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Noesis

Philosophie

Noesis ist ein zentraler Begriff in der Philosophie, insbesondere in der Phänomenologie Edmund Husserls, aber auch mit Wurzeln in der antiken griechischen Philosophie. Er leitet sich vom griechischen Wort "nous" ab, das Geist, Verstand oder Intellekt bedeutet. Im Allgemeinen bezeichnet Noesis den Akt des Denkens, des reinen Erkennens oder des Verstehens. Es ist die aktive, intentionale Ausrichtung des Bewusstseins auf einen Gegenstand oder Sachverhalt.


In der antiken griechischen Philosophie, insbesondere bei Platon und Aristoteles, wurde Noesis oft als die höchste Form des intellektuellen Erfassens verstanden, eine Art intuitives oder unmittelbares Verstehen von unveränderlichen Wahrheiten oder Wesenheiten. Bei Platon könnte es das direkte Erfassen der Ideen sein, während es bei Aristoteles die intellektuelle Tätigkeit des "Nous" bezeichnet, der die Form von Dingen ohne Materie erfasst. Hier ist Noesis die Tätigkeit des Geistes, die über die bloße Sinneswahrnehmung hinausgeht und zu einem tieferen, universellen Verständnis führt.


Die größte Bedeutung erlangte der Begriff jedoch in der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts durch Edmund Husserl. Für Husserl ist Noesis die bewusste Akteinheit, der Akt des Meinens, Wahrnehmens, Erinnerns, Urteilens oder Wollens. Es ist die Seite des Bewusstseins, die etwas auf eine bestimmte Weise erfasst oder sich auf etwas bezieht. Diese Akte sind immer intentional, das heißt, sie sind immer Akte von etwas, sie sind auf einen Gegenstand gerichtet. Ohne diesen intentionalen Akt gäbe es kein Bewusstsein als Bewusstsein von etwas.


Die Noesis ist untrennbar mit dem Begriff des Noema verbunden, was die berühmte Noesis-Noema-Korrelation bildet. Während die Noesis der Akt des Bewusstseins ist (z.B. das Wahrnehmen eines Baumes), ist das Noema das, was durch diesen Akt intendiert wird, der intendierte Gegenstand in seiner Bestimmtheit, wie er sich dem Bewusstsein darbietet (der Baum, wie er wahrgenommen wird, mit all seinen Eigenschaften, wie sie im Akt erfasst werden). Das Noema ist also nicht der reale Baum an sich, sondern der Sinn oder die Bedeutung des Baumes, wie er im Bewusstsein konstituiert wird. Es ist die objektive Seite des intentionalen Akts.


Diese Unterscheidung ist fundamental für Husserls Verständnis von Bewusstsein und Erkenntnis. Die Noesis beschreibt die subjektive Seite des Aktes – wie das Bewusstsein etwas meint, während das Noema die objektive Seite – was gemeint wird – beschreibt. Jede noetische Akteinheit hat ein korrespondierendes noematisches Korrelat. Die phänomenologische Analyse zielt darauf ab, diese Korrelationen zu enthüllen und zu beschreiben, um die Struktur des Bewusstseins und die Konstitution von Gegenständlichkeit zu verstehen.


Die Analyse der Noesis ermöglicht es, die verschiedenen Modi des Bewusstseins – wie Wahrnehmung, Erinnerung, Phantasie, Urteil – in ihrer intentionalen Struktur zu erfassen. Jeder dieser Modi ist eine bestimmte Form der Noesis, die einen spezifischen Sinn oder ein spezifisches Noema konstituiert. Die phänomenologische Reduktion, die "Epoche", dient dazu, das Bewusstsein von allen nicht-phänomenologischen Voraussetzungen zu befreien, um die reinen noetischen Akte und ihre noematischen Korrelate zu untersuchen.


Die Bedeutung der Noesis reicht weit über die reine Philosophie hinaus und hat Implikationen für die Psychologie, Kognitionswissenschaften und Sprachphilosophie. Sie beleuchtet, wie wir Sinn und Bedeutung in unserer Welt konstituieren und wie unser Bewusstsein aktiv an der Gestaltung unserer Erfahrung beteiligt ist. Das Verständnis der Noesis als aktive, sinnkonstituierende Dimension des Bewusstseins ist ein Eckpfeiler der phänomenologischen Methode und ihrer Erkenntnisse über die menschliche Erfahrung.

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