien und anderen Organellen zu sehen. Rechts davon steht die Silhouette eines menschlichen Oberkörpers im Profil, nach links blickend. Der Körper der Silhouette ist nicht einfarbig, sondern besteht aus vielen bunten, wabenartigen Zellen in Blau-, Grün-, Orange- und Rottönen. Oben steht in großen weißen Buchstaben der Titel "VON DER ZELLE ZUM SELBST". Unten links steht "Wissenschaftswelle.de".

Heute gehen wir auf eine unglaubliche Entdeckungsreise, direkt ins Herz dessen, was uns ausmacht – unser eigenes Ich! Hast du dich jemals gefragt, wie dieses komplexe, schwer fassbare Gefühl, ein "Selbst" zu sein, eigentlich entsteht? Wie aus den grundlegenden Bausteinen des Lebens, aus Zellen, Genen und Molekülen, die scheinbar keine eigene innere Welt besitzen, plötzlich dieses subjektive Erleben erwächst, das wir Bewusstsein nennen? Diese Frage ist eines der größten Rätsel überhaupt, und ich finde sie absolut faszinierend! Es ist keine Reise zu einem fernen Stern, sondern eine Reise nach innen, zu den biologischen Wurzeln unserer Identität, unseres Denkens, Fühlens und Handelns. Das "Ich" ist kein simpler Schalter, der umgelegt wird, sondern ein Mosaik aus Bewusstsein, Identität, dem Gefühl, selbst zu handeln (Agency nennen das die Forscher) und der Tatsache, dass wir dieses Selbst in einem Körper erleben (Embodiment). Komm mit, wir tauchen tief ein und schauen uns an, wie die Biologie Schicht für Schicht das Wunderwerk erschafft, das du bist.


Alles beginnt, wie so oft in der Biologie, auf der allerkleinsten Ebene: der Zelle. Sie ist die fundamentale Einheit allen Lebens, der Schauplatz unzähliger biochemischer Prozesse, die uns am Laufen halten. Man kann sich das kaum vorstellen, aber in jeder einzelnen unserer Billionen von Zellen spielt sich ein hochkomplexes Ballett aus Proteinen, Organellen und Signalwegen ab. Proteine sind die Arbeitspferde, die Reaktionen katalysieren, Stoffe transportieren und Strukturen aufbauen. Organellen wie die Mitochondrien sind unsere zellulären Kraftwerke, und der Zellkern hütet den wertvollsten Schatz: unsere Erbinformation, die DNA. Zellen reden miteinander, organisieren sich zu Geweben und Organen – eine unfassbare Leistung der Selbstorganisation! Institute wie die Max-Planck-Gesellschaft stecken Unmengen an Energie darein, diese Vorgänge zu entschlüsseln, oft mit atemberaubenden Technologien, die uns Einblicke in lebende Zellen gewähren. Es ist diese grundlegende zelluläre Maschinerie, auf der alles andere aufbaut, auch unser komplexes Nervensystem und damit letztlich unser Selbst. Im Herzen dieser Maschinerie liegt das sogenannte Zentraldogma der Molekularbiologie: Der Informationsfluss von der DNA über die RNA zum Protein. Dieser Prozess stellt sicher, dass die genetische Blaupause korrekt gelesen und in funktionelle Bausteine übersetzt wird – die Grundlage für alles Weitere.


Diese futuristische Darstellung zeigt ein stilisiertes menschliches Gehirn, durchzogen von einem komplexen neuronalen Netzwerk aus leuchtenden Knoten und Verbindungen. Einige goldene Pfade heben sich hell leuchtend hervor und symbolisieren integrierte Informationsverarbeitung im "globalen Arbeitsraum". Die dominierenden Farben – elektrisches Blau, Violett und Gold – kontrastieren elegant mit dem dunklen Hintergrund und erzeugen eine visuelle Metapher für Bewusstsein und Informationsfluss.

Von dieser zellulären Basis aus nimmt die Konstruktion unseres komplexesten Organs ihren Lauf: das Gehirn. Schon wenige Wochen nach der Befruchtung beginnt ein faszinierender Prozess. Aus einer einfachen Zellschicht, dem Ektoderm, entsteht unter dem Einfluss chemischer Signale die Neuralplatte. Diese faltet sich erst zu einer Rinne und schließt sich dann zu einem Rohr – dem Neuralrohr, der Vorläufer unseres gesamten zentralen Nervensystems! Aus dem vorderen Teil dieses Röhrchens sprießen und wölben sich die verschiedenen Hirnregionen: Vorderhirn, Mittelhirn, Rautenhirn, die sich weiter zu Großhirn, Zwischenhirn, Hirnstamm und Kleinhirn differenzieren. Stell dir das vor: Ein präzise choreografierter Bauplan entfaltet sich, angetrieben von intensiver Zellteilung, perfekt gesteuerter Zellwanderung – Neuronen reisen an ihre Bestimmungsorte, oft entlang spezialisierter Gliazellen wie auf Autobahnen – und anschließender Spezialisierung. Dieser Aufbau folgt oft einem Muster von Kopf bis Fuß (cephalocaudal), wobei die wichtigsten Strukturen zuerst angelegt werden. Wenn du tiefer in solche faszinierenden Entwicklungen eintauchen möchtest, findest du oft spannende Artikel und Updates in unserem monatlichen Newsletter – das Anmeldeformular findest du ganz oben auf der Seite!


Doch mit dem groben Bauplan ist es nicht getan. Die eigentliche Magie passiert bei der „Verdrahtung“ des Gehirns, ein Prozess, der weit über die Geburt hinaus andauert. Die meisten unserer rund 100 Milliarden Neuronen werden zwar schon im Mutterleib gebildet (Neurogenese), aber die Verbindungen zwischen ihnen, die Synapsen, entstehen erst danach in explosionsartiger Fülle (Synaptogenese). Ein Kleinkind hat tatsächlich etwa doppelt so viele Synapsen wie ein Erwachsener! Das klingt erstmal nach Verschwendung, ist aber genial: Diese anfängliche Überfülle schafft ein riesiges Potenzial für Lernen und Anpassung. Anschließend kommt der Feinschliff: Nicht oder wenig genutzte Verbindungen werden wieder abgebaut ("Pruning"), während aktive gestärkt werden. Das ist, als würde ein Bildhauer aus einem rohen Marmorblock eine feine Skulptur meißeln – geformt durch die Erfahrungen, die wir machen! Parallel dazu werden die Nervenfasern mit einer isolierenden Myelinschicht umhüllt (Myelinisierung), was die Signalübertragung enorm beschleunigt. Dieser Prozess dauert bis ins junge Erwachsenenalter an, besonders in den Hirnregionen, die für höhere kognitive Funktionen zuständig sind.


Wichtige Phasen der frühen Gehirnentwicklung

Phase

Beschreibung

Zeitfenster (ungefähr)

Bedeutung für das Selbst

Neuralinduktion

Bildung der Neuralplatte aus dem Ektoderm.

3. Schwangerschaftswoche

Grundsteinlegung für das gesamte Nervensystem.

Neurulation

Faltung der Neuralplatte zum Neuralrohr.

Ab 18. Entwicklungstag

Ausbildung der primären Anlage für Gehirn und Rückenmark.

Vesikelbildung

Gliederung des vorderen Neuralrohrs in primäre und sekundäre Hirnbläschen.

Ab 4. Schwangerschaftswoche

Ausformung der groben Hirnstrukturen (Vorder-, Mittel-, Rautenhirn etc.).

Neurogenese

Bildung der meisten Neuronen.

Hauptsächlich pränatal

Bereitstellung der Nervenzellen als Bausteine des Gehirns.

Synaptogenese

Massive Bildung von Synapsen (Verbindungen).

Höhepunkt 1.-3. Lebensjahr

Schaffung enormer Lernkapazität und Plastizität.

Pruning

Erfahrungsabhängige Eliminierung nicht genutzter Synapsen.

Kindheit bis Jugendalter

Effizienzsteigerung, Formung neuronaler Schaltkreise durch Erfahrung.

Myelinisierung

Umhüllung von Nervenfasern mit Myelin.

Geburt bis junges Erw.alter

Beschleunigung der Informationsverarbeitung, wichtig für Koordination & höhere Kognition.

Aber wie entsteht aus dieser komplexen, verdrahteten Struktur nun das subjektive Erleben, das Bewusstsein, das Gefühl, "Ich" zu sein? Hier betreten wir das Feld der Neurowissenschaft des Bewusstseins. Ein wichtiger Ansatz ist die Suche nach den "Neuronalen Korrelaten des Bewusstseins" (NCC). Forscher versuchen herauszufinden, welche minimale Gehirnaktivität notwendig und hinreichend ist, damit ein bestimmter bewusster Inhalt auftaucht. Stell dir vor, du siehst ein rotes Auto. Welche Neuronen feuern genau in dem Moment, in dem dir das Rot bewusst wird, im Gegensatz zu dem Moment, in dem die Information noch unbewusst im Gehirn verarbeitet wird? Experimente mit cleveren Tricks wie binokularer Rivalität (den Augen werden verschiedene Bilder gezeigt) helfen dabei, diese neuronalen Fingerabdrücke der Wahrnehmung zu finden. Es deutet sich an, dass nicht einzelne Hirnareale allein, sondern die Aktivität in bestimmten kortikalen Regionen und vor allem die synchronisierte Kommunikation über weitreichende Netzwerke entscheidend sind. Es scheint, als ob Informationen erst dann bewusst werden, wenn sie auf einer Art "globalen Bühne" im Gehirn integriert und für viele andere Prozesse verfügbar gemacht werden.


Eine elegant geschwungene DNA-Doppelhelix entfaltet sich sanft auf einem beruhigend grünen Hintergrund. Aus einem der Stränge sprießen symbolisch zarte Pflanzentriebe – ein Verweis auf Umwelteinflüsse. Auf dem anderen Strang leuchten kleine goldene Markierungen, die epigenetische Schalter darstellen. Die weichen Übergänge von Blau zu Braun, kombiniert mit dem Naturlicht und der Hoffnung ausstrahlenden Atmosphäre, vermitteln die Verwobenheit von Genetik und Umwelt auf poetische Weise.

Um dieses Phänomen zu fassen, gibt es verschiedene große Theorien. Die "Integrated Information Theory" (IIT) von Giulio Tononi postuliert, dass Bewusstsein eine fundamentale Eigenschaft von Systemen ist, die Information stark integrieren können – je komplexer die Integration, desto höher der Bewusstseinsgrad. Die "Global Workspace Theory" (GWT), von Bernard Baars erdacht und von Forschern wie Stanislas Dehaene neurobiologisch untermauert, vergleicht das Bewusstsein eher mit einem globalen Arbeitsspeicher oder einer Bühne, auf der Informationen für das gesamte System "gesendet" und zugänglich gemacht werden. Nur was auf dieser Bühne landet, wird bewusst. Eine dritte wichtige Perspektive ist die "Embodied Cognition". Sie betont, dass unser Geist und unser Bewusstsein nicht nur im Gehirn stecken, sondern untrennbar mit unserem Körper und seiner Interaktion mit der Welt verbunden sind. Unser Körpergefühl, unsere Haltung, selbst unser Herzschlag – all das formt unser Erleben mit. Es ist faszinierend zu sehen, wie diese unterschiedlichen Ansätze versuchen, das große Ganze zu erklären!


Bewusstseinstheorien – Ein vereinfachter Überblick

Theorie

Kernidee

Metapher/Fokus

Neuronale Basis (vereinfacht)

IIT (Integrierte Info)

Bewusstsein = Maß der Informationsintegration (Φ)

Komplexität, Vernetzung

Hochintegrierte Systeme (z.B. Thalamokortex)

GWT/GNW (Globaler Arbeitsraum)

Bewusstsein = Global verfügbare Information

Bühne, Scheinwerferlicht, Broadcast

Weitreichende kortikale Aktivierung (oft Frontoparietal)

Embodied Cognition

Bewusstsein = Ergebnis der Interaktion von Gehirn, Körper & Umwelt

Verkörperung, Sensorimotorik, Interaktion

Multisensorische Integration, Körperrepräsentationen, Insula

NCC-Ansatz

Suche nach minimaler neuronaler Aktivität für spezifisches Erleben

Korrelation, Fingerabdruck

Variiert je nach Bewusstseinsinhalt (spezifische Areale/Muster)

Neben diesen allgemeinen Theorien gibt es auch spezifische Hirnnetzwerke, die eng mit unserem Selbstgefühl verknüpft sind. Das "Default Mode Network" (DMN) ist so eines. Es ist besonders aktiv, wenn wir tagträumen, in Erinnerungen schwelgen oder über uns selbst nachdenken – quasi unser innerer Leerlaufmodus, der aber erstaunlich beschäftigt ist mit unserer persönlichen Geschichte und Zukunftsplanung. Man könnte es als neuronale Basis unseres narrativen Selbst sehen. Dann gibt es Netzwerke für das "körperliche Selbstbewusstsein" (Bodily Self-Consciousness, BSC). Sie integrieren Signale aus unseren Sinnen (Sehen, Tasten, Gleichgewicht) und aus dem Körperinneren (Interozeption – denk an Herzschlag, Atmung, Bauchgefühl), um uns das Gefühl zu geben, einen Körper zu besitzen, an einem Ort zu sein und aus unserer eigenen Perspektive wahrzunehmen. Regionen wie der temporoparietale Übergang (TPJ) und die Insula spielen hier eine Schlüsselrolle. Das zeigt eindrücklich: Unser Selbst ist nicht nur abstraktes Denken, sondern tief in unserem körperlichen Sein verankert.


Wie findest du diese Ideen? Lässt dich das über dein eigenes Körpergefühl nachdenken? Teile deine Gedanken gerne in den Kommentaren und lass uns diskutieren – und wenn dir der Beitrag gefällt, freue ich mich über ein Like!


Das erklärt aber noch nicht, warum wir alle so unglaublich verschieden sind. Hier kommen Genetik, Epigenetik und Hormone ins Spiel. Die Verhaltensgenetik zeigt uns, dass Persönlichkeitsmerkmale wie die "Big Five" (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit) und auch kognitive Fähigkeiten zum Teil erblich sind. Riesige Studien mit Hunderttausenden von Menschen (GWAS) haben inzwischen Hunderte von Genorten identifiziert, die mit diesen Merkmalen zusammenhängen. Wichtig dabei: Es gibt nicht das eine Gen für Extraversion oder Intelligenz. Es ist immer ein komplexes Zusammenspiel vieler Gene, von denen jedes nur einen kleinen Beitrag leistet (Polygenität). Unsere Gene liefern also eine Art Grunddisposition, eine Bandbreite an Möglichkeiten.


Die "Big Five" Persönlichkeitsmerkmale & Genetischer Einfluss

Merkmal

Kurzbeschreibung

Genetischer Einfluss (geschätzt aus Studien)

Beispielhafte Assoziation (aus GWAS)

Neurotizismus

Emotionale Labilität, Ängstlichkeit, Verletzlichkeit

Substantiell (~11-15% SNP-Heritabilität)

Viele Loci, z.B. bei Genen für Stressregulation (CRHR1)

Extraversion

Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Energie

Moderat (~8-11%)

Loci identifiziert, z.B. bei WSCD2

Offenheit

Neugier, Kreativität, Intellekt

Moderat (~6-10%)

Loci identifiziert, z.B. bei Genen für Hirnentwicklung (AHI1)

Verträglichkeit

Altruismus, Kooperation, Mitgefühl

Geringer (~4-6%)

Wenige Loci, z.B. bei FOXP2 (auch Sprachgen)

Gewissenhaftigkeit

Organisiertheit, Zielstrebigkeit, Disziplin

Geringer (~4-6%)

Wenige Loci, z.B. bei KATNAL2

Aber Gene sind nicht alles! Hier kommt die Epigenetik ins Spiel – ein unglaublich spannendes Feld. Stell dir vor, deine Gene sind die Tasten eines Klaviers. Die Epigenetik ist der Pianist, der entscheidet, welche Tasten wann und wie stark angeschlagen werden. Sie verändert nicht die DNA-Sequenz selbst, sondern reguliert durch chemische Markierungen (wie Methylierung oder Histonmodifikationen), welche Gene aktiv sind und welche nicht. Und das Beste: Diese Markierungen können durch Umwelteinflüsse verändert werden! Frühe Lebenserfahrungen, Stress, Ernährung, sogar unser Lebensstil können epigenetische "Schalter" umlegen und so die Genaktivität langfristig beeinflussen. Das ist die molekulare Brücke zwischen "Nature" und "Nurture", die erklärt, wie unsere Erfahrungen buchstäblich unter die Haut gehen und unsere Biologie formen können. Ergänzend dazu modulieren Hormone wie das Stresshormon Cortisol oder das "Bindungshormon" Oxytocin ständig unsere Stimmung, unser Verhalten und unsere Reaktionen auf die Umwelt. Sie sind wie chemische Botenstoffe, die unser inneres Erleben an äußere Gegebenheiten anpassen.


Diese kontrastreiche Gegenüberstellung zeigt links eine zarte Orchideenblüte, geschützt unter einer Glasglocke, und rechts eine widerstandsfähige Löwenzahnpflanze, die durch rissigen Asphalt wächst. Beide werden von stilisierten Regentropfen getroffen. Die Szene wirkt ruhig und symbolisch, mit sanften Farbübergängen und klaren Formen, die die Verletzlichkeit und Anpassungsfähigkeit von Leben in unterschiedlichen Umwelten thematisieren.

Damit sind wir mitten in der alten Debatte: Anlage oder Umwelt? Nature oder Nurture? Die moderne Wissenschaft sagt ganz klar: Es ist beides, und zwar in einem komplexen Tanz! Zwillings- und Adoptionsstudien helfen abzuschätzen, wie groß der jeweilige Anteil ist, aber die wirklich spannenden Erkenntnisse kommen aus der Erforschung der Gen-Umwelt-Interaktion (GxE). Das bedeutet, dass die Wirkung eines Gens davon abhängen kann, welcher Umwelt wir ausgesetzt sind – und umgekehrt. Manche Menschen scheinen aufgrund ihrer genetischen Ausstattung empfänglicher für Umwelteinflüsse zu sein als andere. Die "Differentielle Suszeptibilitätstheorie" beschreibt das wunderbar mit der Metapher von Orchideen und Löwenzahn: "Orchideen-Kinder" sind hochempfindlich – sie blühen unter optimalen Bedingungen auf, leiden aber stärker unter Stress. "Löwenzahn-Kinder" sind robuster, weniger anfällig für Stress, profitieren aber auch weniger von idealen Bedingungen. Ist das nicht faszinierend? Unsere Biologie bestimmt nicht nur, wer wir sind, sondern auch, wie stark uns die Welt um uns herum prägt.


Schlüsselkonzepte im Zusammenspiel von Anlage und Umwelt


  • Heritabilität (h²): Der Anteil der beobachteten Unterschiede in einem Merkmal (z.B. Persönlichkeit), der auf genetische Unterschiede in einer Population zurückgeführt werden kann. (Schätzung aus Zwillings-/Adoptionsstudien)

  • Geteilte vs. Nicht-geteilte Umwelt: Geteilte Umweltfaktoren machen Geschwister ähnlich (z.B. Familienklima), nicht-geteilte machen sie unterschiedlich (z.B. individuelle Erlebnisse, Freunde). Nicht-geteilte scheinen oft wichtiger für Persönlichkeitsunterschiede.

  • Gen-Umwelt-Interaktion (GxE): Die Wirkung von Genen hängt von der Umwelt ab und/oder die Wirkung der Umwelt hängt vom Genotyp ab. Beispiel: Ein bestimmtes Gen erhöht das Depressionsrisiko nur bei Menschen, die starkem Stress ausgesetzt sind.

  • Gen-Umwelt-Korrelation (rGE): Genetische Veranlagungen beeinflussen die Umwelten, denen wir ausgesetzt sind (passiv, evokativ, aktiv). Beispiel: Musikalische Eltern (Gene) schaffen musikalisches Umfeld (Umwelt) für Kind.

  • Differentielle Suszeptibilität (Orchideen/Löwenzahn): Manche Individuen sind biologisch bedingt generell empfänglicher für positive und negative Umwelteinflüsse ("Orchideen"), während andere robuster, aber weniger formbar sind ("Löwenzahn").

  • Epigenetik: Umweltfaktoren (Stress, Ernährung etc.) können die Genaktivität (nicht die Sequenz) durch chemische Markierungen verändern und so langfristig den Phänotyp beeinflussen.



Wenn wir all diese Puzzleteile zusammenfügen – von den Molekülen und Zellen über die Gehirnentwicklung und -funktion bis hin zu Genen, Epigenetik, Hormonen und dem ständigen Dialog mit der Umwelt – dann entsteht ein Bild des Selbst, das unglaublich dynamisch und komplex ist. Das "Ich" ist kein festes Ding, keine unveränderliche Seele, die irgendwo im Gehirn sitzt. Es ist vielmehr ein emergentes Phänomen, etwas, das aus dem Zusammenspiel all dieser Ebenen hervorgeht. Es ist ein Prozess, der sich über die gesamte Lebensspanne entfaltet und ständig neu konstruiert wird. Neuronale Plastizität, epigenetische Anpassungen, hormonelle Schwankungen und die fortwährende Gen-Umwelt-Interaktion sorgen dafür, dass wir uns verändern, lernen und anpassen können. Unser Selbst ist biologisch betrachtet ein fortlaufendes Projekt, geformt im Dialog mit der Welt. Wenn du mehr solcher faszinierenden Einblicke und Geschichten aus der Wissenschaft nicht verpassen willst, folge uns doch auf unseren Social-Media-Kanälen! Dort teilen wir regelmäßig spannende Fundstücke und du kannst Teil unserer Community werden.



Natürlich stößt auch die biologische Perspektive an Grenzen. Das ganz große Rätsel, das "Harte Problem" des Bewusstseins – warum und wie aus physikalischen Prozessen überhaupt subjektives Erleben, dieses Gefühl von "wie es ist", etwas zu empfinden, entsteht – bleibt ungelöst. Die qualitative Natur unserer Erfahrung (Qualia) lässt sich bisher nicht vollständig auf Neuronenfeuer reduzieren. Das mahnt uns zur Vorsicht vor einem zu starken Neuro-Reduktionismus, der das Selbst vorschnell auf reine Gehirnaktivität reduziert und dabei vielleicht die Bedeutung von Emergenz, Verkörperung und dem sozialen Kontext übersieht. Und nicht zuletzt wirft unser wachsendes Wissen über die biologischen Grundlagen des Selbst wichtige ethische Fragen auf (Neuroethik): Was bedeutet es für unsere Identität und Autonomie, wenn wir unser Gehirn und damit unser Selbst immer besser verstehen und potenziell auch beeinflussen können? Diese Fragen müssen wir als Gesellschaft begleiten und diskutieren.


Unsere Reise von der Zelle zum Selbst ist also noch lange nicht zu Ende. Sie hat uns gezeigt, wie tief unser Ich in der Biologie verwurzelt ist, wie es aus einem unfassbar komplexen Zusammenspiel von Faktoren auf unzähligen Ebenen entsteht und sich lebenslang formt. Es ist ein dynamischer Prozess, ein Wunderwerk der Natur, das uns immer wieder zum Staunen bringt. Die Erkenntnis, dass wir das Ergebnis dieser biologischen Symphonie sind, eröffnet neue Blicke auf unser Potenzial, unsere Verletzlichkeit und unsere Einzigartigkeit. Was bleibt, ist die Faszination für dieses größte aller Rätsel – das Rätsel, das wir selbst sind.



Verwendete Quellen:


  1. Freies Lehrbuch der Biologie - Für Schüler und Studenten - Hoffmeister.it - https://hoffmeister.it/index.php/biologiebuch

  2. Lehrbuch der Molekularen Zellbiologie - Wiley-VCH - https://www.wiley-vch.de/de/fachgebiete/naturwissenschaften/lehrbuch-der-molekularen-zellbiologie-978-3-527-34779-7

  3. Neurogenese - Wikipedia - https://de.wikipedia.org/wiki/Neurogenese

  4. Entwicklung » Gehirn & Nervensystem » Neurologen und Psychiater ... - https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/gehirn-nervensystem/entwicklung/

  5. Entwicklung des Nervensystems - DocCheck Flexikon - https://flexikon.doccheck.com/de/Entwicklung_des_Nervensystems

  6. Neuronales Korrelat des Bewusstseins - Wikipedia - https://de.wikipedia.org/wiki/Neuronales_Korrelat_des_Bewusstseins

  7. Neuronale Korrelate des Bewusstseins - Karl Hosang - https://karlhosang.de/neuronale-korrelate/

  8. The brain's center of gravity: how the default mode network helps us to understand the self - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6127769/

  9. A genome-wide investigation into the underlying genetic architecture of personality traits and overlap with psychopathology | medRxiv - https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2024.01.17.24301428v1.full-text

  10. Epigenetik als Intra-aktion: Diffraktives Lesen - www.ssoar.info - https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/document/93313/1/ssoar-2023-krall-Epigenetik_als_Intra-aktion_Diffraktives_Lesen.pdf

  11. Behavioural Endocrinology in the Social Sciences - Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie - https://www.psych.uni-goettingen.de/de/biopers/publications_department/behavioural-endocrinology-in-the-social-sciences/@@download/pdf_file/s11577-024-00945-3.pdf

  12. Gene–environment interactions and their impact on the development of personality traits - ResearchGate - https://www.researchgate.net/publication/240295296_Gene-environment_interactions_and_their_impact_on_the_development_of_personality_traits

  13. Nature vs. Nurture | Psychology Today - https://www.psychologytoday.com/us/basics/nature-vs-nurture

  14. Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) - https://www.mpi-cbg.de/de/

  15. Entwicklungsbiologie - Wikipedia - https://de.wikipedia.org/wiki/Entwicklungsbiologie

  16. A Challenge to Psychological and Biological Theories of Personal Identity - UWM Digital Commons - https://dc.uwm.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=3988&context=etd

  17. What is Self-Concept Theory? A Psychologist Explains - Positive Psychology - https://positivepsychology.com/self-concept/

  18. The Neurobiological Basis of the Conundrum of Self-continuity: A Hypothesis - Frontiers - https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2022.740542/full

  19. Social constructionism - Wikipedia - https://en.wikipedia.org/wiki/Social_constructionism

  20. How Genes Shape Personality Traits: New Links Are Discovered - Yale School of Medicine - https://medicine.yale.edu/news-article/how-genes-shape-personality-traits-new-links-are-discovered/

  21. Understanding how Nature and Nurture Influence Behavior - Psych Central - https://psychcentral.com/health/nature-versus-nurture

  22. Nature vs. Nurture Debate In Psychology - Simply Psychology - https://www.simplypsychology.org/naturevsnurture.html

  23. Neuroethics: Addressing Ethical Challenges in Neuroscience Research - Open Access Journals - https://www.openaccessjournals.com/articles/neuroethics-addressing-ethical-challenges-in-neuroscience-research-17952.html

  24. Neuroethics - Wikipedia - https://en.wikipedia.org/wiki/Neuroethics

  25. Neuroethics: a modern context for ethics in neuroscience - PMC - PubMed Central - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC1656950/

  26. Neuroethics: The Ethical, Legal, and Societal Impact of Neuroscience - UPenn Neuroethics - https://neuroethics.upenn.edu/wp-content/uploads/2015/06/farah-Neuroethics-The-Ethical-Legal-and-Societal-Impact-of-Neuroscience.pdf

  27. Zentraldogma der Molekulargenetik: DNA & RNA - StudySmarter - https://www.studysmarter.de/schule/chemie/biochemie/zentraldogma-der-molekulargenetik/

  28. Transkription und Translation in | Schülerlexikon | Lernhelfer - https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/biologie-abitur/artikel/transkription-und-translation

  29. DNA Replikation • Ablauf, Enzyme, Eukaryoten und Prokaryoten - Studyflix - https://studyflix.de/biologie/dna-replikation-2472

  30. Die Gehirnentwicklung des Babys - Aptaclub.de - https://www.aptaclub.de/baby/entwicklung/gehirnentwicklung-deines-babys.html


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