Die Antinomie, abgeleitet vom griechischen „anti“ (gegen) und „nomos“ (Gesetz), bezeichnet in der Philosophie und Logik einen unauflöslichen oder scheinbar unauflöslichen Widerspruch zwischen zwei Aussagen, Prinzipien oder Gesetzen, die beide für sich genommen als wahr, logisch begründet oder gleichermaßen plausibel erscheinen. Es handelt sich um ein Paar von Thesen und Antithesen, die sich gegenseitig ausschließen, obwohl jede für sich aus akzeptierten Prämissen abgeleitet werden kann. Antinomien stellen somit eine fundamentale Herausforderung für die Kohärenz eines philosophischen Systems oder einer rationalen Argumentation dar, da sie die Grenzen der menschlichen Vernunft oder der angewandten Denkprinzipien aufzeigen.
Ihre prominenteste und systematischste Behandlung erfuhren Antinomien in der Philosophie Immanuel Kants, insbesondere in seiner „Kritik der reinen Vernunft“. Kant identifizierte vier „Antinomien der reinen Vernunft“, die er als kosmologische Antinomien bezeichnete. Diese Antinomien entstehen, wenn die menschliche Vernunft versucht, über die Grenzen der möglichen Erfahrung hinauszugehen und spekulative Fragen über die Welt als Ganzes zu beantworten. Kant argumentierte, dass die Vernunft, wenn sie die Kategorien des Verstandes (wie Kausalität oder Substanz) über ihren legitimen Anwendungsbereich hinaus auf transzendente Objekte (wie die Welt als Ganzes oder Gott) anwendet, zwangsläufig in Widersprüche gerät.
Die vier Antinomien Kants sind paarweise angelegt: Die erste betrifft die Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt in Raum und Zeit. Die zweite befasst sich mit der Frage, ob alles in der Welt aus einfachen Teilen besteht oder ob es nur Zusammengesetztes gibt. Die dritte Antinomie behandelt den Widerspruch zwischen Freiheit und natürlicher Kausalität – ist alles durch Naturgesetze bestimmt, oder gibt es Raum für freie Willensentscheidung? Die vierte und letzte Antinomie thematisiert die Existenz eines notwendigen Wesens (z.B. Gott) als Ursache der Welt im Gegensatz zur Annahme, dass alles nur zufällig und kontingent ist. Jede dieser Antinomien besteht aus einer These und einer Antithese, die Kant jeweils zu beweisen versucht, um die zugrunde liegende Problematik aufzuzeigen.
Kants Lösung für diese Antinomien liegt in seinem transzendentalen Idealismus. Er argumentierte, dass die Widersprüche nur dann auftreten, wenn man die Welt als Ding an sich betrachtet und nicht als bloße Erscheinung, die unserer Erkenntnis zugänglich ist. Die Antinomien sind für Kant keine Fehler der Vernunft an sich, sondern ein Zeichen dafür, dass die Vernunft ihre Grenzen überschreitet, wenn sie versucht, über die Bedingungen der Erfahrung hinauszublicken. Indem Kant die Antinomien auf diese Weise auflöste, legte er die Grundlage für seine kritische Philosophie und zeigte, dass die menschliche Vernunft zwar mächtig ist, aber auch ihre inhärenten Grenzen hat, die respektiert werden müssen, um dogmatische oder skeptische Sackgassen zu vermeiden. Sie sind ein zentrales Element, um zu verstehen, warum wir die Welt nur so erkennen können, wie sie uns erscheint, nicht wie sie an sich ist.
Über Kant hinaus findet sich das Konzept der Antinomie auch in anderen Bereichen. In der modernen Logik und Mathematik, insbesondere in der Mengenlehre, traten Antinomien auf, wie beispielsweise Russells Antinomie, die die Grundlagen der naiven Mengenlehre erschütterte und zur Entwicklung strengerer axiomatischer Systeme führte. Auch in der Rechtsphilosophie kann von Antinomien gesprochen werden, wenn sich zwei gültige Gesetze oder Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall widersprechen und eine eindeutige Auflösung schwierig ist. Die Auseinandersetzung mit Antinomien ist somit ein fortwährendes Thema in vielen Disziplinen, da sie fundamentale Fragen nach der Kohärenz und den Grenzen unseres Wissens und unserer Argumentationssysteme aufwirft.