Trauer als Preis der Liebe: Wie Verlust unser Leben und unseren Körper verändert
- Benjamin Metzig
- vor 12 Minuten
- 11 Min. Lesezeit

Trauer ist nicht krank. Sie ist der Preis, den wir für Bindung zahlen – Trauer als Preis der Liebe. Und genau deshalb betrifft sie uns alle, früher oder später. Kein Mensch kommt durchs Leben, ohne jemanden oder etwas Wichtiges zu verlieren: einen Partner, eine Freundin, die eigene Gesundheit, ein Zuhause, Zukunftspläne.
Trotzdem sind viele von uns komplett überfordert, wenn der Ernstfall eintritt. Wir kennen zwar Sprüche wie „Die Zeit heilt alle Wunden“, aber kaum jemand erklärt, was in Körper und Gehirn tatsächlich passiert – und warum es völlig normal ist, wenn man Monate später noch weint, vergisst, was man einkaufen wollte oder nachts wach im Bett liegt und innerlich mit dem Universum verhandelt.
In diesem Beitrag schauen wir deshalb tief hinein in das, was Fachleute Thanatologie nennen – die Wissenschaft vom Sterben, Tod und Trauern. Keine trockene Theorie, sondern ein Alltagskompass: Was ist „normale“ Trauer, wann wird sie zur Krankheit, wie trauern Kinder, und warum verändern sich gerade unsere Bestattungsformen so rasant?
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Trauer als Preis der Liebe: Was Verlust mit uns macht
Stell dir vor, du wärst ein Wesen, das keine Bindung kennt. Keine Nähe, keine Zuneigung, kein „Du bedeutest mir etwas“. Dann würdest du beim Tod eines anderen Wesens wahrscheinlich mit den Schultern zucken und weitermachen. Schmerzhaft? Nein. Einsam? Ja, aber das wäre dir nicht bewusst.
Der Mensch ist anders programmiert. Unsere Fähigkeit zur Liebe und Bindung ist ein evolutionärer Superpower – sie hat uns in Gruppen überleben lassen, Eltern motiviert, sich um ihre Kinder zu kümmern, Partner dazu bewegt, füreinander zu sorgen. Die Kehrseite: Wenn Bindung abreißt, entsteht Trauer.
Die moderne Forschung beschreibt Trauer deshalb nicht als Störung, sondern als anthropologische Konstante: Wer lieben kann, kann auch trauern. Wer intensiv liebt, trauert oft intensiv. Trauer ist kein Fehler im System, sondern Teil des Systems.
Gleichzeitig ist Trauer viel mehr als „nur“ traurig sein. Sie ist ein hochkomplexer Anpassungsprozess, bei dem Psyche, Körper, soziale Beziehungen und oft auch Spiritualität kräftig durcheinandergerüttelt werden. Unser inneres „Betriebssystem“ muss sich auf eine Welt einstellen, in der ein wichtiger Bezugspunkt fehlt.
Interessant ist: Trauer entsteht nicht nur beim biologischen Tod eines Menschen. Auch der Verlust eines Arbeitsplatzes, einer Heimat oder der eigenen Gesundheit kann ähnliche Mechanismen aktivieren. Das Gehirn unterscheidet weniger streng zwischen „ich verliere einen Menschen“ und „ich verliere einen wesentlichen Teil meines Lebens“.
Wie Trauermodelle unser inneres Chaos sortieren
Wenn Menschen trauern, fühlt sich das meistens chaotisch an: Wut, Schuld, Erleichterung, Verzweiflung, Taubheit – alles gleichzeitig und im Wechsel. Wissenschaftliche Modelle helfen dabei, dieses Chaos nicht zu normieren, sondern zu verstehen. Wichtig: Kein Modell ist ein starres Schema, das jeder „durchlaufen muss“. Sie sind Landkarten, keine Navigationsgeräte.
Die bekannten Phasenmodelle
Das berühmte 5-Phasen-Modell von Elisabeth Kübler-Ross kennst du vielleicht: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Ursprünglich entstand es in der Arbeit mit sterbenden Menschen und wurde später auf Trauernde übertragen.
Beim Leugnen („Das kann nicht sein“) schützt uns die Psyche vor Überforderung.
Zorn ist ein Zeichen von Lebendigkeit und richtet sich gern gegen Ärzte, Gott, das Schicksal oder sogar den Verstorbenen.
Im Verhandeln tauchen „Wenn ich doch nur…“-Gedanken auf – ein verzweifelter Versuch, Kontrolle zurückzugewinnen.
Die Depression ist hier eher eine tiefe, angemessene Traurigkeit, kein eigenständiges Krankheitsbild.
Akzeptanz bedeutet nicht „wieder glücklich“, sondern ein stilles Einverständnis damit, dass das Leben jetzt anders ist.
Die Schweizer Psychologin Verena Kast betont stärker die Beziehungsebene. In ihrem 4-Phasen-Modell ist besonders spannend die Phase „Suchen, Finden, Loslassen“: Die Trauernden suchen den Verstorbenen in Orten, Gerüchen, Träumen – und finden ihn, indem sie ihn innerlich „mitnehmen“. Erst wenn diese innere Beziehung stabil ist, kann äußerlich losgelassen werden.
Aufgaben statt Phasen: Aktiv werden in der Trauer
Der Psychologe William Worden dreht die Perspektive: Trauer passiert nicht nur mit uns, wir gestalten sie mit. Er formuliert vier Traueraufgaben:
Die Realität des Verlustes akzeptieren – nicht nur im Kopf, sondern auch emotional.
Den Schmerz der Trauer durchleben, statt ihn zu betäuben.
Sich an eine Welt ohne den Verstorbenen anpassen – im Alltag, im Selbstbild, im Glauben.
Eine dauerhafte Verbindung zum Verstorbenen finden und trotzdem wieder in ein neues Leben aufbrechen.
Dieses Aufgabenmodell kann sehr entlastend sein, weil es nicht fragt: „In welcher Phase bin ich?“, sondern: „Was ist gerade meine Aufgabe, was brauche ich?“
Pendeln zwischen Trauer und Alltag: Das Duale Prozessmodell
Das Duale Prozessmodell von Stroebe und Schut bringt eine wichtige Alltagserkenntnis auf den Punkt: Niemand kann 24/7 trauern.
Es beschreibt ein Pendeln zwischen:
Verlustorientierung: Erinnern, Weinen, Sehnsucht, innere Auseinandersetzung.
Wiederherstellungsorientierung: Rechnungen bezahlen, Kinder zur Schule bringen, lachen, neue Aufgaben übernehmen.
Gesundes Trauern bedeutet nicht, möglichst viel im Schmerz zu verweilen, sondern flexibel zwischen beiden Polen zu wechseln. Pausen von der Trauer – ein Abend mit Freunden, ein Kinobesuch, ein kurzes Aufatmen – sind keine Illoyalität, sondern überlebenswichtig.
Das Trauerkaleidoskop: Alles gleichzeitig da
Die Trauerforscherin Chris Paul verabschiedet sich komplett von linearen Stufen. Ihr Trauerkaleidoskop besteht aus sechs Facetten wie „Überleben“, „Gefühle“, „Verbunden bleiben“ oder „Einordnen“. Wie in einem Kaleidoskop sind alle Steinchen immer da, nur das Muster ändert sich.
Das Bild ist hilfreich, wenn du dich fragst: „Bin ich noch normal, obwohl ich heute fast fröhlich war?“ – Ja. Im Kaleidoskop rücken andere Steinchen nach vorn, aber die Trauer verschwindet nicht.
Meaning Making: Eine neue Lebensgeschichte schreiben
Der Psychologe Robert Neimeyer schließlich versteht Trauer als Prozess der Sinnrekonstruktion. Der Tod zerreißt oft unsere Lebensgeschichte: „Wir werden gemeinsam alt“ – zack, vorbei. Trauerarbeit heißt dann, dieses Narrativ neu zu schreiben: Wer bin ich jetzt? Welche Rolle hat der Verstorbene in meiner weiteren Geschichte?
Damit sind wir wieder bei unserem Keyword Trauer als Preis der Liebe: Die Liebe endet nicht. Sie verändert ihre Form – von „du bist da“ zu „du bist in mir und meiner Geschichte“.
Merksatz:Trauermodelle sind Werkzeuge zur Orientierung, keine To-Do-Listen. Wenn deine Trauer nicht „in die Schublade“ passt, ist nicht deine Trauer falsch – sondern die Schublade zu klein.
Wenn die Seele den Körper trifft: Die körperliche Seite der Trauer
Trauer ist kein reines Kopfkino. Sie ist ein Stresszustand, bei dem der Körper Alarm schlägt, als stünde ein Raubtier vor dir.
Stresshormone, Immunsystem und Broken-Heart-Syndrom
Der Verlust eines geliebten Menschen aktiviert die HPA-Achse – unser zentrales Stresssystem. Cortisol und Adrenalin steigen, Herzschlag und Blutdruck gehen hoch. Kurzfristig ist das sinnvoll, langfristig jedoch problematisch:
Das Immunsystem wird gedämpft – Trauernde sind anfälliger für Infekte und Entzündungen.
Blutdruck und Herzbelastung steigen. In extremen Fällen kann es zum „Broken-Heart-Syndrom“ kommen: Die Herzmuskelfunktion bricht vorübergehend ein, Symptome ähneln einem Herzinfarkt.
Kein romantischer Mythos also, sondern ein messbares medizinisches Phänomen.
Schlaflosigkeit und Trauermüdigkeit
Viele Trauernde berichten von:
Einschlafproblemen („Wenn ich zur Ruhe komme, kommen die Gedanken“),
häufigem nächtlichen Aufwachen,
kaum erholsamem Schlaf.
Die Folge ist eine spezielle Form der Erschöpfung, manchmal „Trauermüdigkeit“ genannt: Man ist nicht nur müde, sondern innerlich ausgelaugt, als hätte jemand den Akku ausgebaut.
„Trauerdemenz“ und körperliche Symptome
Vielleicht kennst du das: Du stehst im Supermarkt und hast keine Ahnung mehr, was du kaufen wolltest. Du liest denselben Absatz zum dritten Mal.Das Gehirn ist im Dauer-Background-Processing: Der Verlust will verarbeitet werden, und das kostet kognitive Kapazität.
Dazu kommen häufig diffuse körperliche Symptome:
Engegefühl in Brust oder Hals („Kloß im Hals“),
Übelkeit, Appetitlosigkeit oder im Gegenteil „Frustessen“,
Muskelverspannungen, Kopfschmerzen.
Nicht selten haben Trauernde das Gefühl, „krank“ zu sein – dabei reagiert ein gesunder Körper auf eine extreme seelische Belastung.
Gut zu wissen: Kurzfristige körperliche Symptome sind bei Trauer normal. Trotzdem gilt: Im Zweifel immer medizinisch abklären lassen – Trauer schützt nicht vor „echten“ Krankheiten.
Trauer im Lebenslauf: Kinder, Jugendliche, Erwachsene
Alle Menschen können trauern, aber nicht alle verstehen den Tod gleich. Unser Bild von Tod und Endlichkeit entwickelt sich mit dem Alter.
Kinder: Das „Pfützen-Springen“
Kinder trauern nicht weniger intensiv, sondern anders. Typisch ist das sogenannte „Pfützen-Springen“: Jetzt tief traurig, fünf Minuten später lachend auf dem Spielplatz.
Je nach Alter unterscheiden sich Verständnis und Reaktionen:
0–3 Jahre: Kein Konzept von „Tod“, aber starke Reaktion auf Trennung und die Gefühle der Erwachsenen.
3–6 Jahre: Tod wirkt reversibel wie Schlaf oder Reise. Magisches Denken ist stark: „Opa ist gestorben, weil ich böse war.“
6–9 Jahre: Die Endgültigkeit wird begreifbar. Kinder interessieren sich für Details (Beerdigung, Körper) und haben Ängste um die eigene Sicherheit.
9–12 Jahre: Tod wird als universelles, unvermeidbares Ende verstanden. Trauer ähnelt der von Erwachsenen, wird aber oft hinter „Coolness“ versteckt.
Wichtig ist, Kinder nicht zu belügen: Sätze wie „Er ist nur eingeschlafen“ können enorme Schlafängste auslösen. Besser: Einfach erklären, dass beim Tod der Körper aufhört zu funktionieren – Herz, Atmung, Gehirn.
Kinder sollten in Rituale einbezogen werden (Bild in den Sarg legen, Kerze anzünden), aber immer mit freiwilliger Wahl.
Jugendliche und Erwachsene
Jugendliche verstehen den Tod kognitiv wie Erwachsene, haben aber zusätzlich die Bausteller „Identität, Abgrenzung, Zukunft“. Sie ziehen sich oft zurück, flüchten in Online-Welten oder riskantes Verhalten.
Bei Erwachsenen hängt die Trauer stark von Lebenssituation und Beziehung ab: Der Tod eines Partners, eines Elternteils, eines Kindes – das sind qualitativ unterschiedliche Verluste. Die Trauer ist nicht messbar in „mehr“ oder „weniger“, aber sie trifft an verschiedenen Stellen unseres Lebensentwurfs.
Wenn Trauer zur Erkrankung wird – und wann nicht
Bis vor kurzem galt in der Psychiatrie: Trauer ist keine Krankheit. Punkt. Das sollte verhindern, dass normale Trauerprozesse medikalisiert werden. Gleichzeitig gibt es Menschen, die im Verlust steckenbleiben und kaum noch am Leben teilnehmen können.
Mit der ICD-11 wurde deshalb die Diagnose „Anhaltende Trauerstörung“ (Prolonged Grief Disorder) eingeführt.
Woran Fachleute eine anhaltende Trauerstörung erkennen
Große Vorsicht: Diese Diagnose ist kein Etikett für „du trauerst mir zu lange“. Entscheidend sind:
Zeitkriterium: Mindestens 6, oft eher 12 Monate nach dem Verlust sind zentrale Symptome unverändert stark.
Kernsymptome: Anhaltende, überwältigende Sehnsucht oder gedankliche Fixierung auf den Verstorbenen, die den Alltag dominiert.
Begleiterscheinungen: massiver emotionaler Schmerz, Identitätsverlust („Ohne sie weiß ich nicht, wer ich bin“), Gefühllosigkeit, Rückzug, starke Beeinträchtigung von Arbeit, Beziehungen und Selbstversorgung.
Der entscheidende Punkt ist immer: Funktionalität und Leidensdruck. Jemand kann auch nach drei Jahren beim Gedanken an den Partner weinen und trotzdem gut leben – das ist keine Störung, sondern Liebe mit Langzeitwirkung.
Abgrenzung zu Depression und PTBS
Bei einer Depression steht eine allgemeine Niedergeschlagenheit im Vordergrund, oft mit Selbstabwertung („Ich bin nichts wert“). Bei Trauer bleibt der Selbstwert meist intakt, der Fokus liegt auf dem Verlust.
Bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) dominieren Angst, Flashbacks, Albträume und Vermeidung. Bei traumatischen Todesumständen (Unfall, Gewalt, Suizid) können Trauerstörung und PTBS sich überlappen.
Risikofaktoren für komplizierte Trauer sind unter anderem: plötzliche oder gewaltsame Tode, Suizid, Verlust eines Kindes, vorherige psychische Erkrankungen und fehlende soziale Unterstützung.
Wenn du dich hier wiederfindest: Professionelle Hilfe zu suchen ist kein Versagen, sondern Selbstfürsorge.
Wege durch das Labyrinth der Trauer
Wie „bewältigt“ man Trauer? Spoiler: Es gibt keinen Knopf „Trauer aus“. Aber es gibt Wege, den Schmerz in das eigene Leben zu integrieren.
Rituale als Geländer für die Seele
Rituale strukturieren Chaos. Klassische Beispiele sind:
Aufbahrung und Abschiednahme,
Trauerfeier und Beisetzung,
Erde auf den Sarg oder die Urne werfen.
Sie machen den Tod öffentlich sichtbar und helfen, die Realität zu akzeptieren.
Mit dem Rückgang traditioneller Religiosität werden individuelle Rituale wichtiger:
Erinnerungskisten mit Fotos, Schmuck, Gegenständen des Verstorbenen.
Eine kleine Gedenkecke zu Hause mit Kerze und Bild.
Gemeinsame Rituale an Geburts- und Todestagen – Lieblingsessen kochen, Musik hören, Ballons steigen lassen.
Gerade für Kinder sind solche greifbaren Formen von Abschied und Verbundenheit zentral.
Schreiben, um Sinn zu finden
Studien zeigen, dass expressives Schreiben bei der Verarbeitung von Verlust helfen kann. Ein Trauertagebuch oder Briefe an die verstorbene Person können:
Gefühle sortieren,
„ungeklärte Gespräche“ nachholen,
neue Perspektiven auf die eigene Lebensgeschichte eröffnen.
Fragen wie „Was vermisse ich heute am meisten?“, „Was bleibt von dir in meinem Leben?“ oder „Welche Farbe hat meine Trauer?“ können als Schreibimpulse dienen.
Übungen aus dem Trauerkaleidoskop
Chris Paul arbeitet mit praktischen Übungen für die verschiedenen Facetten der Trauer:
Für „Überleben“ und „Gefühle“: Atem- oder Klopfübungen, ein „Notfallkoffer“ für sehr schwere Tage, in den kleine Hilfen kommen (Musik, Telefonnummern, Erinnerungsstücke).
Für „Verbunden bleiben“: Die Imagination eines „Zimmers für dich in meinem Lebenshaus“, in dem der Verstorbene innerlich einen sicheren Platz hat.
Für „Einordnen“: Übungen, bei denen Stück für Stück eine aushaltbare Geschichte über den Tod formuliert wird.
Mach den ersten Schritt: Nimm dir fünf Minuten und schreibe auf: „Seit du nicht mehr da bist, hat sich in meinem Leben verändert, dass…“ – ohne Zensur, ohne Anspruch auf „schön“. Es geht nicht um Literatur, sondern um Klarheit.
Wenn du dich mit anderen austauschen möchtest, findest du mehr Impulse und eine wachsende Community auf meinen Social-Media-Kanälen:
Dort sprechen wir regelmäßig über Themen wie Trauer als Preis der Liebe, Resilienz und neue Formen des Abschiednehmens.
Bestattung im Wandel: Vom Sarg zur Reerdigung
Trauer zeigt sich nicht nur im Inneren, sondern auch in unseren Ritualen rund um den Körper. In Deutschland hat sich hier in den letzten Jahrzehnten enorm viel getan.
Urne statt Sarg
Während früher die klassische Erdbestattung dominierte, machen heute Feuerbestattungen rund 80 % der Beisetzungen aus. Gründe sind:
geringere Kosten,
weniger Pflegeaufwand (kleinere oder pflegefreie Grabformen),
der Wunsch nach flexibleren, individuellen Abschiedsformen.
Damit verändern sich auch Friedhöfe: Urnenwände, Rasengräber, anonyme Felder und Naturbestattungen nehmen zu.
Friedhofszwang & Naturbestattungen
In Deutschland gilt weiterhin der sogenannte Friedhofszwang: Leichnam und Asche müssen auf einem Friedhof beigesetzt werden, die Urne im Wohnzimmer ist rechtlich nicht erlaubt.
Innerhalb dieses Rahmens entstehen neue Angebote:
Bestattungswälder, in denen die Asche an den Wurzeln eines Baumes ruht,
Seebestattungen in Nord- oder Ostsee,
thematisch gestaltete Grabfelder.
Einige Anbieter umgehen den Friedhofszwang, indem sie Teile des Prozesses ins Ausland verlagern – etwa wenn Asche im Ausland in einen Baumsetzling eingearbeitet wird, der später im eigenen Garten gepflanzt wird.
Reerdigung: Vom Körper zur fruchtbaren Erde
Ein besonders spannendes, noch junges Konzept ist die Reerdigung (Humus- oder Kompostbestattung). Der Prozess:
Der Körper wird in einen geschlossenen Edelstahlkokon auf ein Bett aus Stroh und Pflanzenmaterial gelegt.
Mikroorganismen beginnen, den Körper in einem gesteuerten Prozess bei etwa 70 °C zu zersetzen.
Nach rund 40 Tagen bleibt fruchtbare Erde zurück, die auf einem Friedhof beigesetzt wird.
Ökologisch hat das Vorteile: kein Erdgasverbrauch wie bei der Einäscherung, CO₂ wird im Boden gebunden, Lacke und Metalle entfallen weitgehend. Noch ist die Reerdigung in Deutschland nur in einzelnen Bundesländern im Rahmen von Pilotprojekten erlaubt, aber sie zeigt, wohin die Reise gehen könnte: zu einer Bestattungskultur, die Ökologie, Individualität und Trauerarbeit verbindet.
Unterstützung im Alltag: Niemand muss allein trauern
Theorie ist hilfreich, aber im Alltag braucht es Orte und Menschen, die Trauer konkret begleiten. Viele Regionen – etwa in Westfalen-Lippe – zeigen, wie vielfältig solche Angebote aussehen können.
Trauercafés: Offene Treffen, meistens am Wochenende, bei denen Betroffene bei Kaffee und Kuchen ins Gespräch kommen können.
Trauerwandern: Gemeinsame Spaziergänge oder Wanderungen – Bewegung und Natur erleichtern das Reden.
„Trauerbank“ im öffentlichen Raum: Zu festen Zeiten sitzen Trauerbegleiter*innen auf einer markierten Bank und sind einfach ansprechbar. Niedrigschwelliger geht es kaum.
Spezielle Gruppen: für verwaiste Eltern, Suizidhinterbliebene oder junge Erwachsene.
Trauerreisen: Mehrtägige Auszeiten an besonderen Orten, begleitet von Fachleuten.
Wenn du selbst betroffen bist, lohnt sich ein Blick auf die Webseiten von Hospizdiensten, Kirchen, kommunalen Beratungsstellen oder Selbsthilfe-Kontaktstellen in deiner Region.
Wie wir Trauernden begegnen können – Do’s & Don’ts
Die größte Angst vieler Trauernder ist nicht nur der Verlust selbst, sondern danach die soziale Leere: Menschen wechseln die Straßenseite, schreiben nicht mehr, melden sich nicht. Oft aus Hilflosigkeit – aber es fühlt sich an wie ein zweiter Verlust.
Was hilft
Einfach da sein. Du musst den Schmerz nicht wegmachen (das geht ohnehin nicht). Zuhören, mit aushalten, schweigen – das reicht oft.
Konkrete Angebote. Statt „Melde dich, wenn du was brauchst“ lieber: „Ich bringe dir morgen Suppe vorbei“, „Ich komme am Samstag mit dir auf den Friedhof“.
Den Namen sagen. Erzähl ruhig Erinnerungen und nenne den Verstorbenen beim Namen. Trauernde haben oft Angst, dass niemand mehr von ihm spricht.
Geduld. Trauer hat keine Deadline. Auch nach einem Jahr ist die Frage „Wie geht es dir heute mit deinem Verlust?“ kein Fauxpas, sondern ein Geschenk.
Was verletzt
Floskeln wie „Die Zeit heilt alle Wunden“, „Er hatte doch ein schönes Leben“ oder „Du bist ja noch jung“. Sie relativieren den Schmerz.
Zeitdruck: „Jetzt muss aber mal gut sein.“ Trauer folgt keinem Quartalsplan.
Unangebrachte Vergleiche („Ich weiß, wie du dich fühlst, mein Hund ist auch gestorben“) – lieber bei der Person bleiben, die gerade trauert.
Ausweichen oder Kontaktabbruch aus eigener Unsicherheit. Ehrlicher ist: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich denke an dich.“
Mini-Check: Wenn du unsicher bist, was du sagen sollst, probiere:„Ich sehe, wie schwer das für dich ist. Ich bin da, auch wenn ich nicht die richtigen Worte finde.“
Trauer lässt sich nicht wegoptimieren. Aber wir können lernen, sie als das zu betrachten, was sie im Kern ist: Trauer als Preis der Liebe. Ein schmerzhafter, manchmal überwältigender Preis – aber auch ein Zeichen dafür, dass da vorher etwas zutiefst Bedeutsames war.
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Quellen:
Trauer zulassen und lernen mit ihr zu leben - Helios Gesundheit - https://www.helios-gesundheit.de/magazin/news/03/umgang-mit-trauer-und-tod/
Trauer - Definition - Wissen - Formen - Modelle - betanet - https://www.betanet.de/trauer.html
Die Kraft der Trauer: Verlust verstehen und verarbeiten - AOK Sachsen-Anhalt - https://www.deine-gesundheitswelt.de/balance-ernaehrung/die-kraft-der-trauer
Dual process model of coping - Wikipedia - https://en.wikipedia.org/wiki/Dual_process_model_of_coping
Worden's Four Tasks of Mourning - OUR HOUSE Grief Support Center - https://www.ourhouse-grief.org/grief-pages/grieving-adults/four-tasks-of-mourning/
Trauer: Wie Sie damit umgehen und warum Trauern wichtig ist - DKV - https://www.dkv.com/gesundheit-themenwelt-psyche-trauer-wie-sie-damit-umgehen-und-warum-trauern-wichtig-ist.html
Trauerphasen verstehen: Die emotionale Reise vom Schock bis zur Akzeptanz - https://www.hilfe-im-todesfall.de/ratgeber/trauer/trauerphasen-verstehen/
Phasen der Trauer u. Trauerarbeit: Den Tod richtig verarbeiten - Benu Bestattung - https://www.benu.at/ratgeber/trauerratgeber/trauerarbeit/
Phasen der Trauer - Oberberg Kliniken - https://www.oberbergkliniken.de/artikel/phasen-der-trauer
TRAUERNDEN BEGEGNEN | alpha nrw - https://alpha-nrw.de/wp-content/uploads/2022/11/trauernden_begegnen_handout.pdf
Trauerkaleidoskop - Chris Paul - https://www.chrispaul.de/trauerkaleidoskop/
(PDF) Meaning making and the art of grief therapy - ResearchGate - https://www.researchgate.net/publication/263854699_Meaning_making_and_the_art_of_grief_therapy
Trauer > Körperliche Auswirkungen und Symptome - Betanet.de - https://www.betanet.de/trauer-auswirkungen.html
Trauerbewältigung: Mit Kindern über den Tod sprechen - BIÖG - https://www.organspende-info.de/blog/trauerbewaeltigung-kinder/
Urnenbestattung erreichen 80 Prozent - Bestatter Deutschland - https://www.bestatterdeutschland.de/aktuelles/artikel/urnenbestattung-erreichen-80-prozent-335
Reerdigung - die neue Bestattungsalternative - https://www.reerdigung.de/
Trauerbegleitung - hospiz-lippe.de - https://hospiz-lippe.de/hospiz-lippe-trauerbegleitung/
Trauer-Wegweiser für den Kreis Soest - https://www.kreis-soest.de/fileadmin/user_upload/01_kreis-soest.de/Soziales_und_Gesundheit/Gesundheit/PDF/Selbsthilfegruppen/Trauer-Wegweiser_HP_DIN_A4.pdf








































































































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