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Physiokratie

Wirtschaftsgeschichte

Die Physiokratie war eine einflussreiche ökonomische Denkschule, die im 18. Jahrhundert in Frankreich entstand und maßgeblich von François Quesnay geprägt wurde. Ihr Name leitet sich von den griechischen Wörtern "physis" (Natur) und "kratein" (herrschen) ab, was "Herrschaft der Natur" oder "Naturherrschaft" bedeutet. Die Physiokraten vertraten die revolutionäre Ansicht, dass der wahre Reichtum einer Nation ausschließlich aus der Landwirtschaft stammt. Sie lehnten die merkantilistischen Theorien ab, die den Handel und die Anhäufung von Edelmetallen als primäre Quellen des Wohlstands betrachteten, und postulierten stattdessen eine natürliche Ordnung der Wirtschaft, die es zu respektieren galt.


Im Zentrum der physiokratischen Lehre stand die Vorstellung des "produit net" oder Nettoprodukts. Nur die Landwirtschaft, so ihre Argumentation, sei in der Lage, einen Überschuss zu erzeugen – also mehr zu produzieren, als für die Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses benötigt wird. Dieser Überschuss, der sich als Pacht an die Grundbesitzer manifestierte, wurde als der einzige wahre Reichtum betrachtet. Industrie und Handel hingegen wurden als "sterile" Sektoren angesehen, da sie nach physiokratischer Auffassung lediglich Güter transformierten oder zirkulierten, aber keinen neuen Wert schufen. Sie sahen diese Sektoren zwar als notwendig für die Gesellschaft an, aber nicht als produktiv im Sinne der Erzeugung eines Nettoprodukts.


Ein Schlüsselwerk der Physiokratie war Quesnays "Tableau économique" (Ökonomische Tabelle), das er 1758 veröffentlichte. Dieses Diagramm war ein bahnbrechender Versuch, die Zirkulation des Reichtums zwischen den verschiedenen Klassen einer Gesellschaft darzustellen. Es zeigte, wie das Nettoprodukt, das von der produktiven Klasse (Landwirte) erzeugt wurde, an die proprietäre Klasse (Grundbesitzer) floss und von dort an die sterile Klasse (Handwerker, Kaufleute) weitergegeben wurde, um deren Güter und Dienstleistungen zu bezahlen. Das Tableau war ein früher Vorläufer moderner volkswirtschaftlicher Kreislaufmodelle und betonte die Interdependenz der Wirtschaftssektoren, auch wenn es die Produktivität außerhalb der Landwirtschaft verkannte.


Aus ihrer Überzeugung von einer natürlichen Wirtschaftsordnung leiteten die Physiokraten auch ihre Forderung nach einer Politik des "Laissez faire, laissez passer" ab. Dies bedeutet "Geschehen lassen, vorbeigehen lassen" und ist ein Plädoyer für größtmögliche Freiheit im Handel und minimale staatliche Einmischung in die Wirtschaft. Sie waren der Ansicht, dass staatliche Regulierungen, Zölle und Monopole den natürlichen Fluss des Reichtums behinderten und somit dem Wohlstand der Nation schadeten. Stattdessen sollten die Märkte sich selbst regulieren können, um die optimale Verteilung der Ressourcen und des Reichtums zu gewährleisten. Diese Haltung bildete einen fundamentalen Gegensatz zum damals vorherrschenden Merkantilismus.


Die physiokratische Gesellschaftsstruktur unterteilte sich in drei Hauptklassen. Die "produktive Klasse" umfasste alle, die in der Landwirtschaft tätig waren und den Nettoprodukt schufen. Dies waren in erster Linie die Bauern und Landarbeiter. Die "proprietäre Klasse" bestand aus den Grundbesitzern, dem Adel und dem Klerus, die das Land besaßen und die Pacht aus dem Nettoprodukt erhielten. Ihre Funktion war es, diese Pachten wieder in die Wirtschaft einzuspeisen, sei es durch Konsum oder Investitionen. Die dritte Gruppe war die "sterile Klasse", zu der alle anderen Berufe gehörten, wie Handwerker, Kaufleute, Dienstleister und Gelehrte. Obwohl sie nicht als produktiv im Sinne der Nettoprodukterzeugung galten, waren sie ein integraler Bestandteil des Wirtschaftskreislaufs und für die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen unerlässlich.


Obwohl die Physiokratie nur relativ kurz als dominierende Denkschule existierte und ihre Kernannahme von der ausschließlichen Produktivität der Landwirtschaft sich als falsch erwies, hatte sie einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften. Ihre Betonung der natürlichen Ordnung, des freien Handels und der Notwendigkeit eines Nettoprodukts inspirierte spätere Ökonomen wie Adam Smith, der in seinem Werk "Der Wohlstand der Nationen" viele physiokratische Ideen aufgriff, sie jedoch auf die industrielle Produktion ausweitete. Die Physiokraten waren die ersten, die die Wirtschaft als ein System mit ineinandergreifenden Sektoren betrachteten und versuchten, ökonomische Gesetze zu formulieren. Ihr Vermächtnis liegt in der Etablierung der Ökonomie als eigenständige Wissenschaft und in der Einführung von Konzepten wie dem Wirtschaftskreislauf und der Bedeutung von Produktivität, die bis heute relevant sind. Ihr Niedergang war eng mit dem Aufkommen der industriellen Revolution verbunden, die die Produktivität des Handwerks und der Manufaktur unbestreitbar machte.

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