Spinnen, die „erbrechen“? – Eine Überlebensstrategie, die (fast) niemand kommen sah
- Benjamin Metzig
- vor 1 Tag
- 5 Min. Lesezeit

Wir alle kennen Spinnen, oder? Acht Beine, oft ungeliebt, aber vor allem: giftig! Ihr Biss ist legendär, eine präzise Injektion lähmender Substanzen, die Beute außer Gefecht setzt. Doch was, wenn ich euch erzähle, dass es eine ganze Spinnenfamilie gibt, die diesen evolutionären Trumpf komplett über Bord geworfen hat? Und was, wenn ich noch hinzufüge, dass ihre alternative Jagdmethode so bizarr wie genial ist, dass sie selbst hartgesottene Biologen ins Staunen versetzt? Schnallt euch an, denn wir tauchen ein in die Welt der Uloboridae, der Kräuselradnetzspinnen, die eine Technik perfektioniert haben, die man am besten als "toxisches Erbrechen" bezeichnen könnte. Ja, ihr habt richtig gelesen!
Stellt euch vor: Eine Spinne, die im Laufe der Evolution beschlossen hat, "Nö, Gift brauch ich nicht mehr!". Das allein ist schon eine kleine Sensation in der Welt der Araneae, wo über 99 % aller Arten auf ihr chemisches Arsenal schwören. Die Uloboridae, so der wissenschaftliche Name dieser Nonkonformisten, sind zusammen mit einer weiteren winzigen Familie die einzigen bekannten Spinnen, die ihre Giftdrüsen sekundär verloren haben. Ihre Vorfahren waren also einst giftig, doch irgendwann im Laufe der Jahrmillionen hat sich ein anderer Weg als vorteilhafter erwiesen. Aber wie, um alles in der Welt, jagt man erfolgreich ohne Gift, wenn man eine Spinne ist? Die Antwort ist ein Meisterwerk der evolutionären Anpassung und hat Forscher lange vor ein Rätsel gestellt.
Um die Genialität der Uloboridae zu verstehen, müssen wir uns kurz ansehen, wie die "Standard-Spinne" vorgeht. Ein Insekt verfängt sich im Netz, die Spinne eilt herbei, ein schneller Biss, Gift wird injiziert, die Beute ist gelähmt oder tot. Dann wird sie oft eingesponnen und später in Ruhe verspeist, nachdem Verdauungsenzyme die Mahlzeit verflüssigt haben. Effizient, schnell, bewährt. Die Uloboridae aber, die schlagen einen völlig anderen Weg ein. Ihre Jagd ist ein wahres Spektakel:
Der Fang: Die Beute landet im Netz, das aus spezieller, nicht-klebriger Kräuselseide besteht, die Insekten mechanisch festhält.
Die Mumifizierung bei lebendigem Leibe: Jetzt kommt der Clou! Statt zu beißen, beginnt die Uloboride einen wahren Einwickel-Marathon. Sie umhüllt ihre Beute mit aberwitzigen Mengen an Seide, dreht sie, windet sie, bis das Opfer in einem dichten Kokon verschnürt und durch den Druck der Fäden bewegungsunfähig ist. Das kann dauern, manchmal bis zu einer Stunde! Hunderte Meter Seide werden dabei verbraucht. Stellt euch das mal vor – eine Geduldsprobe für Jäger und Beute.
Die tödliche Dusche: Erst wenn die Beute komplett immobilisiert ist, kommt der finale, entscheidende Akt. Die Spinne beugt sich über das Seidenpaket und beginnt, Verdauungsflüssigkeit zu regurgitieren – sie erbricht quasi auf ihr Opfer. Aber nicht nur ein bisschen, um die Verdauung einzuleiten. Nein, sie "überschüttet" das gesamte Paket großzügig und wiederholt mit ihrem Sekret.
Ihr fragt euch jetzt sicher: Und das soll tödlich sein? Genau das hat die Wissenschaftler auch umgetrieben! Wenn ihr tiefer in solche faszinierenden Anpassungen der Natur eintauchen wollt und keine Entdeckung verpassen möchtet, dann meldet euch doch für unseren monatlichen Newsletter über das Formular oben auf der Seite an! Dort erwarten euch noch viele weitere spannende Geschichten aus der Welt der Wissenschaft.
Die bahnbrechende Forschung, die Licht ins Dunkel dieser Strategie brachte, ist ein wahres Meisterstück wissenschaftlicher Detektivarbeit. Anatomen bestätigten: Bei Uloborus plumipes, einer Vertreterin dieser Familie, sind tatsächlich keine Giftdrüsen mehr vorhanden, nur noch verkümmerte Muskelklumpen. Auch die Giftklauen (Cheliceren) besitzen keine Austrittsöffnungen für Gift. Der klassische Injektionsapparat fehlt komplett! Aber woher kommt dann die tödliche Wirkung? Die Forscher warfen einen Blick in die "Gen-Küche" der Spinne, genauer gesagt in ihre Mitteldarmdrüse, das Organ, das die Verdauungssäfte produziert. Und siehe da: Hier fanden sie eine hohe Aktivität von Genen, die für bekannte Spinnentoxine kodieren, darunter sogar Neurotoxine! Es ist, als hätte die Spinne die Toxinproduktion einfach vom verlorenen Giftapparat in ihren Verdauungstrakt verlagert.
Um das zu beweisen, wurden Extrakte dieser Verdauungsflüssigkeit Fruchtfliegen injiziert. Das Ergebnis war eindeutig: Die Flüssigkeit war hochgradig insektizid und tötete einen Großteil der Fliegen binnen einer Stunde. Faszinierenderweise zeigten Vergleiche, dass auch die Verdauungssäfte "normaler" giftiger Spinnen Toxin-ähnliche Komponenten enthalten können. Die eigentliche Innovation der Uloboridae liegt also vielleicht nicht nur in der Produktion dieser "Verdauungstoxine", sondern vor allem in der Strategie ihrer Anwendung: Das exzessive Einwickeln und das anschließende Überfluten der Beute mit dieser toxischen Mischung ist der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Sie haben eine bereits vorhandene Fähigkeit auf eine völlig neue, geniale Weise zur Hauptwaffe gemacht!
Regurgitation, also das Hochwürgen von Mageninhalt, ist im Tierreich übrigens kein unbekanntes Phänomen. Viele Heuschrecken nutzen es zur Verteidigung, indem sie Angreifern eine klebrige, übel schmeckende Flüssigkeit entgegenspucken. Und bei einigen sozialen Spinnenarten füttern die Mütter ihre Jungen durch Regurgitation, manchmal sogar bis zur Selbstaufopferung. Die Uloboridae haben diesen Mechanismus jedoch auf einzigartige Weise für die Jagd perfektioniert.
Doch warum dieser Aufwand? Warum auf ein so bewährtes Werkzeug wie Gift verzichten? Die Antwort liegt wahrscheinlich in der Energiebilanz. Die Produktion von komplexem Gift und die Aufrechterhaltung der Giftdrüsen kosten den Körper permanent Ressourcen. Dieser "metabolische Preis" könnte der Selektionsdruck gewesen sein, der die Uloboridae dazu brachte, einen anderen Weg zu gehen. Sie tauschten die laufenden Kosten eines Giftsystems gegen höhere "Investitionskosten" pro Jagd: mehr Zeit, mehr Seide, mehr körperliche Anstrengung. Dieser Wandel zog eine ganze Kaskade von Anpassungen nach sich. Genomanalysen zeigten, dass bei diesen Spinnen Gene für Muskelproteine und für ein effizienteres Atmungssystem unter positivem Selektionsdruck standen. Logisch, denn wer seine Beute in einem stundenlangen Ringkampf überwältigen muss, braucht Muckis und Puste!
Die Strategie der Uloboridae, eine chemische Waffe extern anzuwenden, finden wir in Ansätzen auch bei anderen Tieren, wie Speikobras oder Bombardierkäfern. Doch die meisten dieser externen Chemiewaffen dienen der Verteidigung. Die Uloboridae hingegen haben diese Methode exklusiv und hochspezialisiert für den Beutefang entwickelt. Ein Nachteil dieser Strategie ist allerdings, dass sie zur Verteidigung gegen Fressfeinde ungeeignet ist. Das langwierige Einwickeln wäre gegen einen schnellen Vogel oder eine Wespe nutzlos. Man kann also vermuten, dass bei Uloboridae andere Verteidigungsmechanismen wie Tarnung und Fluchtverhalten besonders ausgeprägt sind.
Ist das nicht absolut verblüffend? Die Uloboridae zeigen uns auf eindrucksvolle Weise, wie kreativ und anpassungsfähig die Evolution sein kann. Sie haben einen Nachteil – den Verlust des Giftapparates – in einen einzigartigen Vorteil umgewandelt und eine völlig neue, erfolgreiche Überlebensstrategie entwickelt. Es beweist, dass es in der Natur oft mehr als nur einen Weg zum Ziel gibt. Die Forschung an diesen außergewöhnlichen Spinnen steht aber noch am Anfang. Wie genau wirken ihre "Verdauungstoxine"? Haben alle Uloboridae-Arten diese Methode? Wie schützen sie sich selbst vor ihrem toxischen Cocktail? Fragen über Fragen, die zukünftige Forschergenerationen sicher noch viele spannende Entdeckungen bescheren werden.
Was denkt ihr über diese unglaubliche Anpassung? Seid ihr genauso fasziniert wie ich von der Genialität der Natur? Lasst es mich in den Kommentaren wissen, liked diesen Beitrag, wenn er euch gefallen hat, und teilt ihn mit anderen neugierigen Köpfen!
Und wenn ihr noch mehr solcher unglaublichen Geschichten aus der Wissenschaft, Forschung und Natur entdecken wollt, dann folgt uns doch auch auf unseren Social-Media-Kanälen! Dort gibt es regelmäßig Updates, spannende Fakten und eine tolle Community zum Austauschen.Ihr findet uns hier:
#Uloboridae #Spinnen #Evolution #ToxischesErbrechen #GiftloseSpinnen #Anpassung #Zoologie #Biologie #Wissenschaft #Naturwunder
Verwendete Quellen:
Beyond venomous fangs: Uloboridae spiders have lost their venom but not their toxicity - PMC - PubMed Central, https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC12164160/
Spiders that vomit toxins on their prey | news.myScience / news ..., https://www.myscience.org/news/2025/des_araignees_qui_vomissent_des_toxines_sur_leurs_proies-2025-unil
This spider's barf is worse than its bite - Science News, https://www.sciencenews.org/article/spider-toxic-barf-fangs-venom-vomit
Beyond venomous fangs: Uloboridae spiders have lost their venom but not their toxicity, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2023.06.26.546488v2.full-text
Uloboridae - Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Uloboridae
A trade-off in evolution: the adaptive landscape of spiders without venom glands | GigaScience | Oxford Academic, https://academic.oup.com/gigascience/article/doi/10.1093/gigascience/giae048/7727444
Characterisation of protein families in spider digestive fluids and their role in extra-oral digestion - PMC, https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5553785/
Scheme of the succession of steps of extra-oral digestion (EOD) in spiders with reference to the enzymes involved - ResearchGate, https://www.researchgate.net/figure/Scheme-of-the-succession-of-steps-of-extra-oral-digestion-EOD-in-spiders-with-reference_fig1_319046403
Insects had it first: surfactants as a defence against predators - PMC, https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC2660939/
Dramatic histological changes preceding suicidal maternal care in the subsocial spider Stegodyphus lineatus (Araneae: Eresidae) - American Arachnological Society, https://www.americanarachnology.org/journal-joa/joa-all-articles/article/download/arac-43-1-77.pdf/?no_cache=1
Speien, sprühen, spritzen – 13 Tiere, die Körpersäfte als Waffe nutzen - Watson, https://www.watson.ch/wissen/tier/579088677-13-tiere-die-koerpersaefte-als-waffe-nutzen
Comparative analysis of primary defences in spiders (Araneae) - ResearchGate, https://www.researchgate.net/publication/258425223_Comparative_analysis_of_primary_defences_in_spiders_Araneae
Comments