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Toleranz am Limit: Über die Grenzen der Toleranz im 21. Jahrhundert

Das Titelbild ist grafisch im Comic-Stil gestaltet und zeigt zwei gegenüberstehende Gruppen. Auf der linken Seite stehen wütende, rot eingefärbte Personen mit erhobenen Fäusten und aggressiven Gesichtern, auf der rechten Seite eine diverse, ruhig wirkende Gruppe unterschiedlicher Hautfarben, Geschlechter und mit und ohne Kopftuch. In der Mitte zersplittert das Wort „TOLERANZ“ wie Glas; darüber steht groß „Toleranz am Limit“, darunter der Satz „Wann müssen wir ‚Nein‘ sagen?“ – das Bild visualisiert den Konflikt zwischen aggressiver Intoleranz und pluralistischer Gesellschaft.

Warum Toleranz heute so anstrengend ist


„Sei doch mal tolerant!“ – das klingt wie ein netter, warmer Appell. In Wirklichkeit steckt dahinter eine ziemlich unbequeme Zumutung. Etymologisch kommt Toleranz von tolerare – ertragen, aushalten, dulden. Man toleriert nicht das, was man liebt, sondern das, was man eigentlich falsch, nervig oder sogar bedrohlich findet – und trotzdem nicht verbieten oder bekämpfen will.


Damit ist Toleranz keine Wohlfühl-Tugend, sondern ein Dauer-Spagat: zwischen eigenen Überzeugungen und dem Recht anderer, anders zu sein. Genau dieser Spagat ist in pluralistischen Gesellschaften zur Überlebensfrage geworden – von Religionskonflikten über Hassrede im Netz bis zur Frage: „Darf man das noch sagen?“


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In diesem Beitrag gehen wir auf eine längere, aber hoffentlich sehr erhellende Reise: von den blutigen Religionskriegen der frühen Neuzeit über die großen Denker der Aufklärung bis zu heutigen Debatten um Cancel Culture, Safe Spaces und LGBTIQ*-Rechte. Unser roter Faden: die Grenzen der Toleranz. Wo müssen wir „Ja, ertrag ich“ sagen – und wo wird ein klares „Nein“ zur Pflicht?


Grenzen der Toleranz: Vom Religionskrieg zur Menschenwürde


Heute wirkt religiöse Toleranz wie eine Selbstverständlichkeit – Kirchen, Moscheen, Synagogen und säkulare Weltanschauungsgemeinschaften existieren nebeneinander. Historisch ist das eine ziemlich junge Errungenschaft – geboren aus Katastrophen.


Über Jahrhunderte galt im christlich geprägten Europa: Eine Wahrheit, eine Kirche, eine Ordnung. Abweichung war Ketzerei. Wer anders glaubte, gefährdete angeblich das Heil der ganzen Gemeinschaft und wurde verfolgt. Zwangsbekehrung und Gewalt waren theologisch legitimiert – Stichwort compelle intrare: „Nötige sie hereinzukommen“.


Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) führte diese Logik brutal ad absurdum. Weite Teile Mitteleuropas wurden verwüstet, Millionen starben. Am Ende war klar: Man kann Glaubens­einheit nicht mit Waffen erzwingen, ohne sich selbst mit zu zerstören.


Der Westfälische Frieden von 1648 war daher weniger ein Triumph der Humanität als ein Akt der Erschöpfung. Er sicherte erstmals Minderheitenrechte und das Recht, auszuwandern statt den Glauben des Landesherrn annehmen zu müssen. Das war Toleranz in der Minimalvariante: ein Waffenstillstand, kein Liebesheirat.


Später wurde diese pragmatische Duldung zur bewussten Staatsstrategie. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen holte etwa die verfolgten Hugenotten ins Land – aus religiöser Großherzigkeit, aber auch, weil sie als Fachkräfte und Händler gebraucht wurden. Toleranz war hier ein Instrument der Macht- und Wirtschaftspolitik.


Erst mit der Aufklärung wandelt sich „Duldung“ zur moralischen und philosophischen Norm:


  • John Locke trennt Politik und Religion radikal. Der Staat soll nur Leben, Freiheit und Eigentum schützen – Glaubensfragen sind Sache der Individuen. Zwang in religiösen Fragen sei sinnlos, weil echte Überzeugung nicht erpresst werden kann.

  • Voltaire führt einen publizistischen Feldzug gegen religiösen Fanatismus, etwa im Fall des zu Unrecht hingerichteten Protestanten Jean Calas. Für ihn ist Pluralismus ein Schutzmechanismus gegen Despotie – an der Börse von London handeln Menschen verschiedener Religionen friedlich miteinander, weil sie ein gemeinsames Interesse haben.

  • Lessing verschiebt in der Ringparabel die Frage nach der „wahren Religion“ von der Theorie zur Praxis: Entscheidend ist nicht, wer die richtige Lehre hat, sondern wer sich menschlicher verhält – sanft, hilfsbereit, solidarisch.


Im 19. und 20. Jahrhundert wandert Toleranz dann Schritt für Schritt in Verfassungen und Menschenrechtserklärungen. Spätestens nach den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts ist klar: Ohne rechtlich geschützte menschenwürdebasierte Grenzen der Toleranz – also Grenzen für staatliche und gesellschaftliche Willkür – ist Demokratie nur Fassade.


Wie Philosophen die Grenzen der Toleranz vermessen


Trotz aller Sonntagsreden: Toleranz ist ein kompliziertes, innerlich zerrissenes Konzept. Drei Denker helfen besonders, dieses Knäuel zu entwirren: Rainer Forst, Karl Popper und Herbert Marcuse.


Rainer Forst spricht von Toleranz als „Haltung im Konflikt“. Für ihn besteht echte Toleranz aus drei Bausteinen:


  1. Ablehnung: Ich halte eine Überzeugung oder Praxis für falsch oder problematisch. Ohne diesen Widerstandspunkt ist es keine Toleranz, sondern Zustimmung oder Gleichgültigkeit.

  2. Akzeptanz: Es gibt aber übergeordnete Gründe – Menschenrechte, Autonomie, gesellschaftlicher Frieden –, wegen derer ich diese Praxis trotzdem dulde. Ich akzeptiere nicht den Inhalt, wohl aber das Recht des anderen, so zu handeln oder zu glauben.

  3. Zurückweisung: Irgendwo verläuft eine Grenze, ab der die Ablehnungsgründe so schwer wiegen, dass sie nicht mehr zu überstimmen sind – etwa wenn Grundrechte verletzt werden. Hier endet Toleranz, und Verbot oder Eingreifen werden legitim.


Spannend wird es bei der Frage, wer eigentlich wen toleriert und auf welcher Grundlage. Forst unterscheidet vier Toleranz-Typen:


  • Erlaubnis-Toleranz: Die mächtige Mehrheit „gestattet“ der Minderheit, anders zu sein – solange sie sich unterordnet. Klassisch-hierarchisch.

  • Koexistenz-Toleranz: Gruppen lassen sich in Ruhe, weil der Konflikt zu teuer wäre. Ein kalter Frieden.

  • Respekt-Toleranz: Bürger erkennen einander als Gleiche an, unabhängig von Religion, Herkunft oder Lebensform. Man toleriert aus Respekt, nicht aus Gnade.

  • Wertschätzungs-Toleranz: Unterschiedlichkeit wird als Bereicherung gesehen – man freut sich über Vielfalt, ohne darum gleich alles gutheißen zu müssen.


Schon hier tauchen die Grenzen der Toleranz auf: Sie verlaufen dort, wo Respekt vor der Freiheit anderer mit dem Schutz vor Gewalt, Hass und Unterdrückung kollidiert.


Karl Popper bringt dieses Dilemma in seinem berühmten Toleranz-Paradoxon auf den Punkt: Eine Gesellschaft, die alles toleriert – auch die, die sie abschaffen wollen –, sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt. Deshalb müsse eine offene Gesellschaft lernen, Intoleranz zu begrenzen, wenn diese gezielt auf Gewalt, Täuschung oder Abschaffung der Demokratie setzt.


Wichtig: Popper fordert nicht, jede radikale oder sogar widerliche Meinung sofort zu unterdrücken. Solange man sich streiten, argumentieren und den öffentlichen Druck der Kritik nutzen kann, ist Verbieten kontraproduktiv. Erst wenn jemand den Diskurs verweigert und zu Gewalt oder systematischer Abschaffung von Freiheitsrechten aufruft, darf – und muss – eine Demokratie wehrhaft werden.


Herbert Marcuse geht einen Schritt weiter – und stellt die liberale Toleranz radikal in Frage. Seine Diagnose: In einer Gesellschaft mit massiven Machtgefällen ist „neutrale“ Toleranz selbst eine Form der Unterdrückung. Wenn das Wort des Mächtigen die gleiche formale Toleranz genießt wie die Stimme des Unterdrückten, aber viel mehr Reichweite hat, stabilisiert Gleichbehandlung die Ungleichheit.


Marcuse plädiert daher für „befreiende Toleranz“: mehr Toleranz für Bewegungen, die Befreiung und Gleichheit stärken, weniger für solche, die Unterdrückung zementieren. Das klingt vielen heute vertraut – etwa, wenn gefordert wird, Hassrede oder rassistische Positionen nicht mehr als „normale Meinung“ zu behandeln.


Damit sitzen wir mitten im aktuellen Streit: Braucht es eine radikal neutrale Toleranz, um wirklich offen zu bleiben – oder eben gerade nicht?


Was in unseren Köpfen passiert, wenn wir intolerant sind


Theorie ist das eine. Aber warum fällt Toleranz im Alltag so schwer? Die Sozialpsychologie zeigt: Intoleranz ist nicht (nur) böser Wille, sondern häufig ein Nebeneffekt ganz normaler Gehirn-Ökonomie.


Die Social Identity Theory von Tajfel und Turner beschreibt drei Schritte:


  1. Wir kategorisieren: „Wir“ und „die anderen“ – nach Nationalität, Religion, Fußballverein, Musikgeschmack.

  2. Wir identifizieren uns mit „unserer“ Gruppe: Sie wird Teil unseres Selbstbildes.

  3. Wir vergleichen: Um unseren Selbstwert zu stärken, reden wir die eigene Gruppe schön und die andere schlecht.


Das Perfide: Schon völlig willkürliche Gruppen – etwa „Kandinsky-Fans vs. Klee-Fans“ in Laborexperimenten – reichen, damit Menschen „ihren“ Leuten mehr zugestehen als der anderen Gruppe. Toleranz bedeutet also, einen eingebauten Automatismus zu unterbrechen: die bequeme Selbstaufwertung durch Abwertung anderer.


Wie können wir diesen Kreislauf durchbrechen? Hier kommt die Kontakthypothese von Gordon Allport ins Spiel. Sein Kernargument: Kontakt zwischen Gruppen kann Vorurteile abbauen – aber nur unter bestimmten Bedingungen:


  • Begegnung auf Augenhöhe

  • gemeinsame Ziele

  • Zusammenarbeit statt Konkurrenz

  • Unterstützung durch Regeln, Institutionen oder Autoritäten


Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam ein Projekt stemmen, einen Chor gründen oder in einem Team arbeiten, können positive Erfahrungen die Schubladen in unseren Köpfen durcheinanderwirbeln. Gelingt das nicht, bestätigt Kontakt eher vorhandene Klischees.


Zusätzlich wirken Mechanismen wie Othering („die da draußen“) oder Intersektionalität: Wer mehrere Diskriminierungsformen gleichzeitig erlebt – etwa als schwarze, queere Frau mit Behinderung – steht an ganz anderen Frontlinien der Intoleranz als jemand, der nur eine Achse von Benachteiligung kennt. Toleranz, die nur eine Dimension betrachtet, bleibt blind für solche Realitäten.


Toleranz in der Praxis: LGBTIQ*, Religion und Cancel Culture


Theoretisch klingt Toleranz oft schön abstrakt. In der Praxis wird es schnell ungemütlich – zum Beispiel bei sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Viele queere Menschen empfinden das Wort „Toleranz“ inzwischen als herablassend. Warum? Weil es ein Machtgefälle impliziert: Die Norm definiert, was „richtig“ ist, und entscheidet dann großzügig, was sie trotzdem duldet. Botschaft: „Ich finde deine Lebensweise zwar falsch, lasse dich aber gewähren.“ Das ist besser als Verfolgung – aber weit entfernt von echter Akzeptanz.


Rechtlich hat sich in Deutschland viel getan: Eheöffnung, Antidiskriminierungsgesetze, dritte Option im Personenstand. Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass viele LGBTIQ*-Personen im Alltag weiterhin Beleidigungen, Anfeindungen und Angst vor offenem Leben erleben. Der Staat kann Diskriminierung verbieten – aber nicht verordnen, wie Menschen fühlen oder denken. Akzeptanz braucht Sichtbarkeit, Bildung und Begegnung.


Ähnlich komplex ist die religiöse Toleranz. Forschung unterscheidet zwischen:


  • passiver Toleranz: Man redet möglichst nicht über Religion, verbannt sie ins Private. Konflikte werden vermieden – aber Verständnis wächst auch nicht.

  • aktiver Toleranz: Man stellt sich der Auseinandersetzung, spricht über Glauben, Werte und Konflikte, ohne sofort auf „Religionskrieg“ zu schalten.


Und dann ist da noch der mediale Aufreger unserer Zeit: Cancel Culture. Empirische Studien zur akademischen Redefreiheit zeigen ein differenziertes Bild. Die meisten Forschenden sehen die Meinungsfreiheit an Hochschulen grundsätzlich gut geschützt. Gleichzeitig gibt es vor allem unter Studierenden die Tendenz, bestimmte Positionen nicht mehr akzeptabel zu finden – besonders, wenn sie als verletzend oder gefährlich für Minderheiten wahrgenommen werden.


Hier verschiebt sich die Toleranzfrage: Weg von „Mag ich deine Meinung?“ hin zu „Welche Art von Aussagen richten Schaden an – und wen müssen wir wovor schützen?“ Sprache wird als Handlung verstanden, die Strukturen von Ungleichheit reproduzieren kann. Schutzräume für marginalisierte Gruppen kollidieren dann mit der Idee einer maximal offenen Debatte.


Die Debatte dreht sich am Ende genau um unser Thema: Sind die Grenzen der Toleranz dort erreicht, wo Worte zu sozialer Gewalt werden – oder dort, wo wir anfangen, kontroverse Positionen aus Angst vor Konflikt auszusperren?


Deutschland im Stresstest der Toleranz


Schöne Theorien sind das eine – harte Zahlen das andere. Langzeitstudien wie die Mitte-Studie oder die Leipziger Autoritarismus-Studie zeichnen ein ambivalentes Bild der deutschen Gesellschaft.


Auf den ersten Blick scheint die Lage gar nicht so düster: Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten nur wenige Prozent der Bevölkerung. Aber: Ein deutlich größerer Teil bewegt sich im Graubereich – schwankt zwischen Zustimmung und Ablehnung menschenfeindlicher Aussagen, ist „teils/teils“ einverstanden. Die klare Abgrenzung nach Rechtsaußen bröckelt.


Gleichzeitig sinkt das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Viele Menschen haben das Gefühl, „da oben“ würde sowieso ohne sie entschieden – ein idealer Nährboden für Verschwörungserzählungen und Misstrauen gegenüber Medien, Wissenschaft und Institutionen.


Besonders brisant: gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – also abwertende Einstellungen gegenüber Geflüchteten, Muslimen, Sinti und Roma, Jüdinnen und Juden oder wohnungslosen Menschen. Ein nicht zu unterschätzender Anteil findet, man könne „im nationalen Interesse“ nicht allen dieselben Rechte gewähren oder unterstellt Migrant*innen pauschal Sozialmissbrauch.


Parallel dazu wächst in urbanen, akademischen Milieus die Sensibilität für diskriminierende Sprache, Machtstrukturen und Privilegien. Während ein Teil der Gesellschaft „woker“ wird, fühlt sich ein anderer Teil dadurch bevormundet und reagiert mit Trotz oder offener Aggression. Die Konfliktlinien verlaufen also nicht nur zwischen „Mitte“ und „Rand“, sondern quer durch Freundeskreise, Familien und Social Media Feeds.


Toleranz lernen: Vom Anti-Bias-Training bis Betzavta


Wenn Intoleranz teilweise aus ganz normalen psychologischen Mechanismen entsteht – können wir dann überhaupt „besser“ werden? Die gute Nachricht: Ja, aber es kostet Arbeit. Toleranz ist eher wie ein Muskel als wie ein Charakter-Gen – ohne Training baut sie ab.


Ein wichtiger Ansatz ist der Anti-Bias-Ansatz. Seine Kernideen:


  • Jede*r hat Vorurteile. Ziel ist nicht, „vorurteilsfrei“ zu werden (illusorisch), sondern die eigenen blinden Flecken zu erkennen.

  • Übungen wie der „Privilegien-Walk“ machen unsichtbare Vorteile sichtbar: Menschen gehen Schritte nach vorne oder hinten, je nachdem, ob Aussagen wie „Ich musste mir nie Sorgen machen, wegen meines Namens keine Wohnung zu bekommen“ auf sie zutreffen.

  • So wird körperlich erfahrbar, wie unterschiedlich Startbedingungen sind – und wie stark soziale Strukturen Privilegien verteilen.


Ein anderer, sehr erfahrungsorientierter Weg ist die Betzavta-Methode („Miteinander“), entwickelt in Israel. Hier werden demokratische Grundprinzipien und Toleranz durch Gruppenübungen erfahrbar gemacht. Wenn eine Gruppe z.B. einen Kuchen „gerecht“ teilen soll, wird schnell klar: Es gibt kein technisches, objektiv neutrales Verfahren. Man muss Bedürfnisse aushandeln, zuhören, die Perspektiven der anderen ernst nehmen.


Solche Methoden zielen auf eine konfliktfähige Toleranz: Nicht die Vermeidung von Streit, sondern das Erlernen fairer, respektvoller Konfliktformen.


Dazu kommen institutionelle Programme wie „Demokratie leben!“ oder „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Sie stärken lokale Initiativen, Schulprojekte und zivilgesellschaftliche Netzwerke. Entscheidend ist, dass es nicht bei einem bunten Projekttag bleibt, sondern dass Partizipation und Mitbestimmung in den Alltag von Schulen, Vereinen und Kommunen eingebaut werden.


Wenn du Lust hast, dich mit anderen über solche Ansätze auszutauschen und mehr Einblicke aus Wissenschaft und Praxis zu bekommen, folge gerne unserer Community auf Social Media:



Dort diskutieren wir regelmäßig Studien, Methoden und konkrete Beispiele aus Bildung, Politik und Alltag.


Konfliktfähige Toleranz – wann „Ja“ und wann „Nein“?


Was bleibt nach dieser Tour durch Geschichte, Philosophie, Psychologie und Gegenwartspolitik?


Erstens: Toleranz ist anstrengend. Sie verlangt, dass wir Dinge aushalten, die wir ablehnen. Sie verlangt, dass wir unsere Wahrheitsansprüche ein Stück weit relativieren – nicht, indem wir alles gleich gut finden, sondern indem wir anerkennen, dass andere das Recht haben, anders zu leben und zu glauben.


Zweitens: Toleranz ist machtgeladen. Wer toleriert, definiert oft die Norm. Deswegen reicht „geduldet werden“ vielen nicht mehr – sie wollen Anerkennung und gleiche Teilhabe. Forderungen nach Akzeptanz und Sichtbarkeit, etwa von LGBTIQ*-Communities oder religiösen Minderheiten, sind Versuche, dieses Machtgefälle abzubauen.


Drittens: Toleranz braucht Grenzen. Mit Karl Popper müssen wir sagen: Eine Gesellschaft, die den erklärten Feinden der Demokratie freie Bahn lässt, gibt sich selbst auf. Die Herausforderung besteht darin, diese Grenzen der Toleranz so zu ziehen, dass sie Hass, Gewalt und Entmenschlichung stoppen – ohne legitimen Streit und unbequeme Wahrheiten zu ersticken.


Viertens: Toleranz ist lernbar. Durch Anti-Bias-Trainings, Betzavta, gelebte Demokratie in Schulen, Vereinen und Kommunen – und durch die Bereitschaft, sich selbst in Frage zu stellen. Die wichtigste Ressource dabei ist nicht perfekte Moral, sondern die Fähigkeit, im Konflikt menschlich zu bleiben.


Vielleicht könnte man sagen: Wir brauchen im 21. Jahrhundert keine kuschelige, konfliktscheue Toleranz, sondern eine konfliktfähige Toleranz, die weiß, wann sie „Ja, das halte ich aus“ sagt – und wann sie klar „Nein“ sagt, weil die Würde von Menschen auf dem Spiel steht.


Wenn du bis hierher gelesen hast: Danke fürs Dranbleiben. Wenn dich das Thema bewegt oder du anderer Meinung bist, lass dem Beitrag gerne ein Like da und schreib deine Gedanken in die Kommentare – besonders dann, wenn du widersprichst. Toleranz beginnt genau da, wo wir mit Menschen im Gespräch bleiben, die anders denken als wir.



Quellen:


  1. Toleranz – Wikipedia - https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz

  2. Rainer Forst: Toleranz im Konflikt – Suhrkamp Verlag - https://www.suhrkamp.de/buch/rainer-forst-toleranz-im-konflikt-t-9783518292822

  3. ToleranzRäume: Toleranz vermitteln - https://www.toleranzraeume.org/vermitteln/toleranz/

  4. Social Identity Theory – Simply Psychology - https://www.simplypsychology.org/social-identity-theory.html

  5. Contact Hypothesis – Simply Psychology - https://www.simplypsychology.org/contact-hypothesis.html

  6. Religionsgeschichte: Anfänge der Toleranz in Europa – Deutschlandfunk Nova - https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/religionsgeschichte-anfaenge-der-toleranz-in-europa

  7. Der „Letter concerning Toleration“ von John Locke – Dissertation - https://epub.uni-regensburg.de/27939/1/Dissertation_final_ohnePasswort_10.03.pdf

  8. Voltaire und die Toleranz – Philosophie Magazin - https://www.philomag.de/artikel/voltaire-und-die-toleranz

  9. Mehr als die Ringparabel – Lessings Kultur der Toleranz - https://www.vr-elibrary.de/doi/10.13109/9783666500183.425

  10. „Dulden heißt beleidigen“ – Rainer Forst über Toleranz, Anerkennung und Emanzipation - https://www.wzb.eu/system/files/docs/tsr/cgc/forst-paper.pdf

  11. Das Toleranzparadoxon: Warum liberale Gesellschaften lernen müssen, Nein zu sagen - https://www.nbtimes.de/post/das-toleranzparadoxon-warum-liberale-gesellschaften-lernen-m%C3%BCssen-nein-zu-sagen

  12. Herbert Marcuse: Repressive Toleranz (dt. Fassung) - https://www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/1965MarcuseRepressiveToleranzDtOcr.pdf

  13. Political Correctness und Cancel Culture – eine Frage der Macht! - https://journalistik.online/ausgaebe-01-2021/political-correctness-und-cancel-culture%E2%80%84-%E2%80%84eine-frage-der-macht/

  14. Mitte-Studie 2025: Die angespannte Mitte – Friedrich-Ebert-Stiftung - https://www.fes.de/mitte-studie

  15. Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 – Heinrich-Böll-Stiftung - https://www.boell.de/de/2024/11/13/die-leipziger-autoritarismus-studie-2024-methoden-ergebnisse-und-langzeitverlauf

  16. Verunsicherte Öffentlichkeit – Bertelsmann Stiftung - https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/UpgradeDemocracy/2024_UpDem-Studie-Verunsicherte-OEffentlichkeit_DE.pdf

  17. Anti-Bias – ein Ansatz zur Unterstützung von Bildungseinrichtungen - https://www.vielfalt-mediathek.de/data/expertise_antibias.pdf

  18. Stuhlspiel (Adaption von Betzavta) – Aja-org.de - https://aja-org.de/wp-content/uploads/2020/11/toleranz_betzavta_stuhlspiel.pdf

  19. Bundesprogramm „Demokratie leben!“ – Startseite - https://www.demokratie-leben.de/

  20. Der Präventionsansatz von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ - https://www.schule-ohne-rassismus.org/wp-content/uploads/2020/03/Baustein-1-Praeventionsansatz-web.pdf

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