Der innere Richter: Wie du deinen inneren Kritiker transformieren kannst
- Benjamin Metzig
- vor 1 Tag
- 11 Min. Lesezeit

Wenn die lauteste Stimme in deinem Leben in deinem Kopf sitzt
Du bereitest eine Präsentation vor und objektiv lief alles gut: Du warst vorbereitet, die Kolleg:innen haben genickt, am Ende gab es Applaus. Und trotzdem hörst du auf dem Heimweg nur eine Stimme: „Das war peinlich. Die eine Folie war völlig daneben. Alle haben gemerkt, dass du keine Ahnung hast.“
Diese Stimme hat einen Namen: der Innere Kritiker. Er ist kein kleiner Nebendarsteller, sondern für viele Menschen die Hauptfigur im inneren Theater – laut, unerbittlich, scheinbar allwissend. Und das Tragische: Er klingt so, als wäre er die reine Wahrheit.
Genau darum geht es in diesem Artikel: Wir schauen uns an, wie diese kritische Instanz in dir entsteht, wie sie in deinem Gehirn verankert ist, warum sie so mächtig werden kann – und vor allem, wie du deinen inneren Kritiker transformieren kannst. Nicht, indem du ihn brutal zum Schweigen bringst, sondern indem du ihn verstehst, zähmst und Schritt für Schritt in einen Verbündeten verwandelst.
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Was der innere Kritiker wirklich ist – und was nicht
Der psychologische Begriff „Innerer Kritiker“ beschreibt eine internalisierte Instanz in deiner Psyche, die dich permanent bewertet. Sie kommentiert dein Denken, Fühlen und Handeln – häufig abwertend, selten freundlich, fast nie neutral. Diese Stimme fühlt sich oft „ich-synton“ an, also so, als wärst „du selbst“ das Problem: „Ich bin zu faul. Ich bin zu sensibel. Ich bin nicht genug.“
Das ist ein entscheidender Punkt: Für viele von uns ist der Kritiker so sehr mit dem eigenen Selbstbild verschmolzen, dass er gar nicht mehr als Stimme unter vielen erkannt wird. Er wirkt wie ein inneres Gerichtsurteil, nicht wie eine Meinung. Deshalb ist es so schwer, Distanz aufzubauen und diese Urteile zu hinterfragen.
Dabei ist der Innere Kritiker ursprünglich keine Laune der Natur. Er ist das Ergebnis von Lernprozessen: aus der Kindheit, aus Beziehungserfahrungen, aus gesellschaftlichen Normen. Und – das ist wichtig – er entstand meist als Überlebensstrategie, nicht aus Bosheit. Sein Motto lautet in etwa: „Wenn ich dich härter bestrafe als andere es jemals könnten, bist du vielleicht sicher.“
Gewissen vs. innerer Kritiker: Dieselbe Stimme? Ganz und gar nicht.
Eine häufige Verwechslung: Viele glauben, der Innere Kritiker sei einfach nur das Gewissen – also die Instanz, die uns hilft, moralisch zu handeln, Verantwortung zu übernehmen und Fehler zu korrigieren. Doch psychologisch sind das zwei sehr verschiedene Systeme.
Wie du einen reifen inneren Kompass von einem toxischen Kritiker unterscheidest
Motivation:
– Kritiker: Angst, Scham, Panik vor Ablehnung
– Gewissen: Werte, Verantwortung, Respekt vor anderen und dir selbst
Tonfall:
– Kritiker: hart, zynisch, verächtlich
– Gewissen: ruhig, klar, manchmal streng, aber wohlwollend
Inhalt:
– Kritiker: „Du bist ein Versager.“ (Angriff auf deine Person)
– Gewissen: „Ich habe jemanden verletzt
– wie kann ich das wieder gutmachen?“ (Fokus Verhalten)
Folge:
- Kritiker: Lähmung, Scham, Selbsthass
– Gewissen: Lernimpuls, Wiedergutmachung, Wachstum
Ein reifes Gewissen hilft dir, gut zu handeln, ohne deinen Selbstwert zu zerstören. Der Innere Kritiker dagegen reißt deine Identität an sich: Er macht aus „Ich habe einen Fehler gemacht“ ein „Ich bin ein Fehler“. Genau dort wird es psychisch gefährlich.
Kurzer Streifzug durch die Theorie: Vom Über-Ich zum Ego-State
Um den inneren Kritiker besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf ein paar große Namen der Psychologiegeschichte – keine Sorge, wir nehmen sie eher wie spannende Charaktere in einer Serie, nicht wie trockenes Prüfungswissen.
Freud sprach vom Über-Ich, der Instanz, die Normen, Verbote und elterliche Erwartungen in uns repräsentiert. In einer gesunden Variante hilft uns das, in einer Gesellschaft zu leben. In einer extremen, „sadistischen“ Variante allerdings verfolgt das Über-Ich das Ich mit unerbittlicher Härte – genau so, wie wir den Inneren Kritiker erleben: gnadenlos, strafend, überzogen moralisch.
Später differenzierte Jacques Lacan zwischen Ideal-Ich (das perfekte, glatte Selbstbild, das wir gern hätten) und Ich-Ideal (der innere Blick, aus dem wir uns so sehen wollen, dass andere uns lieben). Der Abstand zwischen realem Ich und Ideal-Ich ist der Nährboden für den Kritiker: Je unerreichbarer das Ideal, desto lauter die innere Stimme, die dir sagt, dass du nie genügst.
Die Transaktionsanalyse setzt an einem anderen Punkt an und spricht vom kritischen Eltern-Ich: einem inneren Zustand, in dem wir so urteilen, wie unsere Eltern, Lehrer:innen oder andere Autoritäten es einst taten. Der Kritiker ruft dann alte Sätze ab wie Tonbandaufnahmen: „Reiß dich zusammen“, „Stell dich nicht so an“, „Sei perfekt oder lass es“.
Typische Sätze aus dem kritischen Eltern-Ich
„Andere schaffen das doch auch – warum du nicht?“
„Du darfst keine Schwäche zeigen.“
„Wenn du einen Fehler machst, bist du unten durch.“
„Entspann dich später – jetzt wird gearbeitet.“
Alle diese Modelle beschreiben im Kern dasselbe Phänomen aus verschiedenen Perspektiven: eine internalisierte, oft übermächtige Instanz, die dich bewerten, regulieren – und im Zweifel kleinhalten will.
Wie der innere Kritiker entsteht: Kindheit, Scham und Gesellschaft
Kein Mensch kommt mit einem fertigen inneren Kritiker auf die Welt. Babys haben kein Problem damit, laut zu schreien, wenn sie etwas wollen, sich schmutzig zu machen, „zu viel“ zu sein. Der Kritiker entsteht später – als Reaktion auf ein Umfeld, das nicht immer sicher, liebevoll und verlässlich war.
Introjektion: Wenn äußere Stimmen zu inneren Gesetzen werden
Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen bleiben. Kritik, Liebesentzug, Beschämung oder Strafe fühlen sich existenziell bedrohlich an. Um diese Bedrohung kontrollierbar zu machen, passiert ein psychischer Trick: Das Kind introjiziert die kritische Stimme – es nimmt sie in sich hinein.
Die unbewusste Logik lautet: „Wenn ich mich selbst hart genug kontrolliere und bestrafe, passiert es wenigstens nicht überraschend von außen. Und vielleicht lieben sie mich dann.“
So wird der Innere Kritiker zum inneren Sicherheitsdienst in einer unsicheren Welt. Je härter das äußere Umfeld – je mehr Vernachlässigung, Gewalt, Demütigungen – desto strenger muss dieser innere Wächter werden, um vermeintlich zu schützen.
Toxische Scham: Der Treibstoff des Kritikers
Scham ist ein uraltes Gefühl, das uns hilft, in Gruppen zu funktionieren. Problematisch wird es, wenn aus situativer Scham („Das war mir peinlich“) eine toxische Scham wird: „Mit mir stimmt etwas Grundlegendes nicht.“
Der Innere Kritiker wird dann zum Hüter dieser Scham. Er attackiert dich, bevor andere es können: „Geh gar nicht erst hin, du blamierst dich nur.“ „Sag lieber nichts, du bist eh uninteressant.“ Auf diese Weise versucht er, dich vor erneuter Demütigung zu schützen – zum Preis, dass du dein authentisches Selbst ständig versteckst.
Gesellschaft und Gender: Der innere Patriarch
Unser Kritiker spricht nicht im luftleeren Raum. Er greift kulturelle und gesellschaftliche Botschaften auf – und das oft gnadenlos. Leistungsdruck, Schönheitsideale, Optimierungswahn: All das wird in seine Urteile eingespeist.
Bei vielen Frauen zeigt sich beispielsweise ein „innerer Patriarch“, der weiblich konnotierte Eigenschaften wie Bedürftigkeit, Emotionalität oder Weichheit abwertet. Der Satz „Du bist zu sensibel“ ist dann nicht nur persönlich, sondern auch kulturell aufgeladen.
Typische gesellschaftliche Glaubenssätze, die der Kritiker liebt
„Nur wer viel leistet, ist etwas wert.“
„Schwäche zeigen ist gefährlich.“
„Erst wenn du perfekt bist, darfst du dich entspannen.“
„Anpassung ist sicherer als Authentizität.“
Diese Glaubenssätze sind so tief verankert, dass der Kritiker sie wie unumstößliche Naturgesetze verteidigt.
Das Gehirn unter Beschuss: Was bei Selbstkritik neurobiologisch passiert
Spätestens hier lohnt sich ein Blick in dein Gehirn – nicht, um es kompliziert zu machen, sondern um klarer zu sehen: Selbstkritik ist kein „bloßes Denken“. Sie ist ein handfester Stresszustand im Nervensystem.
Das Default Mode Network: Wenn Grübeln zur Standardeinstellung wird
Immer wenn du nicht gerade eine Aufgabe erledigst, ist dein Gehirn nicht etwa „aus“, sondern es schaltet in den Leerlaufmodus: das Default Mode Network (DMN). Dieses Netzwerk ist zuständig für Tagträume, Selbstreflexion, Erinnerungen und Zukunftsplanung.
Bei vielen Menschen mit starkem inneren Kritiker ist dieses Netzwerk überaktiv – besonders die Areale, die Selbstbezug und emotionales Gedächtnis verarbeiten. Die Folge: Statt dich in ruhigen Momenten zu erholen, rutschst du in endlose Grübelschleifen. Das DMN wird vom Kritiker gekapert:
„Hätte ich gestern nicht…?
Warum habe ich damals…?
Was, wenn ich morgen…?“
Bedrohung, Antrieb, Beruhigung: Drei Emotionssysteme – ein Ungleichgewicht
Der Psychologe Paul Gilbert beschreibt drei grundlegende Emotionssysteme in unserem Gehirn:
Die drei Emotionssysteme nach Paul Gilbert
Bedrohungssystem: Alarmanlage des Gehirns; reagiert mit Angst, Wut oder Erstarrung.
Antriebssystem: Motivationsmotor; treibt uns an, Ziele zu verfolgen, zu leisten, Erfolg zu suchen.
Beruhigungssystem: innerer Kuschelmodus; sorgt für Sicherheit, Verbundenheit und Regeneration.
Der innere Kritiker feuert vor allem das Bedrohungssystem an. Studien zeigen, dass Selbstkritik ähnliche Hirnregionen aktiviert wie eine reale Bedrohung von außen. Dein Körper schüttet Stresshormone aus, der Puls steigt, der Fokus verengt sich. Nur dass diesmal der „Angreifer“ in deinem Kopf sitzt.
Gleichzeitig ist bei vielen sehr selbstkritischen Menschen das Beruhigungssystem unterentwickelt oder misstrauisch belegt. Selbstmitgefühl fühlt sich dann gefährlich an – als Einladung zum Versagen. So kommt es, dass rationale Argumente („Ich war doch objektiv gut“) wenig bringen: Dein Nervensystem ist im Krisenmodus, nicht im Diskussionsmodus.
Wenn der Kritiker das Ruder übernimmt: Depression, Impostor-Syndrom & Co.
Der Innere Kritiker ist nicht nur nervig – er ist ein transdiagnostischer Risikofaktor für viele psychische Störungen. Er taucht in verschiedener Verkleidung auf, aber der Kern bleibt gleich: In dir wohnt eine Stimme, die gnadenlos gegen dich arbeitet.
Depression: Die kognitive Triade
In einer Depression verschmilzt das Selbst oft vollständig mit dem Kritiker. Aaron Beck beschrieb die „kognitive Triade“: negative Sicht auf dich selbst, die Welt und die Zukunft. Es ist, als würden alle Kanäle im Kopf denselben Sender spielen: „Ich bin schlecht. Die Welt ist feindlich. Es wird nie besser.“
Der Kritiker wird dann zum inneren Täter, der nicht nur kritisiert, sondern das eigene Dasein grundsätzlich in Frage stellt. Das ist der Punkt, an dem Suizidgedanken auftauchen können – scheinbar als „logische Konsequenz“ einer gnadenlos verzerrten Selbstwahrnehmung. Wer so etwas erlebt, braucht professionelle Unterstützung; dieser Artikel kann und will keine Therapie ersetzen.
Impostor-Syndrom: „Alle überschätzen mich“
Beim Impostor-Syndrom (Hochstapler-Phänomen) flüstert der Kritiker: „Du hast deinen Erfolg nur durch Glück, Zufälle oder nette Menschen erreicht. Eigentlich kannst du nichts.“ Erfolgsbeweise werden wegerklärt, Fehler hingegen gelten als „Beweis“, dass du nie gut genug warst.
Typische Dynamik:
ständige Angst, „entlarvt“ zu werden
Überkompensation (Perfektionismus, lange Arbeitszeiten) oder Prokrastination aus Angst zu versagen
kurze Erleichterung nach Erfolg – sofort gefolgt von neuen Zweifeln
Gerade Menschen aus marginalisierten Gruppen oder in männerdominierten Feldern kennen dieses Muster gut: Der Kritiker spiegelt auch reale gesellschaftliche Hürden wider.
Soziale Angst und Essstörungen
Bei sozialer Angst projiziert der Kritiker seine Härte nach außen: „Alle finden dich langweilig. Alle sehen, wie nervös du bist.“ Du liest vermeintlich die Gedanken anderer – in Wahrheit hörst du nur deinen eigenen inneren Richter, der die Welt synchronisiert.
Bei Essstörungen fokussiert sich der Kritiker häufig auf den Körper. Er verkoppelt Selbstwert mit Gewicht, Essen, Kontrolle: „Nur wenn du schlanker wirst, bist du in Ordnung.“ Auch hier dient der Kontrollzwang oft dazu, tiefere Gefühle von Scham und Ohnmacht nicht spüren zu müssen.
Inneren Kritiker transformieren: Was moderne Therapien vorschlagen
Die gute Nachricht: Es gibt viele therapeutische Ansätze, die genau hier ansetzen – und erstaunlich gut ineinandergreifen. Sie unterscheiden sich in Sprache und Methode, aber ihr Ziel ist ähnlich: den Kritiker entmachten, verstehen und verwandeln.
Ein paar Beispiele:
Schematherapie spricht vom „strafenden Elternmodus“ und setzt auf klare Konfrontation: Diese Stimme wird im Stuhldialog „vor die Tür“ gesetzt, während der „gesunde Erwachsene“ das verletzte innere Kind schützt.
Internal Family Systems (IFS) sieht den Kritiker als überlasteten Beschützer, der eigentlich etwas Gutes will, aber zu hart geworden ist. Statt ihn zu bekämpfen, wird er neugierig gefragt: „Wovor willst du mich schützen?“
Compassion Focused Therapy (CFT) trainiert gezielt das Beruhigungssystem im Gehirn: über Atemübungen, Imaginationsreisen, innere mitfühlende Figuren. Der Kritiker wird nicht wegargumentiert, sondern biologisch entgiftet.
Acceptance and Commitment Therapy (ACT) arbeitet mit kognitiver Defusion: Gedanken werden als „Worte im Kopf“ erlebt, nicht als Wahrheiten. Du lernst, den Kritiker zu hören, ohne ihm automatisch zu glauben.
Voice Dialogue lädt dich ein, buchstäblich den Platz des Kritikers einzunehmen, ihn laut sprechen zu lassen – und dann als „Bewusstes Ich“ in einen Dialog zu gehen, statt dich von ihm beherrschen zu lassen.
Alle diese Ansätze zeigen: Der Paradigmenwechsel lautet nicht mehr „den Kritiker vernichten“, sondern die Beziehung zu ihm verändern.
Vom inneren Richter zum inneren Mentor: Konkrete Schritte für den Alltag
Wie kannst du all das nun praktisch nutzen, um deinen inneren Kritiker transformieren zu beginnen – ganz ohne Therapiehandbuch?
1. Erkennen: Den Kritiker auf frischer Tat ertappen
Der erste Schritt ist unspektakulär, aber radikal: Bewusstheit. Solange du den Kritiker für „deine eigene Stimme“ hältst, bleibt er unsichtbar mächtig.
Signale dafür, dass gerade dein Kritiker spricht
Viele „immer“ und „nie“ („Du versaust immer alles.“)
harte Etiketten („Ich bin faul/dumm/lächerlich.“)
Null Toleranz für Fehler
Gefühl von innerem Zusammensacken, Scham, Lähmung
Hilfreich ist ein kleines Kritik-Tagebuch: Notiere ein paar Tage lang typische Sätze, Situationen und Gefühle, wenn der Kritiker laut wird. Gib ihm einen Namen – „Der Richter“, „Fräulein Perfekt“, „Der Drill Sergeant“. Allein das schafft Abstand: „Ah, der Richter meldet sich wieder.“
2. Validieren: Was will er eigentlich Gutes?
Statt innerlich „Halt die Klappe!“ zu schreien (was ihn meist nur lauter macht), probiere etwas Paradoxes: hör ihm zu – aber aus einer neugierigen, erwachsenen Haltung.
Frage dich: Wovor will mich diese Stimme gerade schützen? Was befürchtet sie, wenn ich ihren Rat ignoriere?
Die Übersetzung könnte so klingen: Aus „Du bist unfähig, du wirst das Projekt komplett ruinieren!“ wird „Da ist ein Teil in mir, der große Angst hat, dass ich meinen Job verliere oder abgelehnt werde. Er versucht, mich zu warnen.“
In dem Moment verlässt du die Ebene „Ich bin schlecht“ und kommst zur Ebene „Ein ängstlicher Anteil versucht, mich zu schützen“. Das ändert alles.
3. Antworten: Den gesunden Erwachsenen aktivieren
Jetzt braucht es eine neue innere Figur: dein Gesunder Erwachsener – oder, wenn du magst, eine „Innere gute Mutter“ oder ein „Innerer guter Vater“.
Diese Stimme könnte sagen:
„Danke für deine Sorge, Kritiker. Aber die Härte hilft mir nicht. Ich bereite mich gut vor – und ich darf trotzdem Fehler machen.“
„Ja, das war ungeschickt. Und gleichzeitig bin ich ein Mensch, der lernen darf.“
„Selbst wenn andere mich kritisieren, bin ich als Person in Ordnung.“
Eine wunderbare Mini-Übung aus der Selbstmitgefühlsforschung ist die Selbstmitgefühls-Pause (nach Kristin Neff):
Die 3 Schritte der Selbstmitgefühls-Pause
Achtsamkeit: „Das ist gerade ein Moment des Leidens.
“Gemeinsames Menschsein: „Auch andere fühlen sich so – ich bin nicht allein damit.“
Freundlichkeit: „Möge ich in diesem Moment freundlich mit mir sein.“
Klingt simpel, ist aber neurobiologisch hochwirksam: Du schaltest das Bedrohungssystem herunter und gibst deinem Beruhigungssystem eine Chance.
4. Nutzen: Den Kritiker zum Coach umschulen
Der Kritiker ist oft analytisch brillant, nur emotional völlig überdreht. Wenn du ihn nicht mehr als Richter, sondern als Qualitätsmanager unter Aufsicht einsetzt, kann er hilfreich sein.
Praktischer Tipp:
Erlaube dir zunächst einen kreativen Modus, in dem der Kritiker Pause hat (z.B. beim Schreiben, Brainstormen).
Erst danach bittest du ihn bewusst um Input: „Gibt es etwas, das ich übersehen habe? Wo könnten reale Risiken liegen?“
Du filterst seine Antworten durch deinen gesunden Erwachsenen: Was ist nützlich, was ist Panik?
Fragen, mit denen du den Kritiker konstruktiv nutzen kannst
„Wenn du nicht übertreiben dürftest – was wäre deine konkrete Sorge?“
„Welche 1–2 Punkte lohnen sich, nochmal zu überarbeiten?“
„Was würdest du jemandem raten, den du wirklich magst?“
So bleibt die Entscheidungsmacht bei dir – nicht bei der lautesten Stimme.
Du bist mehr als dein innerer Kritiker
Der Innere Kritiker ist kein kleines Accessoire der Psyche, sondern ein bio-psycho-soziales Schwergewicht: verwurzelt in Kindheitserfahrungen, moralischer Entwicklung, gesellschaftlichen Normen und neuronalen Netzen. Aber er ist nicht du.
Die moderne Psychotherapie zeigt: Veränderung geschieht nicht durch Krieg im eigenen Kopf, sondern durch Beziehungsarbeit. Je mehr du die Schutzfunktion des Kritikers erkennst, desto weniger musst du seinen Methoden zustimmen. Je stärker dein mitfühlender, erwachsener Anteil wird, desto überflüssiger wird der innere Richter in seiner alten Rolle – und desto eher kann er sich zum inneren Mentor wandeln.
Wenn du das Gefühl hast, dein Kritiker ist extrem laut oder treibt dich in depressive, selbstzerstörerische Gedanken, such dir bitte professionelle Hilfe. Mit jemandem an deiner Seite, der diese Dynamik kennt, wird der Weg deutlich leichter.
Und gleichzeitig kannst du schon heute mit kleinen Schritten beginnen, deinen inneren Kritiker transformieren zu lernen: Beobachten, benennen, übersetzen, beantworten, umschulen. Das ist kein Sprint, sondern ein neuroplastischer Langstreckenlauf – aber einer, der sich lohnt, weil am Ziel etwas wartet, das viele von uns fast vergessen haben: ein Leben mit innerer Freundschaft.
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Quellen:
Sibylle Friedrich (2003): Den inneren Kritiker zum inneren Ratgeber entwickeln – https://alumni-psychologie.de/wp-content/uploads/2022/10/SibylleFriedrich2003-DenInnerenKritikerZumInnerenRatgeberEntwickeln.pdf
Beltz Verlag: Der innere Kritiker von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten – https://www.beltz.de/fileadmin/beltz/leseproben/978-3-621-28573-5.pdf
Selfapy Magazin: Vom inneren Kritiker zum liebevollen Begleiter – https://www.selfapy.com/magazin/wohlbefinden/vom-inneren-kritiker-zum-liebevollen-begleiter
Praxis Psychologie Berlin: Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge – https://www.praxis-psychologie-berlin.de/wikiblog/articles/selbstmitgef%C3%BChl-und-selbstf%C3%BCrsorge-den-inneren-kritiker-zum-schweigen-bringen-und-lernen-sich-selbst-zu-unterst%C3%BCtzen
Imbach Coaching Zürich: Der innere Kritiker in 3 Schritten bändigen – https://sybille-imbach.ch/innere-kritiker/
DocCheck: Instanzenmodell der Psyche – https://flexikon.doccheck.com/de/Instanzenmodell
Lacan entziffern: Ich – Ideal-Ich – Ichideal – https://lacan-entziffern.de/spiegelstadium/ich-idealich-ichideal/
Wirksam kommunizieren: Ich-Zustände nach Eric Berne – https://wirksam-kommunizieren.de/ich-zustaende-nach-eric-berne/
LMU München: Moralentwicklung – https://www.psy.lmu.de/epp/studium_lehre/lehrmaterialien/lehrmaterial_ss10/wintersemester1011/lehrmaterial_perst/proseminar/referate/s10.pdf
Praxis Psychologie Berlin: Toxische Scham und innerer Kritiker – https://www.praxis-psychologie-berlin.de/wikiblog/articles/toxische-scham-innerer-kritiker-psychotherapie-bei-kindheitstrauma
PMC: The Brain’s Default Network and its Adaptive Role in Internal Mentation – https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC3553600/
PMC: Resting-state functional connectivity of the default mode network associated with happiness – https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4769634/
Self-compassion.org: The origins and nature of compassion focused therapy – https://self-compassion.org/wp-content/uploads/publications/GilbertCFT.pdf
PubMed: Having a word with yourself – Neural correlates of self-criticism and self-reassurance – https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19770047/
Hogrefe: Schematherapie – Ein Behandlungsansatz bei depressiven Störungen – https://www.hogrefe.com/de/thema/schematherapie-ein-behandlungsansatz-bei-depressiven-stoerungen
Michaelsbund: Impostor-Syndrom – Wenn der innere Kritiker den Erfolg kleinredet – https://www.michaelsbund.de/innehalten/gutes-leben/persoenlichkeitsentwicklung/impostor-syndrom-wenn-der-innere-kritiker-den-erfolg-kleinredet/
Psychology Today: The Inner Critic – An Internal Family Systems Perspective – https://www.psychologytoday.com/us/blog/internal-family-systems-therapy-for-shame-and-guilt/202308/the-inner-critic-an-internal-family
Voice Dialogue Berlin: Die Methode Voice Dialogue – https://voice-dialogue-berlin.de/ueber-uns/die-methode/
Flatiron Mental Health Counseling: Compassion-Focused Therapy – Using Self-Compassion to Quiet Your Inner Critic – https://www.flatironmentalhealthcounseling.com/blog/compassion-focused-therapy-using-self-compassion-to-quiet-your-inner-critic
Cogbtherapy.com: Cognitive Defusion Techniques and Exercises – https://cogbtherapy.com/cbt-blog/cognitive-defusion-techniques-and-exercises
Das graue Haus am Meer: Innerer Kritiker – 3 Übungen, um ihn endgültig zu zähmen – https://www.dasgrauehausammeer.com/post/innerer-kritiker-uebungen
Christina Haas: Den inneren Kritiker verstehen und transformieren – https://christinahaas.at/den-inneren-kritiker-verstehen-und-transformieren-ein-leitfaden/








































































































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