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Ursprung von Halloween: Von Samhain zum globalen Spektakel

Ein geteilter Nachthimmel zeigt links einen nebligen Wald mit Vollmond, Lagerfeuer und einer geschnitzten Kürbislaterne; Schattenfiguren stehen im Dunst. Rechts erhellt eine Straßenlaterne ein viktorianisches Haus, vor dem kostümierte Kinder mit Kürbiseimern vorbeiziehen. In der Mitte prangt der Titel „Samhain – Halloween: 2000 Jahre Mythos & Masken“.
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Halloween am 31. Oktober wirkt heute wie Popkultur in Reinform: Kinder in Kostümen, leuchtende Kürbisse, „Süßes oder Saures“. Doch hinter der glänzenden Oberfläche steckt ein vielschichtiger Ursprung von Halloween, der über zwei Jahrtausende zurückreicht. Wie bei einem Palimpsest wurden alte Schichten nie ganz ausradiert – sie schimmern unter neuen Bedeutungen weiter. Dieses Fest ist kein gerader Stammbaum, sondern eher ein Myzelgeflecht: keltische Spiritualität, römische Feste, christliche Theologie, irische Folklore, amerikanische Erfindungslust und globale Kommerzialisierung. In dieser kulturgeschichtlichen Reise folgen wir den Spuren von den nebligen Hügeln Irlands bis zu den hell erleuchteten Vorstädten der Gegenwart – und fragen: Was macht Halloween so wandlungsfähig, dass es Kulturen, Zeiten und Weltanschauungen überbrücken konnte?


Samhain: Das keltische Fest der Liminalität


Beginnen wir dort, wo alles begann: im Irland, Schottland und Nordfrankreich der Kelten. Samhain – wörtlich „Ende des Sommers“ – markierte den Übergang in die dunkle Jahreszeit. Landwirtschaftlich war die Ernte eingebracht, Vieh wurde eingestallt, und man entschied nüchtern, welche Tiere den Winter überstehen würden. Doch hinter diesen pragmatischen Entscheidungen stand eine spirituelle Grundhaltung: In der Samhain-Nacht, so glaubten die Menschen, wurde die Grenze zur Anderswelt durchlässig. Ahnen und Wesen der Aos Sí (Feen) konnten die Welt der Lebenden betreten – ein Moment existenzieller „Schwellenhaftigkeit“.


Rituale spiegelten diese Ambivalenz aus Furcht und Ehrfurcht. Monumentale Feuer sollten schützen und ehren; in manche warfen Menschen Tierknochen – die englische Bezeichnung „bone fire“ klingt noch heute nach. Masken und Felle dienten als Tarnung gegen böswillige Geister, Opfergaben vor der Haustür sollten die Ahnen besänftigen. Und weil die Pforte zur Anderswelt als offen galt, war Samhain die Stunde der Divination: Druiden suchten Omen für das kommende Jahr; volkstümliche Orakel mit Äpfeln, Nüssen und Spiegeln machten das Schicksal greifbar – oder wenigstens spielerisch.


Historisch ist unser Wissen über Samhain zugleich reich und brüchig. Die Kelten schrieben kaum; vieles kennen wir aus späteren, christlichen Berichten oder archäologischen Indizien. Umso spannender ist der wissenschaftliche Diskurs: Ging es primär um Totengedenken – oder stand ursprünglich die Begegnung mit Feen und der Anderswelt im Mittelpunkt? Wahrscheinlich beides, je nach Region und Zeit. Aus heutiger Sicht war Samhain vor allem eines: ein Kult des Übergangs, in dem Gemeinschaft, Natur und Übernatürliches verflochten waren.


Römische und christliche Überlagerungen: Wie Kalender Macht ausüben


Mit Rom kamen nicht nur Straßen und Steuern, sondern auch Feste. Ob Feralia (Totenritus) und Pomona (Apfel- und Erntekult) Samhain direkt beeinflussten, ist umstritten. Doch thematische Parallelen – offene Unterwelten-Tage wie mundus patet oder das apfellastige „Bobbing for Apples“ – zeigen, wie Synkretismus funktioniert: Rituale docken aneinander an, wenn sie ähnliche Fragen beantworten.


Den nachhaltigsten Wandel brachte die Christianisierung. Statt heidnische Praxis zu verbieten, setzte die Kirche oft auf Transformation: Orte blieben, Bedeutungen wechselten. Aus dieser Strategie erklärten sich die Verlegung von Allerheiligen auf den 1. November und die Einführung von Allerseelen am 2. November. Aus „All Hallows’ Eve“ wurde durch Sprachwandel Hallowe’en – und schließlich Halloween. Theologisch fokussierte die Kirche auf Heilige, Läuterung und Erlösung; strukturell blieb die Übergangs-Logik erhalten. Drei Tage – 31. Oktober bis 2. November – rahmten nun eine Zeit, in der die Nähe zwischen Diesseits und Jenseits liturgisch durchgespielt wurde.


War das „kalendrarischer Imperialismus“ oder organisches Zusammenwachsen? Die ehrliche Antwort ist: beides, je nach Region und Machtkonstellation. Fest steht: Der Ursprung von Halloween wurde dadurch nicht ausgelöscht, sondern in eine neue Grammatik übersetzt.


Die transatlantische Neuerfindung: Von irischer Folklore zur amerikanischen Nachbarschaftsshow


Das Halloween unserer Gegenwart wurde maßgeblich in den USA geformt. Millionen irischer und schottischer Migrant:innen brachten im 19. Jahrhundert ihre Bräuche mit. In der puritanisch geprägten Frühzeit misstraute man dem Fest, doch mit der Zeit verband es sich mit amerikanischen Erntefeiern. Zeitungen erzählen von ländlichen Partys, Wahrsagespielen – und vor allem von Streichen: Tore verschwanden, Schilder wurden vertauscht, Kohlköpfe prallten gegen Türen.


Als diese „Mischief Night“ um 1900 zunehmend in Vandalismus kippte, reagierten Städte und Vereine: organisierte Paraden, Kostümwettbewerbe, Nachbarschaftsfeste. 1921 richtete Anoka (Minnesota) die erste stadtweite Halloween-Parade aus – die Zähmung der Anarchie. Aus der sozialen Verhandlung zwischen jugendlicher Grenzüberschreitung und bürgerlicher Ordnung entstand ein genialer Kompromiss mit drei Worten: „Trick or Treat.“ Der Streich blieb als Drohung im Raum, der „Treat“ kanalisierte die Energie in harmlose Wege – eine kulturelle Versicherungspolice gegen Chaos.


So wurde Halloween zur amerikanischen Synthese: irische und schottische Wurzeln, vermischt mit Einflüssen anderer Einwandererkulturen, sozial domestiziert und massenmedial verstärkt. Und genau dort wachsen jene Traditionen, die heute die Ikonografie beherrschen.


Ikonen & Rituale: Warum Kürbisse leuchten und Kinder klingeln


Kein Symbol ist so prägnant wie der Jack-o’-Lantern. Die irische Legende von Stingy Jack erzählt von einem Trickser, der den Teufel narrte und nach dem Tod weder Himmel noch Hölle betreten durfte. Mit einer glühenden Kohle in einer ausgehöhlten Rübe wandert er seitdem durch die Nacht. In Irland und Schottland schnitzte man tatsächlich Rüben – bis Auswanderer in Amerika den Kürbis entdeckten: größer, weicher, leuchtender. Materialwechsel, Bedeutungsgewinn – und ein perfektes Symbol für die amerikanische Ästhetisierung des Brauchs.


Verkleidungen wiederum begannen als spirituelle Tarnung gegen Geister, wurden im Mittelalter als „Mumming“ und „Guising“ zu sozialen Performances und etablierten sich im 20. Jahrhundert dank Massenproduktion und Popkultur als Kostümkaleidoskop: von Hexen über Superheld:innen bis zu Memes. Kostüme sind heute Identitätslabor und Nostalgieventil.


Und „Süßes oder Saures“? Seine Wurzeln sind verzweigt: Samhain-Gaben an die Ahnen, das mittelalterliche Souling (Seelenkuchen gegen Gebete) und das schottische Guising (Darstellung gegen Gabe). In den USA verschmolz das zur klaren Formel. Die Phrase taucht in nordamerikanischen Quellen der 1920er auf, in den 1950ern katapultieren Comics und Cartoons das Konzept in die Massenkultur. Aus wilder Streiche-Ökonomie wurde ein ritualisierter Mikrovertrag an der Haustür.


Farben, Tiere, Nachtschatten: Die Semiologie von Halloween


Orange und Schwarz erzählen eine ganze Jahreszeit in zwei Tönen: Ernteglut trifft Winterdunkel. Hexen verdichten alte Rollen der Heilerin, später dämonisiert, heute oft emanzipatorisch zurückerobert. Geister und Skelette sind memento mori – und zugleich charmant entschärft. Schwarze Katzen, Fledermäuse, Eulen und Spinnen verdanken ihre Halloween-Präsenz einer Mischung aus Ökologie (Herbstnächte, Insekten, Scheunen), Aberglauben und Bildpolitik der Popkultur. In Summe ergibt das eine Ikonographie des kontrollierten Schauder(n)s: Wir spielen Angst, um sie zu meistern.


Kommerz & Kulturkampf: Halloween in der globalisierten Gegenwart


Im 20. und 21. Jahrhundert wurde Halloween zur ökonomischen Großmacht – in den USA nur noch von Weihnachten übertroffen. Einzelhandel und Werbung starten ihre Kampagnen oft schon im Spätsommer; Kostüme, Süßigkeiten und Dekorationen treiben die Zahlen. Studien der National Retail Federation berichten von Milliardenumsätzen, während Social Media den Takt vorgibt. Die Frage lautet weniger „Ob feiern?“ als „Wie maximal instagrammable?“.


Spannend ist die Rückkehr nach Europa, besonders nach Deutschland seit den 1990er-Jahren. Ein verbreitetes Narrativ: Als 1991 der Karneval wegen des Golfkriegs ausfiel, suchte die Kostümbranche eine Alternative und pushte Halloween – ein Beispiel dafür, wie Wirtschaft Schubkraft für Rituale entfalten kann. Gleichzeitig kollidiert das Datum mit bestehenden Traditionen: Reformationstag (31.10.) als gesetzlicher Feiertag in mehreren Bundesländern, Allerheiligen (1.11.) mit „stillen“ Regeln – und wenig später der Martinstag (11.11.), dessen Laternenumzüge und Gabenlogik oberflächlich an Halloween erinnern, aber ein anderes Narrativ tragen: Teilen statt Drohen. So wird Halloween in Deutschland zum Stellvertreterkonflikt zwischen globalisiertem Konsumspaß und lokal verankerter Wertegemeinschaft.


Und doch: Rituale überleben, wenn sie Anschlussfähigkeit bieten. Halloween erfüllt Bedürfnisse nach Spiel, sozialem Miteinander, ästhetischem Kitzel und kreativer Selbstinszenierung – Bedürfnisse, die Grenzen und Generationen überschreiten.


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Warum Halloween so zählebig ist


Zieht man alle Fäden zusammen, zeigt sich ein erstaunlich robustes Muster: Halloween ist Metamorphose in Festform. Was als Samhain begann – ein Ritual, um den Übergang in Kälte und Dunkelheit zu bewältigen – wurde von römischen und christlichen Schichten übermalt, von irischer Folklore belebt, in Amerika sozial gezähmt und medial vergrößert, schließlich global vermarktet und lokal neu verhandelt. Jedes Zeitalter schrieb sich ein: Druiden mit Orakeln, Mönche mit Liturgien, Migrant:innen mit Geschichten, Bürgermeister:innen mit Paraden, Marketer:innen mit Kampagnen, Kinder mit leuchtenden Augen.


Der Ursprung von Halloween lebt fort – nicht als statisches Relikt, sondern als Echo in einer modernen, spielerischen Praxis, die Urängste in gemeinsamen Spaß verwandelt. Vielleicht ist genau das der Trick des Festes: Es nimmt die dunkle Seite ernst genug, um sie zu einem kollektiven Spiel zu machen. Und darin liegt der Treat – ein jährliches Ritual, das Gemeinschaft stiftet, Identität ausprobiert und Vergangenheit erfahrbar macht.


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Quellen:


  1. Samhain – Wikipedia – https://de.wikipedia.org/wiki/Samhain

  2. Halloween – Wikipedia – https://de.wikipedia.org/wiki/Halloween

  3. Halloween – Universität Innsbruck – https://www.uibk.ac.at/de/geschichte-ekw/datenbanken/feste-und-braeuche/halloween/

  4. The Origins of Halloween Traditions | Library of Congress Blog – https://blogs.loc.gov/headlinesandheroes/2021/10/the-origins-of-halloween-traditions/

  5. A Timeline of Halloween History | Stacker – https://stacker.com/stories/art-culture/timeline-halloween-history

  6. The history of Halloween: A timeline through the centuries – https://www.makeitgrateful.com/living/celebrate/halloween/history-of-halloween-a-timeline/

  7. Jack-o’-lantern – Wikipedia – https://en.wikipedia.org/wiki/Jack-o%27-lantern

  8. Jack O’Lantern – Wikipedia (de) – https://de.wikipedia.org/wiki/Jack_O%E2%80%99Lantern

  9. Stingy Jack – Wikipedia – https://en.wikipedia.org/wiki/Stingy_Jack

  10. The Origins of the Jack O’Lantern | Clemson HGIC – https://hgic.clemson.edu/the-origins-of-the-jack-olantern/

  11. The Jaw-Dropping History of the Jack-O’-Lantern – Irish Myths – https://irishmyths.com/2021/09/19/jack-o-lantern-history/

  12. Trick or Treat – Wie „Süßes oder Saures“ … – https://www.blank-passau.de/trick-or-treat-wie-suesses-oder-saures-zu-einer-halloween-tradition-wurde/

  13. Halloween costume – Wikipedia – https://en.wikipedia.org/wiki/Halloween_costume

  14. The History Of Halloween Costumes – https://lindenlink.com/180461/culture/the-history-of-halloween-costumes/

  15. Allerheiligen und Halloween: Was steckt dahinter? – DER SPIEGEL – https://www.spiegel.de/panorama/allerheiligen-und-halloween-was-steckt-dahinter-a-a32b8975-cefa-4721-8a76-5b9c54555842

  16. Ursprung und Bedeutung von Halloween – EKD – https://www.ekd.de/halloween-ursprung-und-bedeutung-13330.htm

  17. Reformationstag, Allerheiligen / Allerseelen und Halloween – rpi-ekkw-ekhn – https://www.rpi-ekkw-ekhn.de/fileadmin/templates/rpi/normal/bilder/arbeitsbereiche/ab_sekI/Adpfdp_Sek_I/reformationstag_material.pdf

  18. History of Halloween timeline – Office Timeline – https://www.officetimeline.com/blog/history-of-halloween-timeline

  19. History: Halloween’s origin and evolution in America – https://mltnews.com/history-halloweens-origin-and-evolution-in-america-in-the-20th-century/

  20. Topics in History: Halloween – Colorado Virtual Library – https://www.coloradovirtuallibrary.org/digital-colorado/colorado-historic-newspapers-collection/topics-in-history-halloween/

  21. Halloween is rooted in candy, capitalism – The Tide – https://thermtide.com/20210/opinions/halloween-is-rooted-in-candy-capitalism/

  22. Halloween | NRF – National Retail Federation – https://nrf.com/research-insights/holiday-data-and-trends/halloween

  23. NRF Consumer Survey (2025) – https://nrf.com/media-center/press-releases/nrf-consumer-survey-finds-halloween-spending-to-reach-record-13-1-billion

  24. Halloween spending to hit record $13.1 billion (2025) – https://wrnjradio.com/halloween-spending-to-hit-record-13-1-billion-in-2025-national-retail-federation-reports/

  25. The Origins of Halloween and Its Evolution in the United States – https://www.friedrichjones.com/blog/our-blog/the-origins-of-halloween-and-its-evolution-in-the-united-states

  26. The ancient Irish get far too much credit for Halloween – USC Dornsife – https://dornsife.usc.edu/news/stories/ancient-irish-get-too-much-credit-for-halloween/

  27. The origins of Halloween: Samhain & Romans – National World – https://www.nationalworld.com/explainer/halloween-2023-origins-of-the-celebration-samhain-feralia-pomona-all-saints-day-celts-romans-christians-4334644

  28. Halloween and the Romans – ARLT Weblog – https://arltblog.wordpress.com/2005/10/30/halloween-and-the-romans-feralia-and-pomona/

  29. Christianity and paganism – Wikipedia – https://en.wikipedia.org/wiki/Christianity_and_paganism

  30. Halloween – Geschichte & Bräuche (halloween.de) – https://www.halloween.de/geschichte-hintergrund/halloween-geschichte--590

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