Blogverzeichnis Bloggerei.de
top of page

Wasserstofflinie

Astronomie

Die Wasserstofflinie, insbesondere die sogenannte 21-cm-Linie, ist eine der fundamentalsten und wichtigsten Spektrallinien in der Radioastronomie. Sie entsteht durch einen Übergang in der Hyperfeinstruktur des neutralen Wasserstoffatoms (HI), dem häufigsten Element im Universum. Genauer gesagt, handelt es sich um einen „Spin-Flip-Übergang“ des Elektrons. Sowohl das Elektron als auch das Proton im Wasserstoffatom besitzen einen intrinsischen Drehimpuls, den Spin. Diese Spins können parallel oder antiparallel zueinander ausgerichtet sein. Der antiparallele Zustand hat eine geringfügig niedrigere Energie als der parallele Zustand. Ein Übergang vom parallelen zum antiparallelen Zustand führt zur Emission eines Photons mit einer sehr spezifischen Energie, die einer Wellenlänge von 21,106 cm (oder einer Frequenz von 1420,40575 MHz) entspricht.


Obwohl die Wahrscheinlichkeit eines solchen Spin-Flip-Übergangs für ein einzelnes Wasserstoffatom extrem gering ist – im Durchschnitt dauert es etwa 10 Millionen Jahre, bis ein Atom spontan diesen Übergang vollzieht – ist die schiere Menge an neutralem Wasserstoff im Universum so immens, dass dieser Übergang dennoch eine dominante Emissionslinie darstellt. Diese geringe Übergangsrate ist auch der Grund, warum die Linie erst in den 1950er Jahren nach ihrer theoretischen Vorhersage entdeckt werden konnte, da empfindliche Radioantennen notwendig waren. Die Energie, die bei diesem Übergang freigesetzt wird, ist sehr gering, was bedeutet, dass der Übergang auch bei den extrem niedrigen Temperaturen im interstellaren Raum stattfinden kann, wo die meisten anderen Anregungszustände von Atomen nicht besetzt sind.


Die herausragende Bedeutung der 21-cm-Linie in der Astronomie liegt in ihrer einzigartigen Fähigkeit, die Verteilung von neutralem Wasserstoff im Universum zu kartieren. Im Gegensatz zu sichtbarem Licht, das von interstellarem Staub und Gas stark absorbiert oder gestreut wird, kann die 21-cm-Strahlung ungehindert durch die dichten Gas- und Staubwolken unserer Milchstraße und anderer Galaxien dringen. Dies ermöglicht es Astronomen, Regionen zu untersuchen, die im optischen Bereich vollständig verborgen bleiben. Da neutraler Wasserstoff ein wesentlicher Bestandteil der interstellaren Materie und der Gasreservoirs ist, aus denen Sterne entstehen, liefert die 21-cm-Linie entscheidende Informationen über die Dynamik und Entwicklung von Galaxien.


Eine der wichtigsten Anwendungen der Wasserstofflinie ist die Kartierung der Spiralstruktur unserer Milchstraße. Durch die Messung der Doppler-Verschiebung der 21-cm-Linie können Astronomen die Radialgeschwindigkeiten von Wasserstoffwolken relativ zur Erde bestimmen. Aus diesen Geschwindigkeiten lässt sich die Rotationskurve der Galaxis ableiten. Überraschenderweise zeigen diese Rotationskurven, dass die äußeren Regionen von Galaxien viel schneller rotieren, als es die sichtbare Materie allein zulassen würde. Dies war eine der ersten und stärksten Evidenzen für die Existenz von Dunkler Materie, einer unsichtbaren Substanz, die den Großteil der Masse von Galaxien und Galaxienhaufen ausmacht und deren Gravitation die beobachteten Rotationsgeschwindigkeiten erklärt.


Neben der Kartierung der Milchstraße wird die 21-cm-Linie auch verwendet, um neutrale Wasserstoffwolken in anderen Galaxien zu untersuchen. Sie ermöglicht die Bestimmung von Gasmassen, die Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen Galaxien und die Verfolgung von Gasströmen, die möglicherweise zur Sternentstehung beitragen oder durch Galaxienkollisionen verursacht werden. Die breite Linienbreite aufgrund der turbulenten Bewegungen des Gases oder der Rotation von Galaxien kann wichtige Informationen über die Kinematik und Dynamik der Gashülle einer Galaxie liefern, selbst wenn die Galaxie optisch nur schwer zu beobachten ist.


In der Kosmologie spielt die Wasserstofflinie eine zunehmend wichtige Rolle bei der Untersuchung des frühen Universums. Man erwartet, dass die 21-cm-Strahlung aus der sogenannten "dunklen Zeit" des Universums – einer Periode nach der Rekombination, aber vor der Entstehung der ersten Sterne und Galaxien – wichtige Einblicke in die Epoche der Reionisierung geben kann. Während dieser Zeit ionisierte die UV-Strahlung der ersten Sterne und Quasare den neutralen Wasserstoff. Die Beobachtung der 21-cm-Linie aus diesen fernen Epochen, die aufgrund der kosmologischen Expansion stark rotverschoben ist, könnte ein einzigartiges Fenster in die Entstehung der ersten Großstrukturen und die Entwicklung des Universums nach dem Urknall öffnen.


Die Detektion der 21-cm-Linie erfordert spezialisierte Radioastronomie-Teleskope, die in der Lage sind, extrem schwache Signale zu empfangen und von Störquellen zu trennen. Die erste erfolgreiche Detektion gelang 1951 durch Harold Ewen und Edward Purcell in den USA, fast zeitgleich mit einer niederländischen Gruppe um Jan Oort und einem australischen Team. Diese Entdeckung revolutionierte die damalige Astronomie und ebnete den Weg für das Verständnis der Struktur und Dynamik unserer eigenen Galaxis sowie des gesamten Universums. Die kontinuierliche Entwicklung von Radioteleskopen und Interferometern, wie dem Square Kilometre Array (SKA), verspricht, die Erforschung der Wasserstofflinie auf neue Ebenen zu heben und unser Verständnis der kosmischen Evolution weiter zu vertiefen.

bottom of page