Ein Dipolmoment ist eine physikalische Größe, die die Trennung von positiven und negativen elektrischen Ladungen innerhalb eines Systems, meist eines Moleküls oder eines kleinen Bereichs eines Materials, quantifiziert. Es entsteht, wenn der Schwerpunkt der positiven Ladungen nicht mit dem Schwerpunkt der negativen Ladungen zusammenfällt. Dies kann intrinsisch in polaren Molekülen der Fall sein, in denen Atome unterschiedliche Elektronegativitäten besitzen und Bindungselektronen ungleichmäßig verteilt sind, oder extern durch Anlegen eines elektrischen Feldes induziert werden.
Das Dipolmoment ist eine vektorielle Größe, die sowohl eine Größe als auch eine Richtung besitzt. Die Richtung des Dipolmoments zeigt definitionsgemäß von der negativen zur positiven Ladung, obwohl in der Chemie oft die entgegengesetzte Konvention (von positiv zu negativ, also von dem weniger elektronegativen zum stärker elektronegativen Atom) verwendet wird, um die Richtung der Elektronenverschiebung anzugeben. Die Größe des Dipolmoments (p oder μ) wird berechnet als Produkt aus der Betragsdifferenz der Ladungen (q) und dem Abstand (r) zwischen ihren Schwerpunkten: p = q * r. Bei Molekülen mit mehreren polaren Bindungen ist das Gesamtdipolmoment die Vektorsumme der einzelnen Bindungsdipolmomente.
Die SI-Einheit des Dipolmoments ist Coulomb-Meter (C·m). In der Chemie und Molekülphysik wird jedoch häufig die Einheit Debye (D) verwendet, benannt nach dem niederländischen Physiker und Chemiker Peter Debye. Ein Debye entspricht etwa 3,33564 × 10⁻³⁰ C·m. Diese Einheit ist praktischer, da typische molekulare Dipolmomente im Bereich von 0 bis etwa 10 D liegen.
Das Dipolmoment ist ein entscheidender Indikator für die Polarität eines Moleküls. Polare Moleküle mit einem permanenten Dipolmoment sind in der Lage, starke intermolekulare Kräfte wie Dipol-Dipol-Wechselwirkungen oder Wasserstoffbrückenbindungen auszubilden. Dies beeinflusst maßgeblich ihre physikalischen Eigenschaften wie Siedepunkt, Schmelzpunkt, Viskosität und vor allem die Löslichkeit. "Ähnliches löst Ähnliches" – polare Substanzen lösen sich gut in polaren Lösungsmitteln (z.B. Wasser), während unpolare Substanzen sich in unpolaren Lösungsmitteln lösen. Ein klassisches Beispiel ist Wasser (H₂O), das aufgrund seiner gewinkelten Struktur und der hohen Elektronegativität des Sauerstoffs ein großes permanentes Dipolmoment besitzt. Kohlendioxid (CO₂), obwohl es zwei polare C=O-Bindungen hat, ist aufgrund seiner linearen Symmetrie unpolar, da sich die Bindungsdipole vektoriell aufheben.
In der Physik spielt das Dipolmoment eine wichtige Rolle beim Verständnis des Verhaltens von Dielektrika in elektrischen Feldern. Materialien, die aus polaren Molekülen bestehen oder in denen Dipole induziert werden können, reagieren auf ein externes elektrisches Feld, indem sich ihre Dipole ausrichten (Orientierungspolarisation) oder durch Ladungsverschiebung neue Dipole entstehen (Verschiebungspolarisation). Diese Phänomene tragen zur Dielektrizitätskonstante eines Materials bei und sind grundlegend für die Funktionsweise von Kondensatoren, Sensoren und anderen elektronischen Bauteilen. Die Kenntnis von Dipolmomenten ist auch essenziell für die Erforschung und Entwicklung neuer Materialien mit spezifischen dielektrischen Eigenschaften.
Auch unpolare Moleküle können unter dem Einfluss eines externen elektrischen Feldes ein temporäres oder induziertes Dipolmoment entwickeln. Dies geschieht, wenn das Feld die Elektronenwolke relativ zu den Atomkernen verschiebt, wodurch eine vorübergehende Ladungstrennung entsteht. Die Fähigkeit eines Moleküls oder Atoms, ein induziertes Dipolmoment zu bilden, wird als Polarisierbarkeit bezeichnet. Die Polarisierbarkeit ist ein Maß dafür, wie leicht die Elektronenwolke durch ein elektrisches Feld deformiert werden kann. Sie ist verantwortlich für London-Dispersionskräfte, eine Art von Van-der-Waals-Kräften, die in allen Molekülen wirken, auch in unpolaren.
Das Dipolmoment von Molekülen kann experimentell auf verschiedene Weisen bestimmt werden. Eine gängige Methode ist die Messung der Dielektrizitätskonstante (Permittivität) einer Substanz in Abhängigkeit von der Temperatur. Aus der Temperaturabhängigkeit der Dielektrizitätskonstante können Rückschlüsse auf die Größe der permanenten Dipolmomente gezogen werden. Eine weitere wichtige Methode ist die Mikrowellenspektroskopie, bei der die Rotationsübergänge von Molekülen analysiert werden. Die Linienintensitäten und Frequenzen in den Spektren liefern Informationen über das Dipolmoment. Auch die Messung des Brechungsindex oder die Anwendung der Stark-Effekt-Spektroskopie (Aufspaltung von Spektrallinien in einem externen elektrischen Feld) können zur Bestimmung von Dipolmomenten herangezogen werden. Die Kenntnis dieser Werte ist entscheidend für das Verständnis molekularer Strukturen und Wechselwirkungen.