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WTF-Fragen
 

Könnte der Halley'sche Komet eine außerirdische Grippe zur Erde bringen?

 

Kategorie:

Astronomie

Der kurze TEASER:

Nein, aber die Idee ist weniger verrückt, als sie klingt. Ein berühmter Astronom war fest davon überzeugt, dass Kometen nicht nur Leben, sondern auch Krankheiten aus dem All säen – eine Theorie, die uns zwingt, den Ursprung des Lebens völlig neu zu denken.

Die ausführliche Antwort:

Stellen wir uns das Jahr 1910 vor. Der Halleysche Komet, dieser kosmische Rockstar, der alle 76 Jahre an unserem Planeten vorbeizieht, kündigt seinen Besuch an. Doch die Begeisterung ist mit einer gehörigen Portion Panik gemischt. Astronomen hatten kurz zuvor Zyanid, ein hochgiftiges Gas, im Schweif des Kometen nachgewiesen. Die Presse stürzte sich darauf. Würde die Erde durch den Schweif des Kometen fliegen und alles Leben vergiften? Die Menschen kauften in Panik "Anti-Kometen-Pillen" und Gasmasken. Natürlich passierte nichts. Die Konzentration des Gases war so unvorstellbar gering, dass sie absolut harmlos war. Doch diese Episode zeigt, wie sehr uns diese eisigen Wanderer aus der Tiefe des Alls faszinieren und verunsichern. Spulen wir vor in die 1970er und 80er Jahre. Ein ebenso brillanter wie streitbarer Astronom namens Sir Fred Hoyle greift diese Idee auf, aber mit einem noch viel radikaleren Dreh. Hoyle, ein Mann, der den Begriff "Big Bang" ursprünglich prägte, um sich über die Urknall-Theorie lustig zu machen (er war ein Verfechter des "Steady-State-Universums"), entwickelte zusammen mit seinem Kollegen Chandra Wickramasinghe eine moderne Version einer uralten Hypothese: die Panspermie. Der Grundgedanke: Das Leben ist nicht auf der Erde entstanden, sondern wurde aus dem Kosmos auf unseren Planeten "gesät". Und die Überbringer? Kometen. Hoyles Argumentation war verblüffend und provokant. Er behauptete, dass die riesigen interstellaren Staubwolken, aus denen Sternensysteme entstehen, nicht nur aus einfachen Molekülen bestehen, sondern auch gefriergetrocknete Bakterien enthalten. Wenn Kometen durch diese Wolken reisen, sammeln sie dieses biologische Material auf. Im Inneren der Kometen, geschützt vor der tödlichen kosmischen Strahlung durch dicke Eisschichten, könnten diese Mikroorganismen über Jahrmillionen überleben. Wenn ein solcher Komet dann in die Nähe eines Planeten wie der frühen Erde gelangt, taut sein Inneres auf. Es entstehen flüssige Wasserreservoirs – quasi kleine Teiche im Inneren des Kometen –, in denen die Bakterien wieder aktiv werden und sich vermehren können. Schlägt der Komet ein oder verteilt er seinen Staub in der Atmosphäre, gelangen diese außerirdischen Mikroben auf die Planetenoberfläche und beginnen, sie zu besiedeln. Doch Hoyle ging noch einen Schritt weiter und das ist der eigentliche WTF-Moment. Er postulierte, dass nicht nur das Leben selbst, sondern auch die Evolution und sogar Krankheiten von Kometen gesteuert werden. Seine These: Neue Viren und Bakterien, die für Pandemien wie die Spanische Grippe oder sogar die gewöhnliche Erkältung verantwortlich sind, regnen kontinuierlich aus dem All auf uns herab. Er analysierte historische Daten von Grippeausbrüchen und meinte, Muster zu erkennen, die nicht mit der Übertragung von Mensch zu Mensch zu erklären seien, sondern eher aussahen, als wären die Erreger fleckenhaft über große Gebiete "ausgestreut" worden – eben durch den Staub zerfallender Kometen. Der Halleysche Komet war für ihn ein Hauptverdächtiger. Jedes Mal, wenn die Erde die von ihm hinterlassene Staubspur kreuzt (was übrigens jährlich zu den Meteorschauern der Eta-Aquariiden und Orioniden führt), könnten wir einer neuen Dosis kosmischer Viren ausgesetzt sein. Die wissenschaftliche Gemeinschaft war, gelinde gesagt, skeptisch. Die Kritikpunkte sind massiv: Es gibt bis heute keinen einzigen direkten Beweis für lebende Mikroorganismen in Kometen oder Meteoriten. Zwar haben wir organische Moleküle, also die Bausteine des Lebens wie Aminosäuren, auf Kometen wie 67P/Churyumov-Gerasimenko (dank der Rosetta-Mission) gefunden, aber das ist ein gewaltiger Unterschied zu einem funktionsfähigen, lebenden Organismus. Die Reise durchs All ist brutal. Die Strahlung, das Vakuum, die extremen Temperaturen – es ist schwer vorstellbar, dass etwas diesen Trip überlebt. Und selbst wenn: Der Eintritt in die Erdatmosphäre ist ein feuriges Inferno. Könnte ein Mikroorganismus das überstehen? Und warum sollten Viren aus dem All perfekt an die menschliche Zellbiologie angepasst sein, um uns infizieren zu können? Das erscheint extrem unwahrscheinlich. Trotz der überwältigenden Kritik hat Hoyles kühne Idee die Wissenschaft vorangebracht. Sie zwang Astrobiologen, die Grenzen des Lebens neu zu definieren und die Möglichkeit zu erforschen, dass die Bausteine des Lebens tatsächlich aus dem All stammen (eine abgeschwächte Form der Panspermie, die als "Pseudo-Panspermie" oder "molekulare Panspermie" bekannt ist und heute weithin akzeptiert wird). Die Forschung an extremophilen Organismen auf der Erde – Lebewesen, die an den unwirtlichsten Orten wie kochenden Geysiren oder tief unter dem antarktischen Eis gedeihen – hat gezeigt, dass das Leben weitaus widerstandsfähiger ist, als wir dachten. Vielleicht könnten bestimmte Bakteriensporen, geschützt im Kern eines Felsbrockens, die interstellare Reise doch überleben (Lithopanspermie). Die Idee ist also nicht komplett vom Tisch, auch wenn die Version mit der kosmischen Grippe als wissenschaftlich widerlegt gilt. Der Halleysche Komet bringt uns also keine Krankheiten, aber er erinnert uns daran, dass die Frage nach unserem Ursprung vielleicht eine Antwort hat, die weit über den Horizont unseres eigenen Planeten hinausreicht.
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