Nihilismus, abgeleitet vom lateinischen 'nihil' (nichts), bezeichnet im weitesten Sinne eine philosophische Position, die die Verneinung von Sinn, Wert, Wissen oder Existenz postuliert. Es ist kein einheitliches Lehrgebäude, sondern vielmehr ein Sammelbegriff für verschiedene Formen der Verneinung, die sich auf unterschiedliche Bereiche des menschlichen Denkens und Seins beziehen können. Im Kern geht es um die Ablehnung fundamentaler Annahmen über Realität, Moral, Erkenntnis oder den Zweck des Lebens.
Die Wurzeln des Nihilismus lassen sich bereits in der Antike finden, etwa bei den Sophisten, die die Möglichkeit objektiver Wahrheit in Frage stellten, oder bei den Kyrenaikern, die jegliche Erkenntnis jenseits der unmittelbaren Empfindung verneinten. Eine prominente Rolle spielte der Begriff jedoch erst im 19. Jahrhundert, insbesondere in Russland durch Fjodor Dostojewski und Iwan Turgenjew, der in seinem Roman „Väter und Söhne“ die Figur des Basarow schuf, der sich selbst als Nihilisten bezeichnet und jegliche Autorität, Tradition und ästhetische Werte ablehnt. In Deutschland wurde der Nihilismus durch Philosophen wie Friedrich Nietzsche zur zentralen Diagnose der Moderne.
Friedrich Nietzsche sah im Nihilismus nicht nur eine philosophische Strömung, sondern eine tiefgreifende kulturelle und historische Entwicklung des Abendlandes. Er diagnostizierte den "europäischen Nihilismus" als unvermeidliche Konsequenz des "Todes Gottes", das heißt, des Verlusts transzendenter, absoluter Werte und Sinnstiftungen, die über Jahrhunderte hinweg das Fundament der westlichen Zivilisation bildeten. Für Nietzsche war dieser Nihilismus zunächst eine passive Form, die sich in Apathie, Sinnleere und der Verneinung des Lebens äußerte. Er sah jedoch auch die Möglichkeit eines "aktiven Nihilismus", der die Zerstörung alter Werte als notwendigen Schritt zur Schaffung neuer, eigener Werte begreift und somit den Weg für den "Übermenschen" ebnet.
Es lassen sich verschiedene Ausprägungen des Nihilismus unterscheiden. Der **existentielle Nihilismus** vertritt die Ansicht, dass das menschliche Leben, das Universum und alles darin keinen intrinsischen Sinn, Wert oder Zweck besitzen. Die Existenz wird als bedeutungslos und letztlich absurd empfunden. Der **moralische Nihilismus** behauptet, dass es keine objektiven moralischen Werte, Pflichten oder Prinzipien gibt. Moralische Urteile werden als rein subjektive Meinungen, soziale Konstrukte oder Ausdruck von Emotionen verstanden, denen keine universelle Gültigkeit zukommt.
Der **epistemologische Nihilismus** bezweifelt die Möglichkeit von Wissen oder Wahrheit. Er postuliert, dass Erkenntnis entweder unmöglich ist oder dass alle Erkenntnis relativ und subjektiv bleibt. Dies kann bis zur Ablehnung der Fähigkeit des Menschen reichen, die Realität objektiv zu erfassen. Der **metaphysische Nihilismus** negiert die Existenz von allem, was nicht materiell oder empirisch nachweisbar ist, oder geht noch weiter und verneint die Existenz jeglicher Substanz, Kausalität oder universeller Prinzipien, die der Welt zugrunde liegen könnten. Schließlich beschreibt der **kosmische Nihilismus** die Gleichgültigkeit des Universums gegenüber menschlicher Existenz, Werten und Leiden; das Universum hat keinen Plan oder Zweck für den Menschen.
Es ist wichtig, Nihilismus von verwandten Konzepten abzugrenzen. Er ist nicht gleichzusetzen mit Pessimismus, der eine negative Grundhaltung zum Leben beschreibt, oder mit Zynismus, der Misstrauen gegenüber menschlichen Motiven und Institutionen ausdrückt. Während es Überschneidungen geben mag, ist der Nihilismus primär eine philosophische Diagnose über das Fehlen objektiver Grundlagen für Sinn und Werte, nicht unbedingt eine emotionale Haltung. Auch der Atheismus ist keine Form des Nihilismus, obwohl die Ablehnung eines Gottes oft als ein Schritt zum Nihilismus angesehen werden kann, da sie eine traditionelle Quelle für Sinn und Moral entfernt.
Die Auseinandersetzung mit dem Nihilismus hat die Philosophie des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt. Existenzialisten wie Albert Camus und Jean-Paul Sartre setzten sich intensiv mit der Absurdität der Existenz auseinander, die aus einer nihilistischen Perspektive resultiert, suchten aber Wege, trotz oder gerade wegen dieser Absurdität einen Sinn im Leben zu finden oder zu schaffen. Auch die Postmoderne, die große Erzählungen und universelle Wahrheitsansprüche kritisiert, zeigt nihilistische Tendenzen in ihrer Skepsis gegenüber etablierten Sinnstiftungen.
In der modernen Welt bleibt der Nihilismus eine relevante Herausforderung. Angesichts schwindender traditioneller Autoritäten, religiöser Glaubenssysteme und der Komplexität globaler Probleme können nihilistische Gedanken leicht aufkommen. Die Frage, wie der Mensch in einer potenziell sinnlosen Welt Bedeutung finden oder erschaffen kann, bleibt eine der drängendsten philosophischen Fragen, die der Nihilismus aufwirft. Er kann eine Quelle der Verzweiflung sein, aber auch eine Befreiung von dogmatischen Fesseln und eine Einladung zur Selbstbestimmung und zur autonomen Wertschöpfung.