Die Sophistik bezeichnet eine bedeutende intellektuelle Bewegung im antiken Griechenland, die sich primär im 5. und frühen 4. Jahrhundert v. Chr. entfaltete. Ihre Vertreter, die Sophisten, waren umherziehende Lehrer, die gegen Bezahlung junge Männer in Rhetorik, Argumentation und Staatskunst unterrichteten. In einer Zeit des politischen Umbruchs und der aufblühenden Demokratie, insbesondere in Athen, entstand ein großer Bedarf an Fähigkeiten, die für den Erfolg im öffentlichen Leben, vor Gericht und in der Volksversammlung unerlässlich waren. Die Sophisten füllten diese Lücke, indem sie eine umfassende Bildung anboten, die sich vom traditionellen, auf Mythen und Dichtung basierenden Lehrplan abhob und stattdessen praktische Fertigkeiten und kritisches Denken betonte. Ihr Wirken markierte einen Paradigmenwechsel in der griechischen Philosophie, da sie den Fokus von kosmologischen Spekulationen auf anthropologische und ethische Fragen verlagerten.
Zu den prominentesten Sophisten gehörten Protagoras von Abdera, bekannt für seinen berühmten Satz "Der Mensch ist das Maß aller Dinge", der einen radikalen erkenntnistheoretischen Relativismus ausdrückte. Gorgias von Leontinoi war ein Meister der Rhetorik und des Skeptizismus, der die These vertrat, dass nichts existiert, selbst wenn etwas existierte, es nicht erkennbar wäre, und selbst wenn es erkennbar wäre, es nicht mitteilbar wäre. Weitere wichtige Figuren waren Hippias von Elis, ein vielseitiger Gelehrter und Polyhistor, Prodikos von Keos, der sich mit Sprachphilosophie und Synonymik beschäftigte, und Thrasymachos von Chalkedon, der für seine realpolitische These bekannt ist, dass Gerechtigkeit nichts anderes sei als der Vorteil des Stärkeren. Diese Vielfalt der Persönlichkeiten und Lehren zeigt, dass die Sophistik keine einheitliche Schule mit festen Dogmen war, sondern eher eine Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Denkern mit ähnlichen Ansätzen und Zielen.
Ein zentrales Merkmal der sophistischen Lehre war die Betonung der technē, der Kunstfertigkeit oder des Könnens, insbesondere der Kunst der Rede (rhētorikē). Sie lehrten, wie man eine schwache Argumentation stark erscheinen lassen und umgekehrt, wie man überzeugend argumentiert und wie man in Debatten triumphiert. Diese Fähigkeiten waren nicht nur für die politische Karriere entscheidend, sondern auch für die persönliche Entfaltung in einer Gesellschaft, die den öffentlichen Diskurs hoch schätzte. Die Sophisten hinterfragten zudem die traditionelle Unterscheidung zwischen nomos (Gesetz, Konvention, menschliche Setzung) und physis (Natur). Während einige die Konventionen als willkürlich und der Natur entgegengesetzt sahen, versuchten andere, eine natürliche Grundlage für moralische und politische Normen zu finden. Ihre Auseinandersetzung mit diesen Konzepten legte den Grundstein für spätere Debatten über Recht, Ethik und politische Theorie.
Die Sophisten waren die ersten, die sich explizit als bezahlte Lehrer verstanden, was ihnen in den Augen vieler Zeitgenossen, insbesondere der späteren Philosophen wie Platon, den Vorwurf des Materialismus und der Oberflächlichkeit einbrachte. Platon kritisierte in seinen Dialogen, dass die Sophisten lediglich scheinbares Wissen vermittelten und sich nicht um die wahre Erkenntnis der Dinge bemühten. Er sah in ihrer Konzentration auf die Überredungskunst eine Gefahr für die Wahrheit und die Moral, da sie angeblich die Fähigkeit besaßen, jede Position zu verteidigen, unabhängig von ihrer Richtigkeit. Aristoteles schloss sich dieser Kritik an und definierte die Sophistik als die Kunst der scheinbaren Weisheit, die nicht wirklich Weisheit ist. Diese kritische Rezeption prägte das Bild der Sophistik über Jahrhunderte hinweg negativ, sodass der Begriff "Sophismus" bis heute oft als Synonym für eine trügerische oder spitzfindige Argumentation verwendet wird.
Trotz der starken Kritik aus der platonisch-aristotelischen Tradition ist die historische Bedeutung der Sophistik immens. Sie waren Pioniere in vielen Bereichen: Sie entwickelten die Rhetorik zu einer systematischen Disziplin, leisteten wichtige Beiträge zur Sprachphilosophie und Logik, initiierten tiefgreifende Debatten über Ethik und Politik und setzten sich kritisch mit den Grundlagen menschlichen Wissens auseinander. Ihre Betonung der menschlichen Erfahrung und der Relativität von Werten legte den Grundstein für spätere humanistische Strömungen. Die Sophisten zwangen die griechische Philosophie, sich von der Naturphilosophie ab- und der Frage nach dem Menschen und seiner Stellung in der Welt zuzuwenden. Ihre Lehren, obwohl oft verzerrt dargestellt, beeinflussten maßgeblich die Entwicklung des Denkens in der Antike und darüber hinaus und werden heute in der Forschung zunehmend differenzierter und positiver bewertet, insbesondere im Hinblick auf ihre Rolle als Wegbereiter der Aufklärung und des kritischen Denkens.