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Dekohärenz

Physik

Dekohärenz ist ein fundamentaler Prozess in der Quantenmechanik, der den Übergang von der quantenmechanischen zur klassischen Welt erklärt. Sie beschreibt den Verlust der quantenmechanischen Kohärenz eines Systems, also die Fähigkeit eines Teilchens oder Systems, in einer Superposition verschiedener Zustände gleichzeitig zu existieren oder mit anderen Teilchen verschränkt zu sein. Dieser Verlust tritt auf, wenn ein quantenmechanisches System mit seiner Umgebung wechselwirkt. Anstatt isoliert zu bleiben und seine Quanteneigenschaften beizubehalten, verliert das System Informationen an die Umgebung, was dazu führt, dass seine Quantenzustände effektiv "verwischen" und ein klassisches Verhalten annehmen. Es ist der Mechanismus, durch den die seltsamen Quantenphänomene wie Superposition und Verschränkung in unserer makroskopischen Alltagswelt nicht beobachtet werden.


Die Dekohärenz-Theorie bietet eine elegante Lösung für das sogenannte Messproblem in der Quantenmechanik. Das Messproblem besteht in der Diskrepanz zwischen der Beschreibung von Quantensystemen, die als Wahrscheinlichkeitswellen oder Superpositionen existieren, und der Tatsache, dass wir bei einer Messung immer nur einen einzigen, wohldefinierten Zustand beobachten. Traditionell wurde dies durch den "Kollaps der Wellenfunktion" erklärt, ein postulierter, instantaner und undurchsichtiger Prozess, der auftrat, sobald eine Messung durchgeführt wurde. Dekohärenz hingegen liefert eine dynamische und kontinuierliche Erklärung, wie ein System, das sich ursprünglich in einer Überlagerung befindet, durch die Wechselwirkung mit einer unkontrollierbaren Umgebung scheinbar einen bestimmten Zustand annimmt, ohne dass es zu einem mysteriösen Kollaps kommen muss. Die Umgebung fungiert dabei effektiv als ein Messgerät, das das System "beobachtet" und dessen Quanteneigenschaften zerstört.


Der Mechanismus der Dekohärenz beruht auf der Verschränkung des betrachteten Quantensystems mit den unzähligen Freiheitsgraden seiner Umgebung. Sobald ein Quantensystem mit auch nur wenigen Umgebungsmolekülen, Photonen oder anderen Teilchen wechselwirkt, entsteht eine Verschränkung zwischen dem System und der Umgebung. Da die Umgebung typischerweise extrem groß und komplex ist und ihre Zustände nicht kontrolliert oder gemessen werden können, wird die Information über die ursprüngliche Superposition des Systems in der Umgebung "verteilt" oder "verloren". Die verschiedenen Komponenten der Superposition des Systems werden mit unterschiedlichen Zuständen der Umgebung verschränkt. Da die Umgebung selbst nicht in einer Superposition beobachtet wird, sondern als klassisches System erscheint, spiegelt sich dies im beobachteten System wider. Für einen Beobachter, der nur Zugang zum System hat und nicht zur gesamten System-Umgebung-Einheit, erscheint es, als hätte das System seinen kohärenten Zustand verloren und einen klassischen Zustand angenommen.


Ein entscheidender Aspekt der Dekohärenz ist die Geschwindigkeit, mit der sie abläuft. Für makroskopische Objekte ist der Dekohärenzprozess extrem schnell, oft in der Größenordnung von Femtosekunden oder noch kürzeren Zeitspannen. Dies erklärt, warum wir in unserem Alltag keine Superpositionen von Objekten wie Tischen oder Stühlen beobachten: Ihre Wechselwirkung mit der Umgebung (Luftmoleküle, Lichtphotonen, Wärmestrahlung) führt sofort zur Dekohärenz. Bei mikroskopischen Systemen, wie einzelnen Atomen, Photonen oder Elektronen, kann die Kohärenz für längere Zeit aufrechterhalten werden, insbesondere wenn diese Systeme isoliert und bei extrem niedrigen Temperaturen gehalten werden. Die Geschwindigkeit der Dekohärenz hängt von der Stärke der Kopplung zwischen dem System und der Umgebung sowie von der Komplexität der Umgebung ab. Eine dichtere oder wärmere Umgebung führt zu einer schnelleren Dekohärenz.


Die Dekohärenz stellt eine der größten Herausforderungen für die Entwicklung von Quantencomputern dar. Quantencomputer nutzen die Prinzipien der Superposition und Verschränkung, um komplexe Berechnungen durchzuführen. Qubits, die grundlegenden Informationseinheiten in einem Quantencomputer, müssen ihre Kohärenz über die gesamte Dauer einer Berechnung hinweg aufrechterhalten. Schon die geringste Wechselwirkung mit der Umgebung – sei es durch Wärmeschwankungen, elektromagnetische Felder oder streunende Teilchen – kann zur Dekohärenz der Qubits führen und die Berechnung unbrauchbar machen. Daher ist die Entwicklung von Technologien zur Isolation und zum Schutz von Qubits vor Dekohärenz, beispielsweise durch Kühlung auf extrem tiefe Temperaturen oder den Einsatz von Fehlerkorrekturcodes, ein zentrales Forschungsfeld in der Quanteninformatik.


Es ist wichtig zu verstehen, dass Dekohärenz nicht dasselbe ist wie der Kollaps der Wellenfunktion, obwohl sie ähnliche Ergebnisse zu haben scheint. Der Kollaps der Wellenfunktion ist ein postulierter, diskontinuierlicher Vorgang, der bei einer Messung stattfindet. Dekohärenz hingegen ist ein kontinuierlicher, physikalischer Prozess, der durch die fundamentale Wechselwirkung eines Systems mit seiner Umgebung verursacht wird und die gesamte System-Umgebung-Einheit als kohärentes Ganzes betrachtet. Im Rahmen der Dekohärenz bleibt die globale Wellenfunktion des Systems und seiner Umgebung stets kohärent und entwickelt sich gemäß der Schrödinger-Gleichung. Es ist lediglich die "lokale" Kohärenz des Systems, die aus der Perspektive eines Beobachters, der nur das System betrachtet, verloren geht. Diese Perspektive ist auch kompatibel mit Interpretationen der Quantenmechanik wie der Viele-Welten-Interpretation, bei der alle möglichen Zustände weiterhin existieren, aber in "parallele Welten" dekohärieren.


Experimentelle Beweise für die Dekohärenz sind in den letzten Jahrzehnten immer überzeugender geworden. In vielen Experimenten, insbesondere in der Quantenoptik, mit gefangenen Ionen oder supraleitenden Qubits, konnte die Dekohärenz direkt beobachtet und ihre Raten gemessen werden. Forscher können gezielt Systeme kontrolliert mit einer Umgebung koppeln und den Verlust der Superposition oder Verschränkung verfolgen. Diese Experimente bestätigen die Vorhersagen der Dekohärenztheorie und liefern wertvolle Einblicke in die Mechanismen, die zum Übergang von der Quanten- zur klassischen Physik führen. Die Möglichkeit, Dekohärenz zu kontrollieren oder zu minimieren, ist nicht nur für die Grundlagenforschung von Interesse, sondern auch von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung praktischer Quantentechnologien.


Eine weitere wichtige Implikation der Dekohärenz ist die Entmystifizierung der Rolle des Beobachters in der Quantenmechanik. Während frühere Interpretationen manchmal die Notwendigkeit eines bewussten Beobachters für den Wellenfunktionskollaps implizierten, verlagert die Dekohärenz den Fokus weg von der Subjektivität. Stattdessen ist es die objektive, physikalische Wechselwirkung eines Systems mit seiner Umgebung – die oft selbst aus unzähligen Teilchen besteht, die keine "Bewusstheit" besitzen –, die zur Dekohärenz führt. Jeder Informationsaustausch, auch mit einem simplen Staubkorn oder einem einzelnen Photon, das nicht absichtlich "misst", kann den Dekohärenzprozess auslösen. Dies macht die Dekohärenz zu einem robusten und allgegenwärtigen Phänomen, das nicht von der Anwesenheit eines intelligenten Lebens abhängt.


Zusammenfassend ist Dekohärenz ein zentrales Konzept in der modernen Physik, das eine Brücke zwischen der mikroskopischen Quantenwelt und unserer makroskopischen klassischen Realität schlägt. Sie erklärt, wie die seltsamen und nicht-intuitiven Eigenschaften der Quantenmechanik, wie Superposition und Verschränkung, im Alltag nicht beobachtet werden und warum Objekte eine wohldefinierte klassische Existenz zu haben scheinen. Durch die detaillierte Beschreibung des Verlusts von Kohärenz aufgrund von Wechselwirkungen mit der Umgebung bietet die Dekohärenz-Theorie eine konsistente und physikalisch fundierte Erklärung für das Verhalten von Quantensystemen bei Messungen und ist unverzichtbar für das Verständnis und die Entwicklung zukünftiger Quantentechnologien.

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