Blogverzeichnis Bloggerei.de
top of page

Das Fitness-Paradoxon: Warum wir dringend Fitness-Mythen widerlegen müssen

Das Bild ist in der Mitte geteilt: Links sieht man eine junge Frau im Sporttop, die auf ihr Smartphone blickt und dabei eine Flasche mit der Aufschrift „Detox“ in der Hand hält – sie steht vor einem warmen, orangefarbenen Hintergrund. Rechts läuft ein sportlicher Mann in einem Hightech-Labor auf einem Laufband, an seinem Oberkörper sind Messsensoren befestigt, im Hintergrund sind stilisierte DNA-Stränge und Herzfrequenzkurven zu sehen. Darüber liegt groß der Text: „Fitness: Fakten statt Mythen – Schluss mit Fitness-Bullshit – Was Wissenschaft WIRKLICH über Training, Ernährung & Detox sagt.“

Schluss mit Fitness-Bullshit: So kannst du Fitness-Mythen widerlegen und klüger trainieren


„Detox-Saft für die schlanke Taille!“, „No Pain, No Gain!“, „Mit diesen fünf Übungen schmilzt Bauchfett gezielt weg!“ – unsere Feeds sind voll mit Versprechen. Gleichzeitig waren Sportmedizin, Ernährungswissenschaft und Psychologie noch nie so gut erforscht wie heute. Wie kann es sein, dass wir mehr Daten haben als je zuvor, aber im Alltag immer noch nach Bauchgefühl und Werbeslogans trainieren?


Genau hier beginnt das Fitness-Paradoxon: Während Labore mit Hightech-Messungen Genexpression, Hormonantworten und Muskelfaser-Typen analysieren, orientiert sich ein Großteil der Bevölkerung an Mythen, Detox-Trends und „Geheimtipps“ von Influencer:innen. Fitness wird zur Bühne – aber nicht unbedingt gesünder.


In diesem Artikel schauen wir hinter die Kulissen und wollen systematisch Fitness-Mythen widerlegen. Wir zoomen vom Molekül bis zur WHO-Empfehlung, von Social Media bis Genetik – und fragen immer: Was sagt die beste verfügbare Evidenz dazu?


Wenn du Lust auf mehr solcher wissenschaftlich fundierten Deep Dives hast, abonniere gern meinen monatlichen Newsletter – so verpasst du keinen neuen Artikel rund um Training, Gesundheit und Wissenschaft.


Wie dein Körper wirklich auf Training reagiert


Stell dir deinen Körper wie ein extrem bequemes, aber hochintelligentes System vor. Sein oberstes Ziel ist nicht ein Sixpack, sondern Überleben mit möglichst geringem Energieaufwand. Training ist aus Sicht dieses Systems eine Störung der Homöostase – eine stressige Situation, auf die der Körper reagieren muss.


Der Schlüssel, um diese Reaktion zu verstehen, ist das SAID-Prinzip – Specific Adaptation to Imposed Demands. Übersetzt: Dein Körper passt sich genau an das an, was du ihm abverlangst – nicht an das, was du dir wünschst. Wer nur joggt, wird besser im Joggen, nicht automatisch stärker im Kniebeugen. Wer nur schwer hebt, wird nicht automatisch ausdauernd.


Das bedeutet:


  • Sprungkraft braucht explosive, schnelle Belastungen – nicht lange Cardio-Sessions.

  • Marathonleistung braucht lange, eher moderate Belastungen – nicht nur schweres Bankdrücken.

  • Stabilere Knochen brauchen Kräfte auf das Skelett – also z.B. Sprünge, Lasten, nicht nur Radfahren im Sitzen.


Gleichzeitig ist jede Anpassung reversibel. Muskeln sind energetisch „teuer“, genauso wie dichte Knochen. Wenn du sie nicht mehr nutzt, baut der Körper sie wieder ab. Dieses „Use it or lose it“ erklärt, warum drei Monate Trainingspause sich anfühlen können wie eine Zeitreise zurück an den Anfang.


Ein weiteres Grundgesetz ist die progressive Überlastung. Stell dir vor, du würdest jeden Tag den gleichen Weg mit dem gleichen Rucksack zur Arbeit laufen. Am Anfang ist das vielleicht anstrengend, nach ein paar Wochen ist es Routine. Genau so ist es mit deinem Training: Wenn der Reiz gleich bleibt, fehlt dem Körper der Grund, sich weiter anzupassen.


Progressive Überlastung erreichst du zum Beispiel, indem du:


  • Intensität erhöhst (mehr Gewicht, schneller laufen, steilerer Berg),

  • Volumen steigerst (mehr Sätze, mehr Wiederholungen, längere Strecke),

  • Dichte veränderst (kürzere Pausen bei gleicher Arbeit),

  • oder die Frequenz anpasst (eine Einheit mehr pro Woche).


Ganz wichtig: „Mehr“ heißt nicht „blind mehr draufpacken“. Es geht um klug dosierte Störungen der Homöostase. Erfolgreiches Training ist kein heroischer Dauerkrieg gegen den eigenen Körper, sondern eher ein gut geplantes Verhandeln: Du setzt einen Reiz, dein Körper antwortet mit Anpassung – wenn du ihm danach Zeit zur Regeneration gibst.


Muskelaufbau ohne Mythos: Was Hypertrophie wirklich antreibt


Muskelkater, Pump, Brennen – im Fitnessstudio klingt Muskelaufbau oft wie eine Mischung aus Sadomaso und Esoterik. Aber physiologisch ist Hypertrophie ein ziemlich nüchterner Prozess: Muskelfasern vergrößern ihren Querschnitt, indem sie mehr kontraktile Proteine (Aktin, Myosin) einbauen.


Die Forschung beschreibt drei Hauptmechanismen, die diesen Aufbau anstoßen:


  1. Mechanische SpannungWenn eine Muskelfaser gegen hohen Widerstand arbeitet – idealerweise über einen möglichst großen Bewegungsradius – registrieren Mechanosensoren in der Zelle diese Spannung. Das löst Signalwege aus (z.B. mTOR), die die Proteinsynthese hochfahren. Kurz: Ohne ausreichend schwere oder anspruchsvolle Belastung kein ernstzunehmender Muskelaufbau.

  2. Metabolischer StressDas bekannte „Brennen“ im Muskel entsteht, wenn sich Stoffwechselprodukte wie Laktat und Wasserstoffionen ansammeln. Dieser metabolische Stress kann zusätzlich anabole Signale setzen, u.a. über zelluläre „Aufblähung“ und lokale Wachstumsfaktoren. Deshalb können auch moderat schwere Gewichte mit höherer Wiederholungszahl hypertrophiefördernd sein – solange sie nahe ans Muskelversagen gebracht werden.

  3. MikrotraumataBesonders die exzentrische Phase (das kontrollierte Absenken des Gewichts) kann feine Risse in Strukturen der Muskelfaser verursachen. Diese Mikroverletzungen aktivieren Satellitenzellen – eine Art muskuläre Stammzellen –, die mit der Faser verschmelzen und ihr zusätzliche Zellkerne spenden. Mehr Zellkerne = mehr Kapazität für Proteinsynthese = mehr Potenzial für Wachstum.


Und der Muskelkater? Der ist eher ein Nebenprodukt ungewohnter oder exzentrisch betonter Belastung, nicht die Währung für Fortschritt. Fortgeschrittene Athlet:innen können großartige Zuwächse erzielen, ohne nach jedem Training die Treppe rückwärts runterzugehen. Das Mantra „No Pain, No Gain“ taugt eher als T-Shirt-Spruch als als Trainingsprinzip.


Der „Toning“-Mythos in zwei Sätzen zerschossen


„Ich will nur ein bisschen straffen, aber nicht zu viel Muskeln aufbauen.“


Biologisch gibt es kein eigenes Programm für „Straffen“. Muskeln können nur größer oder kleiner werden, und ihr Ansatz am Knochen ist genetisch festgelegt – sie werden nicht „lang und schlank“. Das Erscheinungsbild von „Toning“ entsteht immer aus einer Kombination von etwas Muskelaufbau plus weniger Körperfett.


Marketingversprechen mit Minigewichten und endlosen Wiederholungen verfehlen häufig genau diesen Reiz. Wer sichtbare, „definierte“ Arme oder Beine möchte, kommt an normalem Krafttraining mit progressiver Überlastung und einer passenden Ernährung nicht vorbei – egal welches Geschlecht.


Ernährung zwischen Hype und Evidenz


Kein anderer Bereich ist so anfällig für Halbwissen wie Ernährung im Fitnesskontext. Dabei sind die Grundprinzipien erstaunlich simpel – und radikal langweilig im Vergleich zur Instagram-Werbung.


Das „anabole Fenster“ – Scheunentor statt Schießscharten


Lange hieß es: Wer nicht innerhalb von 30 Minuten nach dem Training einen Proteinshake trinkt, verschenkt Gains. Diese Vorstellung hat viele in eine Art Minuten-Panik getrieben – inklusive Shaker im Auto, in der Bahn und notfalls in der Umkleidekabine.


Die Datenlage sieht heute deutlich entspannter aus:


  • Nach einem Krafttraining ist die Muskulatur 24–48 Stunden lang sensibler für Aminosäuren.

  • Wer 1–2 Stunden vor dem Training bereits eine proteinreiche Mahlzeit hatte, hat sowieso noch Aminosäuren im Blut – das „Fenster“ ist also längst geöffnet.

  • Entscheidender als die exakte Minute ist die Gesamtproteinmenge über den Tag (ca. 1,6–2,2 g/kg Körpergewicht, bei regelmäßigem Krafttraining).


Nur wenn du wirklich nüchtern trainierst – etwa früh morgens ohne Frühstück –, wird eine schnelle Zufuhr nach dem Training wichtig, um den Katabolismus zu stoppen. Für alle anderen gilt: Protein rund ums Training ist sinnvoll, aber du musst nicht mit Stoppuhr leben.


Nahrungsergänzungsmittel: Wer wirklich hält, was er verspricht


Der Supplement-Markt ist ein Biotop aus Marketing, Hoffnung und Fehlkäufen. Das ABCD-System des Australian Institute of Sport ordnet einzelne Produkte nach Evidenzlage ein – und entzaubert viele Klassiker.


Beispiele aus Gruppe A (gut belegt):


  • Kreatin: Steigert kurzfristig verfügbare Energie (ATP) bei intensiven Belastungen und unterstützt Kraft- und Muskelaufbau.

  • Koffein: Senkt die wahrgenommene Anstrengung, verbessert Ausdauer und Wachheit.

  • Beta-Alanin, Bikarbonat, Nitrate (z.B. Rote-Beete-Saft): Spezifische Leistungssteigerung bei bestimmten Belastungsprofilen.

  • Sportnahrung wie Whey, Gels, isotonische Drinks: Praktische Helfer, wenn normale Lebensmittel schwer verfügbar oder schlecht verträglich sind.


Beispiele aus Gruppe C (kaum oder keine Evidenz):


  • BCAAs bei ohnehin ausreichender Proteinzufuhr

  • diverse „Testo-Booster“ wie Tribulus Terrestris

  • generische „Magnesium fürs Training“ ohne diagnostizierten Mangel


Kurz gesagt: Vieles, was teuer und laut beworben wird, bringt wenig bis nichts. Während die unspektakulären Produkte wie Kreatin, Proteinpulver oder Koffein solide Daten im Rücken haben.


Warum „Detox“ physiologisch Unsinn ist


„Entgiften in nur 7 Tagen“ klingt dramatisch – ist aber eher Marketing-Poesie als Biochemie. Dein Körper hat bereits ein extrem leistungsfähiges, 24/7 laufendes Detox-System:


  • Leber: Wandelt fettlösliche Substanzen in wasserlösliche Formen um, damit sie ausgeschieden werden können.

  • Nieren: Filtern das Blut, regulieren Flüssigkeit und Elektrolyte, scheiden Abbauprodukte aus.

  • Darm, Haut, Lunge: Sind zusätzliche Wege für Abfallstoffe, Wasser und CO₂.


Es gibt keine seriösen Studien, die zeigen, dass Detox-Tees, -Säfte oder Fußpflaster diese Funktionen verbessern oder „Schlacken“ entfernen, die der Körper nicht selbst loswürde. Die schnelle Gewichtsabnahme bei Saftkuren ist vor allem Wasser- und Glykogenverlust – kein magischer Fettabtransport.


Echte „Leberpflege“ sieht ernüchternd aus: wenig Alkohol, moderates Gewicht (vor allem wenig viszerales Fett), ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung.


Regeneration: Fortschritt passiert, wenn du nicht trainierst


Training setzt nur den Reiz – die Anpassung findet dazwischen statt. Wer ständig „all out“ trainiert und Regeneration als Schwäche betrachtet, sabotiert seine eigenen Fortschritte.


Schlaf: Das unterschätzte legale Doping


Für Sportler:innen sind 8–10 Stunden Schlaf pro Nacht eher Basis als Luxus. Im Tiefschlaf schüttet die Hypophyse Wachstumshormon aus, das für Gewebereparatur und Muskelaufbau entscheidend ist. Parallel arbeitet das Immunsystem auf Hochtouren.


Im REM-Schlaf wiederum konsolidiert das Gehirn motorische Lerninhalte: neue Bewegungsabläufe, Technik, Koordination. Gleichzeitig werden Emotionen sortiert und Stress verarbeitet. Zu wenig Schlaf bedeutet daher: mehr Cortisol, schlechtere Insulinsensitivität, höheres Verletzungsrisiko und schlechtere Regeneration.


Aktive Erholung: Laktat ist kein Feind


Nach einem harten Intervalltraining fühlt sich der Körper oft „voll mit Laktat“ an. Viele stellen sich dann die Frage: Hinlegen oder auslaufen? Studien zeigen klar: Leichte Bewegung beschleunigt den Laktatabbau gegenüber völliger Ruhe.


Leichtes Auslaufen, lockeres Radfahren oder Gehen bei moderater Intensität hält die Durchblutung hoch. Das Herz und langsam zuckende Muskelfasern nutzen Laktat dabei sogar als Treibstoff. Trotzdem ist die Bedeutung begrenzt: Für die Leistungsfähigkeit am nächsten Tag sind genug Schlaf, Energie- und Proteinversorgung meist wichtiger als der exakte Laktatwert nach 20 Minuten.


Faszienrolle oder Massagepistole – was bringt mehr?


Beide Tools zielen auf myofasziales Gewebe und Nervensystem, nicht darauf, Faszien physisch zu „zerstören“ oder „zu entkleben“ – dafür wären ganz andere Kräfte nötig.


  • Faszienrolle: Gut für großflächige Areale (Oberschenkel, Rücken). Der Druck plus Bewegung verbessert Durchblutung und modifiziert Schmerzempfinden.

  • Massagepistole: Arbeitet punktueller und kann tiefer liegende Verhärtungen adressieren. Die schnellen Stöße überlagern Schmerzsignale und senken kurzfristig den Muskeltonus.


Studien finden vor allem: kurzfristig bessere Beweglichkeit und weniger subjektiven Muskelkater. Langfristige Leistungssteigerungen sind eher nicht zu erwarten – aber wenn du dich danach besser fühlst und öfter sinnvoll trainierst, ist das ein indirekter Gewinn.


HRV – der Herzschlag als Stressbarometer


Herzratenvariabilität (HRV) misst die Schwankung der Abstände zwischen zwei Herzschlägen.


Hohe HRV = starker Parasympathikus, gute Erholung, flexible Anpassungsfähigkeit.

Niedrige HRV = dominanter Sympathikus, Stressmodus, höhere Ermüdung.


Viele Wearables liefern heute HRV-Daten. Sie ersetzen keinen Arzt, helfen aber, Training und Regeneration besser zu steuern – vor allem, wenn du Trends über Wochen beobachtest statt einzelne Ausreißer.


Kopf, Stress und Social Media: Die unsichtbare Seite der Fitness


Fitness ist keine reine Muskelangelegenheit. Unser Nervensystem entscheidet mit, wie gut wir trainieren, regenerieren und uns in unserem Körper fühlen.


Atmung als Fernbedienung fürs Nervensystem


Eine der direktesten Möglichkeiten, den Parasympathikus zu aktivieren, ist gezielte Atmung. Besonders gut untersucht: Resonance Breathing, also etwa 6 Atemzüge pro Minute (z.B. 5 Sekunden ein, 5 Sekunden aus). Diese Form des Atmens erhöht die HRV, senkt Stress und eignet sich ideal nach intensiven Einheiten oder vor dem Schlafengehen.


Beliebt, aber weniger geeignet für akute Entspannung, ist Box Breathing (Einatmen, Halten, Ausatmen, Halten in gleichen Intervallen). Studien zeigen, dass die Haltephasen den Körper eher zusätzlich stressen können – nach einem HIIT nicht unbedingt das, was wir wollen. Für mentale Fokussierung kann es trotzdem ein Tool sein; zur Regeneration ist die fließende 6-bpm-Atmung meist überlegen.


Progressive Muskelentspannung


Die Progressive Muskelentspannung (PMR) arbeitet mit einem einfachen Prinzip: Anspannen, Loslassen, Spüren. Indem du Muskelgruppen nacheinander kräftig spannst und dann abrupt entspannst, lernst du, Unterschiede in der Spannung wahrzunehmen und Tonus bewusst zu senken.


PMR senkt nachweislich Stress und Angst, verbessert Schlaf und hilft bei Spannungskopfschmerzen. Im Fitnesskontext ist es eine hervorragende Technik, um am Abend „aus dem Kopf in den Körper“ zu kommen und Erholung bewusst einzuleiten.


Social Media und Körperbild


Und dann ist da noch die Bühne, auf der Fitness heute stattfindet: Instagram, TikTok & Co.


Studien zeigen, dass „Fitspiration“-Content – also dauertrainierte, glatte, perfekt ausgeleuchtete Körper – zwar motivieren soll, in der Realität aber häufig zu mehr Körperunzufriedenheit, Vergleichsstress und riskantem Verhalten (Crash-Diäten, exzessives Training, fragwürdige Supplemente) führt.


Besonders Jugendliche und junge Erwachsene sind anfällig für diese Effekte.

Wichtig ist deshalb Medienkompetenz:


  • Was du siehst, ist selten „nur der Körper“, sondern oft Ergebnis aus Genetik, selektierten Bildern, Filtern und Nachbearbeitung.

  • Likes sind keine medizinische Leitlinie.

  • Dein Wert als Mensch hängt nicht am Bauchumfang, und Gesundheit ist deutlich mehr als eine Zahl auf der Waage.


Wenn du dich austauschen möchtest, ohne in Vergleichsfallen zu tappen: Auf meinen Kanälen versuche ich, Fitness evidenzbasiert und realistisch darzustellen. Schau gerne vorbei auf



Gene, Gerechtigkeit und individuelle Trainingspläne


„Wenn ich mich nur genug anstrenge, kann ich aussehen wie …“ – diese Botschaft verkauft sich gut, ist aber nur die halbe Wahrheit. Ja, Training, Ernährung und Lifestyle machen enorm viel aus. Aber Genetik setzt Rahmenbedingungen, die wir akzeptieren sollten, statt sie zu ignorieren.


Ein prominentes Beispiel ist das ACTN3-Gen. Es kodiert für ein Protein, das fast ausschließlich in schnellen Muskelfasern vorkommt. Menschen mit einem bestimmten Genotyp (RR) haben tendenziell mehr Potenzial für Schnellkraft und sind unter Elite-Sprinter:innen überrepräsentiert. Andere Genvarianten fehlen im Sprint nahezu komplett, treten dafür häufiger bei Ausdauerspezialist:innen auf.


Darüber hinaus zeigen große Studien, dass es High-Responder und Low-Responder auf ein und dasselbe Trainingsprogramm gibt. Manche Menschen bauen in 12 Wochen deutlich mehr Muskelmasse auf als andere, obwohl alle exakt gleich trainieren. Schätzungen zufolge könnte Genetik bis zu 70 % der Muskelmassen-Varianz erklären.


Das ist kein Freifahrtschein für Resignation, sondern ein Plädoyer für Individualisierung:


  • Wenn du trotz konsequentem Training kaum Fortschritt siehst, bist du nicht automatisch „faul“ – dein Plan passt vielleicht nicht zu deinem Profil.

  • Low-Responder profitieren oft von anderen Volumina, anderen Intensitäten oder längeren Regenerationszeiten.

  • Ziele sollten realistisch und selbstbezogen sein: Was ist für mich drin? statt Wie werde ich zur Kopie meines Idols?


Fitness als öffentliche Gesundheitsfrage


Fitness ist nicht nur Sixpack oder Marathonmedaille, sondern eine zentrale Stellschraube für die öffentliche Gesundheit. Weltweit bewegen sich Menschen deutlich weniger, als die Wissenschaft empfiehlt.


Die WHO-Leitlinien von 2020 bringen es auf den Punkt:


  • Erwachsene sollten pro Woche 150–300 Minuten moderate oder 75–150 Minuten intensive Ausdaueraktivität ansammeln.

  • Zusätzlich werden mindestens zwei Einheiten Krafttraining für alle großen Muskelgruppen empfohlen.

  • Neu ist die Botschaft: Jede Bewegung zählt. Die alte 10-Minuten-Mindestdauer wurde abgeschafft – auch zwei Minuten Treppe statt Aufzug sind ein Plus.

  • Sitzzeit wird als eigener Risikofaktor gesehen. Wer zwar joggen geht, aber sonst den ganzen Tag sitzt, bleibt gesundheitlich gefährdet.


Gerade Krafttraining wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft unterschätzt. Dabei ist es zentral, um Muskelschwund (Sarkopenie) im Alter vorzubeugen, Stürze zu verhindern und Stoffwechsel-Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes zu reduzieren.


In Deutschland versucht das „Rezept für Bewegung“, mehr Brücken zwischen Medizin und Sportpraxis zu bauen: Ärzt:innen können Bewegung schriftlich „verordnen“ und auf qualitätsgesicherte Angebote in Sportvereinen verweisen.


Es ist zwar kein Kassenrezept im engeren Sinne, aber ein starkes Signal: Körperliche Aktivität ist nicht nur Lifestyle, sondern eine hocheffektive Präventions- und Therapieform mit minimalen Nebenwirkungen.


Schluss mit Fitness-Bullshit


Wenn wir die Daten ernst nehmen, sieht die „Wahrheit über Fitness“ weniger spektakulär, aber viel befreiender aus als die Versprechen der Werbung:


  • Es gibt keine magischen Detox-Tees, die deine Leber übertreffen.

  • Es gibt keine „Toning“-Übungen, die Muskeln lang und schlank zaubern.

  • Es gibt kein geheimes anaboles 30-Minuten-Fenster, das über Erfolg oder Misserfolg entscheidet.


Stattdessen haben wir ein robustes, aber bequemes System namens Körper, das auf klare Prinzipien hört: spezifische Reize (SAID), progressive Überlastung, ausreichende Regeneration, solide Ernährung, kluges Stressmanagement – eingebettet in individuelle genetische Voraussetzungen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen.


Echte Fitness bedeutet deshalb:


  • Weniger Hype, mehr Hausaufgaben.

  • Weniger Vergleiche, mehr Selbstbeobachtung.

  • Weniger Wundermittel, mehr Schlaf, Krafttraining und Alltagsbewegung.


Wenn dir dieser Artikel geholfen hat, ein paar Fitness-Mythen widerlegen zu können, lass gern ein Like da und schreib deine Gedanken in die Kommentare: Welche Mythen sind dir selbst schon begegnet – und welche Fragen sind noch offen?


Und wenn du regelmäßig evidenzbasierte Inhalte zu Training, Ernährung und Gesundheit lesen willst, folge der Wissenschaftswelle-Community auf Instagram und Facebook oder abonniere den Newsletter – so können wir gemeinsam Schritt für Schritt mehr Wissenschaft in den Alltag bringen.



Quellen:


  1. Fitnessmythen im Faktencheck – AOK Sachsen-Anhalt - https://www.deine-gesundheitswelt.de/sport-bewegung/fitnessmythen

  2. Detox: Der Mythos vom Entgiften – Medizin Transparent - https://medizin-transparent.at/detox-der-mythos-vom-entgiften/

  3. WHO Guidelines on Physical Activity and Sedentary Behaviour - https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33239350/

  4. Germany Physical Activity Factsheet 2021 – WHO - https://cdn.who.int/media/docs/librariesprovider2/country-sites/physical-activity-factsheet---germany-2021.pdf?sfvrsn=1faf11c9_1&download=true

  5. SAID-Prinzip und Trainingsanpassung – DBA Online - https://dba-online.de/hatfield-training-system-und-das-said-prinzip/

  6. The SAID Principle – Brazen Fitness - https://www.brazenfitness.com/blog/the-said-principle-will-transform-your-fitness

  7. Hypertrophietraining – Grundlagen & Physiologie (Video) - https://www.youtube.com/watch?v=Ga_7Kj5h3Tk

  8. Muskelkater & Trainingsqualität – Warum DOMS nicht Wachstum bedeutet - https://editverse.com/de/Muskelkater-Trainingsqualit%C3%A4t-Warum-Doms-nicht-Wachstum-bedeuten/

  9. Muskeltonus: Physiologie und Funktion – Medi-Karriere - https://www.medi-karriere.de/wiki/muskeltonus/

  10. Anaboles Fenster – Analyse aktueller Evidenz - https://www.fitnessmanagement.de/das-anabole-fenster/

  11. AIS Sports Supplement Framework (ABCD-System) - https://www.scribd.com/document/700187549/AIS-Supplement-Framework-ABCD-System-v4

  12. Detox – was steckt dahinter? – BARMER - https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/leben/ernaehrung/detox-1054636

  13. Wissenschaft hinter Erholung während des Schlafes – Tuur - https://www.tuursleep.com/de/blog/die-wissenschaft-hinter-erholung-waehrend-des-schlafes

  14. Herzratenvariabilität im Sport – Deutsche Sporthochschule Köln - https://www.dshs-koeln.de/universitaere-weiterbildung/aktuelles-wissenswertes/blog-news/blog/herzratenvariabilitaet-was-ist-das-und-warum-ist-sie-wichtig-im-sport-und-gesundheitsmanagement/

  15. Box Breathing vs. Six Breaths per Minute nach HIIT – PLOS One - https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0336615

  16. Progressive Muskelentspannung – TK Download-Angebot - https://www.tk.de/techniker/gesundheit-foerdern/stress-entspannung/aktiv-entspannen/progressive-muskelentspannung-zum-download-2021142

  17. Social Media, Body Image and Resistance Training – NIH - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC8579410/

  18. ACTN3 Genotype and Muscle Strength Response – PubMed - https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15718405/

  19. ACTN3 Genotype and Elite Performance – NIH - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC1180686/

  20. Rezept für Bewegung – DOSB - https://www.dosb.de/themen/mensch-und-sportverein/breitensport-und-gesundheit/rezept-fuer-bewegung

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page