Art Nouveau, im deutschsprachigen Raum als Jugendstil bekannt, war eine internationale Kunstbewegung, die sich etwa von 1890 bis 1910 in Europa und den Vereinigten Staaten entwickelte. Sie markierte eine Abkehr von den historisierenden Stilen des 19. Jahrhunderts und suchte nach einer neuen, modernen Ästhetik. Im Zentrum stand die Idee des Gesamtkunstwerks, bei dem Architektur, Innenausstattung, Möbel, Gebrauchsgegenstände und Kunsthandwerk eine harmonische Einheit bilden sollten. Die Bewegung zeichnete sich durch eine tiefe Faszination für die Natur aus, die sich in organischen Formen, geschwungenen Linien und floralen Motiven manifestierte.
Die Wurzeln des Art Nouveau liegen in der Reaktion auf die industrielle Revolution und die damit einhergehende Massenproduktion, die oft als qualitativ minderwertig und ästhetisch unbefriedigend empfunden wurde. Künstler und Designer strebten danach, Kunst und Handwerk wieder zu vereinen und hochwertige, individuelle Produkte zu schaffen. Wichtige Impulse kamen von der britischen Arts and Crafts-Bewegung sowie von der japanischen Kunst, insbesondere dem Ukiyo-e-Holzschnitt, der eine neue Perspektive auf Komposition, Asymmetrie und die Darstellung der Natur bot. Auch die Symbolisten und Präraffaeliten beeinflussten die thematische Ausrichtung und Ästhetik des Art Nouveau.
Charakteristisch für den Art Nouveau sind fließende, asymmetrische Linien, die oft als 'Peitschenhieb-Linie' bekannt sind und eine dynamische Bewegung suggerieren. Florale und pflanzliche Ornamente, Tier- und Insektenmotive wie Libellen oder Schmetterlinge sowie die Darstellung der weiblichen Figur, oft mit langen, fließenden Haaren, waren allgegenwärtig. Die Farbpalette reichte von gedämpften, erdigen Tönen bis hin zu leuchtenden, juwelenartigen Farben, besonders in der Glaskunst. Die Verwendung neuer Materialien wie Eisen und Glas ermöglichte innovative konstruktive und dekorative Lösungen, die die Grenzen zwischen Funktion und Ornament verschwimmen ließen.
Obwohl Art Nouveau eine internationale Bewegung war, entwickelte sie in verschiedenen Ländern spezifische Ausprägungen. In Deutschland und Österreich sprach man vom Jugendstil, benannt nach der Münchner Zeitschrift 'Die Jugend'. Hier waren Künstler wie Gustav Klimt und Architekten wie Otto Wagner prägend. In Frankreich, wo die Bewegung ihren Namen von Siegfried Bings Galerie 'Maison de l'Art Nouveau' erhielt, schufen Hector Guimard mit den Pariser Métro-Eingängen und Victor Horta in Brüssel ikonische Architekturen. Spanien sah den Modernisme, dessen bekanntester Vertreter Antoni Gaudí war, während in Großbritannien der Modern Style mit Charles Rennie Mackintosh und der Glasgow School eine eigenständige Form fand. Italien kannte den Stile Liberty, und in den USA prägte Louis Comfort Tiffany die Glaskunst.
Gegen 1910 begann der Art Nouveau an Popularität zu verlieren und wurde zunehmend von funktionalistischeren und geometrischeren Stilen abgelöst, die den Weg zur Moderne ebneten. Die als überladen oder verspielt empfundene Ästhetik des Art Nouveau wich einer neuen Sachlichkeit. Dennoch ist sein Einfluss auf Design, Architektur und die bildenden Künste bis heute spürbar. Er legte den Grundstein für die Idee des modernen Designs, das Form und Funktion miteinander verbindet, und betonte die Bedeutung von Handwerkskunst und Ästhetik im Alltag. Viele seiner Prinzipien, insbesondere die organische Formensprache und die Integration von Naturmotiven, finden in späteren Designströmungen und der zeitgenössischen Ästhetik weiterhin Resonanz.