Allele (Einzahl: Allel) sind die verschiedenen Varianten oder Zustandsformen eines Gens. Ein Gen ist ein Abschnitt auf der DNA, der die Information für ein bestimmtes Merkmal oder eine spezifische Funktion trägt. Jedes Gen befindet sich an einem festen Ort auf einem Chromosom, der als Locus bezeichnet wird. Da die meisten Organismen, einschließlich des Menschen, diploid sind – das heißt, sie besitzen zwei Sätze homologer Chromosomen (einen von jedem Elternteil) – existieren für jedes Gen in der Regel zwei Allele, die sich am entsprechenden Locus auf den beiden homologen Chromosomen befinden. Diese Allele können identisch oder unterschiedlich sein.
Wenn die beiden Allele für ein bestimmtes Gen auf den homologen Chromosomen identisch sind, spricht man von einem homozygoten Zustand. Ein Individuum ist dann homozygot für dieses Merkmal. Sind die beiden Allele jedoch unterschiedlich, liegt ein heterozygoter Zustand vor, und das Individuum ist heterozygot. Die Kombination der Allele, die ein Individuum für ein bestimmtes Gen besitzt, wird als Genotyp bezeichnet. Der Genotyp bestimmt maßgeblich den Phänotyp, also das tatsächlich ausgeprägte Merkmal oder die beobachtbare Eigenschaft.
Ein zentrales Konzept im Zusammenhang mit Allelen ist das der Dominanz und Rezessivität. Ein dominantes Allel ist ein Allel, das seinen Phänotyp auch dann ausdrückt, wenn nur eine Kopie davon vorhanden ist, das heißt, sowohl im homozygoten als auch im heterozygoten Zustand. Ein rezessives Allel hingegen wird phänotypisch nur dann sichtbar, wenn es homozygot vorliegt, also zwei Kopien des rezessiven Allels vorhanden sind. Im heterozygoten Zustand wird die Wirkung des rezessiven Allels durch das dominante Allel überdeckt. Neben der vollständigen Dominanz gibt es auch andere Formen der Allelinteraktion, wie die unvollständige Dominanz, bei der der heterozygote Phänotyp eine Mischform der beiden homozygoten Phänotypen darstellt, oder die Kodominanz, bei der beide Allele im heterozygoten Zustand vollständig und gleichzeitig exprimiert werden, wie es beispielsweise bei den menschlichen Blutgruppen A und B der Fall ist.
Es ist wichtig zu verstehen, dass ein Gen nicht nur zwei, sondern auch mehrere Allele in einer Population aufweisen kann. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das ABO-Blutgruppensystem beim Menschen, das durch drei verschiedene Allele (IA, IB, i) am selben Locus bestimmt wird. Obwohl in einem einzelnen diploiden Individuum immer nur zwei dieser Allele vorkommen können, existieren in der Gesamtpopulation mehr als zwei Varianten. Diese Vielfalt an Allelen innerhalb einer Population ist eine wesentliche Quelle genetischer Variation. Mutationen, also zufällige Veränderungen in der DNA-Sequenz eines Gens, sind der primäre Mechanismus, durch den neue Allele entstehen. Diese Mutationen können neutral, vorteilhaft oder schädlich sein und tragen zur evolutionären Anpassung von Arten bei.
Auf molekularer Ebene unterscheiden sich Allele durch geringfügige Variationen in ihrer DNA-Sequenz. Diese Unterschiede können in einzelnen Basenpaaren (Single Nucleotide Polymorphisms, SNPs) liegen oder größere Abschnitte betreffen. Selbst kleine Sequenzunterschiede können zu Veränderungen in der Aminosäuresequenz des codierten Proteins führen, was wiederum die Funktion des Proteins beeinflussen und somit das Merkmal modifizieren kann. Die Erforschung von Allelen und ihren Interaktionen ist fundamental für das Verständnis der Vererbung von Merkmalen und Krankheiten. Sie bildet die Grundlage für die Genetik, die Züchtungsforschung, die medizinische Diagnostik und die pharmakogenomische Forschung, die untersucht, wie die genetische Ausstattung eines Individuums dessen Reaktion auf Medikamente beeinflusst. Die Kenntnis der Allele und ihrer Verteilung in Populationen ist auch entscheidend für die forensische Genetik und die Abstammungsanalyse.