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Gladiatoren – antike Superstars oder menschliche Wegwerfware?

Ein muskulöser Gladiator in antiker Rüstung, mit Helm und Schwert, steht vor der schemenhaften Kulisse eines römischen Amphitheaters. Der Farbton ist sepia-artig und verleiht dem Bild einen historischen, dramatischen Charakter. Der Text "GLADIATOREN: STARS, SKLAVEN, SPIELBÄLLE – WAS WIRKLICH HINTER DEM MYTHOS STECKT" ist prominent über dem unteren Teil des Gladiators platziert.

Schnall dich an, denn heute tauchen wir tief ein in eine Welt, die uns bis heute gleichermaßen fasziniert und abstößt: die Welt der Gladiatoren. Vergiss für einen Moment die Hollywood-Klischees, denn die Realität dieser Kämpfer war so viel komplexer, so viel widersprüchlicher und, ehrlich gesagt, so viel spannender, als du es dir vielleicht vorstellst. Waren sie gefeierte Superstars, vergöttert von den Massen? Oder doch nur rechtlose Sklaven, menschliche Wegwerfware für blutige Spektakel? Die verblüffende Antwort ist: Sie waren beides! Und genau dieser schillernde Widerspruch macht sie zu einem Brennglas, durch das wir die tiefsten Abgründe und die strahlendsten Ideale der römischen Gesellschaft betrachten können. Komm mit auf eine Entdeckungsreise, die dich staunen lassen wird!


Die Figur des Gladiators im antiken Rom ist ein Phänomen, das von einem fundamentalen Paradoxon geprägt ist. Die Frage, ob diese Kämpfer gefeierte Superstars oder menschliche Wegwerfware waren, stellt eine falsche Dichotomie dar. Die historische Realität ist, dass sie beides zugleich waren, und genau diese Ambivalenz macht sie zu einem so faszinierenden Spiegel der römischen Gesellschaft. Das Verständnis dieser Figur erfordert die Synthese einer außergewöhnlich breiten, aber oft widersprüchlichen Quellenbasis. Juristische Texte definieren den rechtlichen Rahmen und die soziale Ächtung der Gladiatoren. Literarische Zeugnisse schwanken zwischen der philosophischen Abscheu eines Seneca, der die Spiele als reine Metzelei verurteilte, und der Bewunderung für die kämpferische Leistung, wie sie bei Martial zum Ausdruck kommt. Epigraphische Quellen, allen voran Graffiti an den Wänden Pompejis und Grabinschriften, bieten einen ungefilterten Einblick in die Verehrung durch das einfache Volk. Schließlich liefern archäologische Funde, insbesondere die Analyse von Gladiatorenfriedhöfen, materielle Beweise für Ernährung, Verletzungen und die brutale Realität des Kampfes, die oft im Gegensatz zu den literarischen Darstellungen stehen. Die zentrale These dieses Berichts lautet, dass der paradoxe Status des Gladiators der Schlüssel zum Verständnis zentraler römischer Wertekonflikte ist. In der blutigen Arena wurde ein fundamentaler gesellschaftlicher Widerspruch verhandelt: das Spannungsfeld zwischen dem auf Herkunft und rechtlichem Status basierenden Ansehen, der dignitas, und der im Kampf performativ zur Schau gestellten Männlichkeit, der virtus. Der Gladiator, obwohl rechtlich und sozial auf der untersten Stufe der Gesellschaft angesiedelt, verkörperte die virtus in ihrer reinsten, existenziellsten Form. Gerade weil er alles andere als ein ehrbarer Bürger war, wurde er zum Objekt einer extremen und ambivalenten Faszination, die von Verachtung bis zur gottgleichen Verehrung reichte.


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Die Bürde der Infamia


Das Fundament des Gladiatorendaseins war die rechtliche und soziale Ausgrenzung, die im römischen Rechtskonzept der infamia verankert war. Die infamia bezeichnete den formellen Verlust der bürgerlichen Ehre (aestimatio) und des guten Rufs. Sie war keine Strafe im juristischen Sinne, sondern eine rechtliche Folge, die aus der Ausübung bestimmter als unehrenhaft geltender Berufe oder aus spezifischen Verfehlungen resultierte. Römische Rechtsquellen führen Gladiatoren und ihre Ausbilder (lanistae) explizit in Listen von infames auf, in einer Reihe mit Prostituierten, Schauspielern, Kupplern und anderen sozial geächteten Gruppen.


Die praktischen Konsequenzen der infamia waren gravierend und stempelten den Betroffenen zu einem Bürger zweiter Klasse. Ein infamis konnte weder vor Gericht als Zeuge aussagen noch im eigenen Namen oder für andere Klage erheben. Er war von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen und verlor das aktive und passive Wahlrecht. Entscheidend war zudem, dass infames – ähnlich wie Sklaven – der körperlichen Züchtigung unterworfen werden konnten, eine Demütigung, die für einen ehrbaren römischen Bürger undenkbar war. Diese rechtliche Degradierung machte sie zu einer Art "Wegwerfware" im System der römischen Justiz und Unterhaltung.


Die infamia war jedoch mehr als nur ein juristischer Makel; sie zog eine tiefgreifende soziale Stigmatisierung nach sich. Der Beruf des Gladiators wurde als fundamental unehrenhaft betrachtet, da er den eigenen Körper öffentlich zur Schau stellte und für die Unterhaltung anderer verkaufte. Dies stand in krassem Widerspruch zu den römischen Idealen der dignitas (Würde) und der männlichen Selbstbeherrschung. Der berühmte Redner Cicero brachte diese Verachtung auf den Punkt, als er Gladiatoren als "verkommene Menschen oder Barbaren" (perditi homines aut barbari) und als Angehörige der niedrigsten Gesellschaftsschicht (infimi generis hominum) bezeichnete.

Die umfassende Liste der Gründe, die zur infamia führen konnten, offenbart ihre Funktion als Instrument der sozialen Kontrolle. Neben moralisch verwerflichen Berufen wie dem des Gladiators oder der Prostituierten finden sich dort auch Handlungen, die die soziale und ökonomische Ordnung der Gemeinschaft bedrohten, etwa betrügerische Vertragsverletzungen, Konkurs oder Falschaussagen unter Eid. Dies zeigt, dass die infamia nicht allein ein moralisches Urteil war, sondern ein Mechanismus zur Aufrechterhaltung der rigiden römischen Sozialhierarchie. Indem bestimmte Gruppen rechtlich marginalisiert wurden, wurden die Privilegien der ehrbaren Bürgerschaft definiert und geschützt. Die Einstufung der Gladiatoren als infames war ideologisch notwendig, um eine klare Trennlinie zwischen dem Bürger, der frei über seinen Körper verfügte, und dem Gladiator, dessen Körper zur Ware wurde, zu ziehen. Diese Trennung ermöglichte es dem römischen Publikum, die Gewalt in der Arena zu genießen, ohne sich mit dem Kämpfer identifizieren zu müssen. Die infamia war somit nicht nur eine Folge des Gladiatorenberufs, sondern eine grundlegende Voraussetzung für die soziale und psychologische Funktion der Spiele.


Juristische und soziale Konsequenzen der Infamia

Bereich

Konsequenz

Rechtlich

Verlust des Klagerechts und der Fähigkeit, als Zeuge auszusagen


Haftbarkeit für körperliche Strafen (wie ein Sklave)


Eingeschränkte Rechtsfähigkeit

Politisch

Ausschluss von öffentlichen Ämtern


Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts

Sozial

Verlust des Ansehens (aestimatio) und der Reputation


Soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung


Gleichstellung mit Prostituierten, Schauspielern und Betrügern

Die Herkunft der Kämpfer: Ein soziales Mosaik


Die soziale Zusammensetzung der Gladiatorentruppen war heterogen, doch die große Mehrheit wurde unfreiwillig rekrutiert. Kriegsgefangene bildeten einen steten Nachschub für die Arenen des Reiches. Ganze Gladiatorengattungen wie die Thraker (Thraeces), Gallier (Galli) oder Samniten (Samnites) waren ursprünglich nach den besiegten Völkern benannt, deren Kampfstile sie imitierten. Daneben wurden Sklaven und verurteilte Verbrecher in die Gladiatorenschulen geschickt. Die Verurteilung zur Gladiatorenschule (damnatio ad ludum gladiatorium) war eine Form der Kapitalstrafe, die dem Verurteilten jedoch, im Gegensatz zur direkten Hinrichtung, eine geringe Überlebenschance bot. Für diese Gruppen war die Arena ein Ort des Zwangs und des fast sicheren Todes.


Eine besonders faszinierende Gruppe bildeten die auctorati – freie römische Bürger, die sich freiwillig durch einen Eid (auctoramentum) zum Gladiatorendienst verpflichteten. Ihre Motive waren vielfältig: Viele waren durch hohe Schulden oder Armut gezwungen, diesen drastischen Schritt zu gehen, während andere von der Aussicht auf Ruhm, Ehre und das hohe Preisgeld angelockt wurden. Mit der Unterzeichnung des Vertrags tauschten sie ihre bürgerliche Freiheit und ihre Ehre gegen die Chance auf Reichtum und Popularität und nahmen die infamia bewusst in Kauf.


Die Existenz der auctorati ist ein wichtiger Indikator für soziale Spannungen und Krisen in der römischen Gesellschaft. Die Tatsache, dass freie Bürger, die oft durch Schulden in die Enge getrieben wurden, bereit waren, den massiven sozialen und rechtlichen Abstieg in Kauf zu nehmen, deutet darauf hin, dass die traditionellen ökonomischen und sozialen Strukturen für Teile der Bevölkerung nicht mehr tragfähig waren. In Zeiten politischer Instabilität, wie den Bürgerkriegen des späten 1. Jahrhunderts v. Chr., oder wirtschaftlicher Not konnte der Weg in die Arena als paradoxe, aber rationale Überlebensstrategie erscheinen: der Tausch einer wertlos gewordenen bürgerlichen Existenz gegen die konkrete Chance auf Geld und Ansehen. Die wiederholten Versuche des Senats, den Zugang von Freigeborenen, insbesondere aus den höheren Ständen, zur Arena gesetzlich zu beschränken, waren daher nicht nur moralisch motiviert. Sie waren auch ein Versuch, die erodierende soziale Ordnung zu verteidigen und die klare Trennlinie zwischen den Ständen aufrechtzuerhalten.


Die Anziehungskraft der Arena war so groß, dass gelegentlich sogar Angehörige des Ritter- und Senatorenstandes in den Sand traten, was jedes Mal einen öffentlichen Skandal auslöste, aber zugleich die immense Faszination des Gladiatorenlebens unterstrich. Die ultimative Grenzüberschreitung stellten jedoch die Auftritte von Kaisern wie Commodus und Caracalla dar. Indem der Herrscher des Imperiums selbst in die Rolle des sozial Geächteten schlüpfte, demonstrierte er seine absolute Macht, sich über alle gesellschaftlichen Normen hinwegzusetzen, und verwischte auf provokante Weise die Grenzen zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Glied der Gesellschaft.


Zeugnisse der Verehrung: Fankult und Erotik


Trotz ihrer rechtlichen und sozialen Ächtung genossen erfolgreiche Gladiatoren eine immense Popularität, die mit der moderner Sportstars vergleichbar ist! Stell dir vor, die Wände antiker Städte waren die Social-Media-Feeds von heute. In Pompeji verewigten Fans ihre Idole mit Graffiti wie "Celadus der Thraker, dreimal siegreich, dreimal gekrönt, der Seufzer der Mädchen" (Celadus thraex, III, III, suspirium puellarum) oder priesen die nächtlichen Verführungskünste eines anderen Kämpfers: "Crescens der Netzfechter, Herr der Mädchen in der Nacht" (Crescens retiarius, puparum nocturnarum dominus). Diese Inschriften sind von unschätzbarem Wert, denn sie geben uns die unfiltrierte, direkte Stimme des Volkes wieder und belegen die Verehrung der Gladiatoren als Helden und – ja, du liest richtig – Sexsymbole.


Die Allgegenwart der Gladiatoren in der römischen Alltagskultur ist einfach überwältigend. Unzählige Darstellungen auf Mosaiken, Öllampen, Trinkgefäßen und Tonfiguren zeugen davon. Prachtvolle Mosaike wie die aus der Villa Borghese in Rom oder aus Nennig im Saarland sind keine bloßen Dekorationen, sondern Ausdruck eines etablierten und tief verwurzelten Fankults. Die Kämpfer waren nicht nur Athleten, sondern Ikonen und Marken, deren Abbilder man besitzen und im eigenen Heim zur Schau stellen wollte.

Diese Faszination besaß eine starke erotische Komponente. Gladiatoren galten als Inbegriff roher, potenter Männlichkeit, und ihre Anziehungskraft auf Frauen war sprichwörtlich. Der Satiriker Juvenal beschreibt mit beißendem Spott die Geschichte der Senatorengattin Eppia, die ihren Geliebten, den Gladiator Sergiolus, trotz seiner körperlichen Makel – er war bereits alternd und entstellt – aus reiner Leidenschaft bis nach Ägypten begleitete. Juvenals Fazit ist eindeutig: "Das Schwert ist es, was die Frauen lieben" (ferrum est quod amant). Kannst du dir das vorstellen? Eine Frau der Oberschicht, die alles für einen geächteten Kämpfer aufgibt!


Die sexuelle Anziehungskraft des Gladiators war zutiefst transgressiv. Sie überschritt bewusst die strengen sozialen und moralischen Grenzen, die für eine ehrbare römische Frau galten. Eine Affäre mit einem Gladiator, einem rechtlich und sozial geächteten infamis, war der ultimative Skandal. Doch genau in dieser Grenzüberschreitung lag die Faszination. Der Gladiator verkörperte eine wilde, ungezähmte und gefährliche Männlichkeit, die im scharfen Kontrast zum zivilisierten und kontrollierten römischen Ehemann der Oberschicht stand. Er war der verbotene Reiz, der "Bad Boy" der Antike. Seine Anziehungskraft wurde also nicht trotz, sondern gerade wegen seines niedrigen Status so stark. Die Hinwendung zu ihm war ein Akt der Rebellion gegen die rigiden Normen einer patriarchalen Gesellschaft.


Unsterbliche Legenden: Berühmte Kämpfer und kaiserliche Eskapaden


Einige Gladiatoren erlangten durch ihre Taten in der Arena unsterblichen Ruhm, der die Jahrhunderte überdauerte. Die bekanntesten sind zweifellos Spartacus und sein Unterführer Crixus, die 73 v. Chr. den größten Sklavenaufstand der römischen Geschichte anführten. Ihre Rebellion, die in einer Gladiatorenschule in Capua begann und das römische Reich über zwei Jahre in Atem hielt, offenbarte das explosive soziale Potenzial, das in den ludi schlummerte. Obwohl sie letztlich scheiterten, wurden sie in der Neuzeit zu Symbolfiguren für den Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit stilisiert.


Ein ganz anderes Bild zeichnet der Dichter Martial in seinem Liber spectaculorum, der die Eröffnungsspiele des Kolosseums im Jahr 80 n. Chr. feiert. Er überliefert uns den einzigen detaillierten Augenzeugenbericht eines Gladiatorenkampfes, den epischen Zweikampf zwischen Priscus und Verus. Stell dir die Spannung vor: Nach stundenlangem, ebenbürtigem Kampf legten beide gleichzeitig ihre Waffen nieder! Kaiser Titus, der Veranstalter der Spiele, erhörte den Wunsch des Publikums und schenkte beiden Kämpfern die Freiheit, symbolisiert durch das Holzschwert (rudis). Dieser Akt der kaiserlichen Gnade zeigt, dass herausragende Tapferkeit selbst auf der höchsten Ebene anerkannt und belohnt werden konnte.


Die vielleicht faszinierendste Gladiatorengeschichte ist die des Syrers Flamma. Sein Grabstein in Sizilien dokumentiert eine beeindruckende Karriere: Er starb im Alter von 30 Jahren, nachdem er 34 Kämpfe bestritten hatte, von denen er 21 gewann, 9 unentschieden beendete und nur 4 verlor. Das absolut Bemerkenswerteste an seiner Laufbahn ist jedoch die Tatsache, dass ihm viermal die Freiheit angeboten wurde und er sie jedes Mal ablehnte, um weiter in der Arena zu kämpfen! Viermal!


Flammas wiederholte Ablehnung der Freiheit, des höchsten Guts für jeden Unfreien, löst die Dichotomie von "Superstar" und "Wegwerfware" auf radikale Weise auf. Seine Entscheidung lässt sich nur durch eine tiefere Analyse seiner Lebenswelt erklären. Das Leben als freigelassener Gladiator (rudiarius) war oft unsicher und bot weitaus weniger Perspektiven als die Existenz eines gefeierten Stars in der Arena. Innerhalb der Gladiatorenschule genoss er durch seine Erfolge vermutlich hohen Status und erlebte eine Form von Kameradschaft und sozialer Zugehörigkeit, die ihm in der Außenwelt, wo er immer als ehemaliger infamis gegolten hätte, verwehrt geblieben wäre. Die Arena war der einzige Ort, an dem seine außergewöhnlichen Fähigkeiten – seine virtus – nicht nur anerkannt, sondern enthusiastisch gefeiert wurden. Er definierte sich offenbar vollständig über seine Rolle als Kämpfer. Für Flamma war die Identität des "Superstars" wertvoller als eine prekäre bürgerliche Freiheit. Er wählte die Arena als seinen Lebensinhalt und starb dort als aktiver Gladiator. Seine Geschichte beweist, dass die Rolle des Gladiators für einige zu einer echten, selbstgewählten Identität werden konnte, die weit über die äußeren Zwänge hinausging.


Die Spitze des Gladiatorenkults und zugleich seine Perversion stellten die Auftritte von Kaisern wie Commodus und Caracalla dar. Commodus liebte die Arena und kämpfte dort häufig, wenn auch meist gegen Gladiatoren, die nur mit Holzwaffen bewaffnet waren, während er selbst eine tödliche Stahlklinge führte. Indem der princeps, die höchste Instanz des Staates, in die Rolle des infamis, des sozial Geächteten, schlüpfte, demonstrierte er seine absolute Macht, sich über jede soziale Norm hinwegzusetzen. Gleichzeitig legitimierte er die Faszination für die in der Arena zur Schau gestellte virtus und bestätigte den Kultstatus der Kämpfer auf ultimative Weise.


Leben im Ludus: Disziplin, Ernährung und Medizin


Das Leben eines Gladiators war untrennbar mit dem ludus, der Gladiatorenschule, verbunden. Stell dir diese Institutionen als eine Mischung aus Kaserne, Gefängnis und Hochleistungs-Trainingszentrum vor. Archäologische Ausgrabungen, insbesondere die des Ludus Magnus in Rom, der Schule in Pompeji und der sensationell gut erhaltenen Anlage in Carnuntum, geben uns detaillierte Einblicke in ihre Architektur: kleine, karge Wohnzellen für die Kämpfer, oft nur wenige Quadratmeter groß, eine zentrale Trainingsarena und Gemeinschaftseinrichtungen wie Küchen und Bäder.

Das Training (disciplina) war extrem hart und wurde von erfahrenen Ausbildern (doctores oder magistri), oft selbst pensionierte Gladiatoren (rudiarii), geleitet. Die Ausbildung begann mit grundlegenden Übungen an einem Holzpfahl (palus) und wurde mit schweren Holzwaffen fortgesetzt, die oft das doppelte Gewicht der echten Kampfwaffen hatten, um Kraft, Ausdauer und Waffengeschick zu maximieren. Strenge Zucht und Ordnung herrschten im ludus; selbst kleine Vergehen wurden hart bestraft, etwa durch Einsperren in enge Zellen.


Ein entscheidender Aspekt des Lebens im ludus war die spezielle Ernährung. Antike Autoren wie Plinius der Ältere bezeichneten Gladiatoren spöttisch als hordearii ("Gerstenfresser"). Und wisst ihr was? Moderne wissenschaftliche Methoden haben diese literarische Überlieferung eindrucksvoll bestätigt! Isotopenanalysen von Knochen aus dem Gladiatorenfriedhof von Ephesos zeigten, dass ihre Ernährung tatsächlich überwiegend vegetarisch war und auf kohlenhydratreichen Lebensmitteln wie Gerste und Bohnen basierte. Diese Diät hatte einen spezifischen Zweck: Sie förderte den Aufbau einer dicken Fettschicht über der Muskulatur. Diese Schicht diente als eine Art natürliches Polster, das oberflächliche Schnittwunden abfing, Blutungen spektakulärer aussehen ließ, ohne sofort lebenswichtige Organe, Nerven oder große Blutgefäße zu verletzen, und so die Überlebenschancen und die Dauer des Kampfes erhöhte. Clever, oder?


Die Knochenanalysen aus Ephesos offenbarten ein weiteres Detail: ungewöhnlich hohe Konzentrationen von Strontium und Kalzium. Dies bestätigt Berichte über einen speziellen "Aschetrunk", den die Kämpfer zu sich nahmen. Dieses Getränk, wahrscheinlich eine Mischung aus Wasser, Essig und Pflanzenasche, diente als eine Art frühes isotonisches Sportgetränk, das den Körper nach dem anstrengenden Training mit wichtigen Mineralien versorgte und die Knochen stärkte. Ebenso bemerkenswert ist die Qualität der medizinischen Versorgung. Die Skelette aus Ephesos und York weisen zahlreiche schwerwiegende, aber professionell und sauber verheilte Verletzungen auf, darunter auch komplizierte Knochenbrüche, die geschient wurden. Das belegt, dass Gladiatoren Zugang zu exzellenten Ärzten hatten, deren Ziel es war, die wertvollen Kämpfer so schnell wie möglich wieder kampffähig zu machen.


Diese Befunde zeichnen ein komplexes Bild vom Körpermanagement im ludus. Der Gladiator war für seinen Besitzer, den lanista, eine äußerst wertvolle Investition (corpus pretiosum). Ein toter Gladiator bedeutete einen erheblichen finanziellen Verlust. Daher war das Leben im ludus kein reines Elend, sondern ein hochgradig rationalisiertes System, das darauf abzielte, den Körper des Gladiators mit fast wissenschaftlicher Präzision für seine ökonomische Funktion zu optimieren. Die vegetarische Diät, der Aschetrunk und die fortschrittliche medizinische Versorgung waren keine Akte der Güte, sondern Teil einer knallharten ökonomischen Kalkulation. Der Status als rechtlose "Wegwerfware" wird hier durch die Realität des Gladiators als wertvolles, sorgfältig gepflegtes Wirtschaftsgut konterkariert.


Die Ökonomie der Spiele


Die Gladiatorenkämpfe (munera) waren ein zentraler Bestandteil der römischen Wirtschaft und Politik. Ihre Organisation war ein enormes finanzielles Unterfangen, das oft von ehrgeizigen Politikern und später von den Kaisern selbst getragen wurde, um die Gunst des Volkes zu gewinnen – das berühmte Prinzip von "Brot und Spielen" (panem et circenses). Die Kosten konnten astronomische Höhen erreichen! Bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. bezifferte der Historiker Polybios die Kosten für ein größeres Spektakel auf mindestens 30 Talente, was 750.000 Sesterzen entsprach – eine unvorstellbare Summe für die damalige Zeit. Kaiserliche Spiele sprengten jeden Rahmen. Allein die Beschaffung exotischer Tiere für die Tierhetzen (venationes) war extrem teuer: Ein Löwe konnte laut dem Diokletianischen Preisedikt bis zu 150.000 Denare (600.000 Sesterzen) kosten.


Der Wert eines einzelnen Gladiators war ebenfalls beträchtlich. Die Ausbildung in einem ludus war langwierig und kostspielig. Der lanista vermietete seine Kämpfer an den Veranstalter der Spiele (editor). Die Verträge regelten die Leihgebühr, doch im Falle des Todes eines Gladiators in der Arena musste der editor dem lanista den vollen Kaufpreis erstatten, der bis zu 50-mal höher sein konnte als die Leihgebühr. Dieser Mechanismus schuf einen starken finanziellen Anreiz für alle Beteiligten, die Kämpfe nicht zwangsläufig tödlich enden zu lassen, da der Tod eines erfahrenen Kämpfers einen empfindlichen wirtschaftlichen Verlust darstellte.


Für die Gladiatoren selbst boten die Spiele die Chance auf erheblichen materiellen Gewinn. Obwohl das Preisgeld für einen einzelnen Sieg für einen gewöhnlichen Gladiator im Vergleich zum Jahresgehalt eines Legionärs bescheiden erscheinen mag (im 2. Jh. n. Chr. zwischen 12 und 75 Sesterzen pro Sieg für einen Sklaven bzw. Freiwilligen, während ein Legionär ca. 1200 Sesterzen pro Jahr verdiente), konnten erfolgreiche Stars enorme Summen anhäufen. Dieses Geld, zusammen mit Geschenken von wohlhabenden Bewunderern, ermöglichte es vielen, sich nach einer erfolgreichen Karriere ihre Freiheit zu erkaufen oder einen komfortablen Ruhestand zu sichern. Der berühmte Wagenlenker Gaius Appuleius Diocles, dessen Karriere in vielerlei Hinsicht mit der von Top-Gladiatoren vergleichbar ist, verdiente im Laufe seines Lebens die unvorstellbare Summe von fast 36 Millionen Sesterzen!


Zwischen Gemetzel und Regelwerk


Unser modernes Bild von Gladiatorenkämpfen ist stark von den Schriften des stoischen Philosophen Seneca geprägt. In seinen berühmten Briefen an Lucilius (insbesondere Epistel 7) beschreibt er die Mittagsspiele mit tiefster Abscheu als "reine Metzelei" (mera homicidia). Er schildert, wie ungeschützte Männer gezwungen werden, sich gegenseitig abzuschlachten, angetrieben von den blutrünstigen Rufen des Publikums: "Töte ihn! Peitsche ihn! Verbrenne ihn!" (‘Occide, verbera, ure!’). Für Seneca waren die Spiele ein Ort der moralischen Verrohung, an dem jegliche Menschlichkeit verloren ging. Seine eindringliche Darstellung hat unsere Vorstellung von Gladiatorenkämpfen als chaotisches, regelloses Gemetzel nachhaltig geformt.


Dieser Perspektive steht jedoch eine wachsende Zahl von Beweisen gegenüber, die auf ein hochgradig reglementiertes und ritualisiertes Geschehen hindeuten. Die Kämpfe wurden von Schiedsrichtern überwacht, die als summa rudis bezeichnet wurden und oft selbst erfahrene, pensionierte Gladiatoren waren. Sie trugen einen Stab (rudis), mit dem sie eingreifen konnten, um Kämpfer zu trennen, Fouls zu ahnden oder den Kampf zu unterbrechen, wenn ein Gladiator zu schwer verletzt war. Archäologische Funde und Analysen von Verletzungsmustern deuten auf feste Regeln hin, wie etwa das Verbot von Schlägen auf den Rücken oder die Erlaubnis, nach einem unabsichtlichen Sturz den Kampf wieder aufzunehmen.


Das Herzstück dieses Regelwerks war das System der Gladiatorengattungen (armaturae). Es war sorgfältig darauf ausgelegt, durch asymmetrische Paarungen eine Balance der Kräfte und damit einen spannenden und unvorhersehbaren Kampf zu gewährleisten. Niemals kämpften zwei Gladiatoren des gleichen Typs gegeneinander! Stattdessen wurden unterschiedliche Ausrüstungen kombiniert, um die jeweiligen Vor- und Nachteile auszugleichen. Ein klassisches Beispiel ist der Kampf des retiarius gegen den secutor. Der retiarius war nur leicht geschützt, aber mit Netz und einem langen Dreizack sehr agil und auf Distanz gefährlich. Sein Gegner, der secutor, war schwer gepanzert und trug einen großen Schild und ein Kurzschwert, was ihn im Nahkampf überlegen, aber auch langsamer machte. Sein glatter, eiförmiger Helm bot dem Netz des retiarius kaum Halt – ein geniales System, nicht wahr?


Der scheinbare Widerspruch zwischen Senecas Schilderung und den Beweisen für ein Regelwerk lässt sich auflösen, wenn man den Ablauf eines typischen Spieltages betrachtet. Seneca beschreibt explizit die Mittagsspiele. Andere Quellen unterscheiden jedoch klar zwischen den verschiedenen Programmpunkten: den Tierhetzen (venationes) am Vormittag, den öffentlichen Hinrichtungen von Verbrechern (noxii) zur Mittagszeit und den eigentlichen Gladiatorenkämpfen (munera) als Höhepunkt am Nachmittag. Die von Seneca geschilderte Szene – schutzlose Menschen, die sich gegenseitig abschlachten müssen – passt exakt zur Beschreibung der brutalen Hinrichtungen, bei denen es sich tatsächlich um "menschliche Wegwerfware" handelte. Die hochprofessionellen und teuren Gladiatoren hingegen traten in den reglementierten Zweikämpfen am Nachmittag an. Seneca und die Befürworter eines Regelwerks beschreiben also wahrscheinlich unterschiedliche Ereignisse desselben Tages. Die moderne Vermischung dieser verschiedenen Spektakel hat zu einem verzerrten Bild der Gladiatur geführt.


Die wichtigsten Gladiatorentypen, ihre Ausrüstung und typische Gegner

Typ

Bewaffnung & Schutz

Typischer Gegner

Charakteristik

Murmillo

Gladius (Kurzschwert), großer, rechteckiger Schild (scutum), Helm mit hohem Kamm, Armschutz (manica), Beinschiene (ocrea) am linken Bein

Thraex, Hoplomachus

Schwer gepanzerter, starker Nahkämpfer, der dem römischen Legionär nachempfunden war.

Thraex

Gebogenes Kurzschwert (sica), kleiner, quadratischer Schild (parmula), Helm mit Greifenkopf, gepanzerte Beinschienen an beiden Beinen

Murmillo

Leicht bewaffneter, aber agiler Kämpfer, der den thrakischen Soldaten nachempfunden war.

Retiarius

Netz (rete), Dreizack (tridens), Dolch (pugio), Arm- und Schulterschutz (galerus), kein Helm

Secutor

Sehr agil und auf Distanzkampf spezialisiert, aber fast ungeschützt und im Nahkampf verwundbar.

Secutor

Gladius, scutum, glatter, eiförmiger Helm mit kleinen Augenlöchern, manica, ocrea am linken Bein

Retiarius

"Verfolger", eine Variante des Murmillo, speziell für den Kampf gegen den Retiarius entwickelt; der glatte Helm sollte sich nicht im Netz verfangen.

Hoplomachus

Stoßlanze (hasta), gladius, kleiner, runder Schild, Helm, Beinschienen

Murmillo

Nach dem Vorbild des griechischen Hopliten bewaffnet, effektiv auf mittlere Distanz.

Eques

Lanze, Schwert, kleiner, runder Schild (parma equestris), Helm, Tunika; kämpfte zu Beginn zu Pferd

Eques

"Reiter", kämpften immer nur gegeneinander, begannen den Kampf zu Pferd und setzten ihn zu Fuß fort.

Die Frage von Leben und Tod: Mortalitätsraten im Wandel


Die Frage, wie tödlich die Gladiatorenkämpfe tatsächlich waren, ist zentral für unsere Bewertung dieses Phänomens. Entgegen der landläufigen, oft von Filmen geprägten Meinung endete bei weitem nicht jeder Kampf mit dem Tod eines der Kontrahenten. Der französische Historiker Georges Ville analysierte für das 1. Jahrhundert n. Chr. Inschriften, die die Ergebnisse von 100 Kämpfen dokumentieren. Von den 200 beteiligten Gladiatoren starben nur 19, was einer Mortalitätsrate von unter 10 % entspricht. Andere Schätzungen für diese frühe Phase der Kaiserzeit gehen von einer etwas höheren Rate von etwa 20 % aus, bei der jeder fünfte Kampf tödlich endete. Das ist immer noch hoch, aber weit entfernt von der Vorstellung, dass jeder Kampf ein Todesurteil war.


Allerdings deuten die Quellen darauf hin, dass die Brutalität im Laufe der Zeit zunahm. Für das 3. Jahrhundert n. Chr. wird geschätzt, dass bereits jeder zweite Kampf mit dem Tod des Unterlegenen endete. Die Gründe für diese Entwicklung sind unklar, könnten aber mit einer Abstumpfung des Publikums, veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen oder einem gesteigerten Bedürfnis nach immer drastischeren Spektakeln zusammenhängen. Unklar bleibt zudem, wie viele Gladiatoren an den Spätfolgen ihrer Verletzungen starben. Das durchschnittliche Todesalter, das aus Grabinschriften ermittelt wurde, lag bei etwa 22 bis 27 Jahren, was deutlich unter der Lebenserwartung der allgemeinen Bevölkerung lag.


Der entscheidende Moment eines Kampfes war die Aufgabe eines Gladiators, die oft durch das Heben des Zeigefingers signalisiert wurde. Daraufhin wurde der Kampf unterbrochen, und es folgte die Entscheidung über Leben oder Tod. Formal lag diese Entscheidung beim Veranstalter der Spiele (editor), doch in der Praxis richtete er sich fast immer nach der lautstark geäußerten Meinung des Publikums. Die heute populäre Geste des "Daumen hoch" für Leben und "Daumen runter" für Tod (pollice verso) ist übrigens eine Erfindung des 19. Jahrhunderts und historisch nicht belegt! Die tatsächlichen Zeichen, die das Publikum verwendete, sind uns leider unbekannt.


Die Chance auf Begnadigung (missio) hing von mehreren Faktoren ab. Die wichtigste war die im Kampf gezeigte Tapferkeit und Standhaftigkeit – die zur Schau gestellte virtus. Ein Gladiator, der tapfer gekämpft hatte, hatte gute Chancen, am Leben gelassen zu werden. Ein weiterer entscheidender Faktor war die Popularität. Ein gefeierter Star mit einer großen Fangemeinde konnte auf die Unterstützung des Publikums zählen, was einer Art Lebensversicherung gleichkam. Schließlich spielte auch der ökonomische Wert des Gladiators eine Rolle. Da ein erfahrener Kämpfer eine teure Investition für seinen lanista war, gab es ein starkes Interesse daran, ihn für zukünftige Kämpfe zu erhalten.


Forensische Einblicke aus den Gladiatorenfriedhöfen


Während literarische Quellen oft subjektiv und von der moralischen Haltung des Autors geprägt sind, liefert uns die Archäologie harte, materielle Fakten. Die Entdeckung und Analyse von Gladiatorenfriedhöfen, insbesondere in Ephesos (heutige Türkei) und York (römisches Eboracum in Britannien), hat unser Verständnis von der Realität der Gladiatur revolutioniert und ist einfach unglaublich aufschlussreich!


Der Friedhof in Ephesos, 1993 entdeckt, enthielt die Skelette von etwa 70 Individuen, die überwiegend junge Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren waren. Die Identifizierung als Gladiatorenfriedhof war eindeutig, da einige Gräber mit Grabsteinen versehen waren, die die Verstorbenen als Gladiatoren darstellten und ihre Namen nannten. Stell dir vor, du stehst vor diesen Gräbern und die Geschichte wird plötzlich greifbar! Der Friedhof in York ist mit rund 80 Skeletten noch größer und zeigt eine ähnliche Demografie: überdurchschnittlich große und kräftige Männer mit zahlreichen Gewaltverletzungen. Obwohl die Interpretation hier nicht endgültig gesichert ist – es könnte sich auch um hingerichtete Soldaten handeln –, deuten viele Indizien, wie eine Bissspur von einem großen Raubtier an einem Beckenknochen, auf einen Zusammenhang mit den Arenaspielen hin.

Die forensische Untersuchung dieser Knochen liefert entscheidende Beweise, die oft im Widerspruch zu den dramatischsten literarischen Schilderungen stehen:


  • Reglementierter Zweikampf: Die Verletzungen konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Vorderseite des Körpers, insbesondere auf den Schädel, die Halswirbelsäule und die Schultern. Verletzungen am Hinterkopf sind extrem selten. Dies belegt, dass die Kämpfe als frontale Duelle nach festen Regeln stattfanden und Angriffe von hinten verpönt waren.

  • Spezifische Waffen: Die Art der Wunden lässt Rückschlüsse auf die verwendeten Waffen zu. Saubere, runde Löcher im Schädel stammen wahrscheinlich von einem Dreizack (tridens), scharfe, schlitzförmige Verletzungen von einem Schwert (gladius) und massive Schädeltraumata von einem stumpfen Schlag, etwa mit einem Schild.

  • Professionelle medizinische Versorgung: Eines der überraschendsten Ergebnisse ist die hohe Anzahl an schwerwiegenden, aber sauber und vollständig verheilten Verletzungen. Dies beweist, dass die Gladiatoren Zugang zu einer hochentwickelten medizinischen Versorgung hatten, die es ihnen ermöglichte, selbst nach komplizierten Brüchen wieder kampffähig zu werden. Dies widerspricht dem Bild der reinen "Wegwerfware" fundamental!

  • Ritualisierte Tötung: Viele Skelette weisen Spuren eines finalen, gezielten Todesstoßes auf, der nach dem eigentlichen Kampf ausgeführt wurde. Dazu gehören Stiche ins Herz durch den Rücken oder gezielte Hammerschläge auf den Kopf. Dies deutet darauf hin, dass ein besiegter Gladiator, dem die Begnadigung verweigert wurde, nicht im Kampfgetümmel, sondern in einer ritualisierten Handlung getötet wurde.

  • Bestätigung der Diät: Die Isotopenanalysen der Knochen aus Ephesos bestätigten nicht nur die literarisch überlieferte, überwiegend vegetarische Ernährung, sondern auch den Konsum des mineralstoffreichen Aschetrunks.


Die Archäologie fungiert hier als entscheidendes Korrektiv zur literarischen Überlieferung. Während Autoren wie Seneca ein Bild von chaotischer und zügelloser Brutalität zeichnen, beweisen die Knochen das genaue Gegenteil: ein hochgradig organisiertes, reglementiertes und professionelles System. Dieser Widerspruch zwingt uns, die Texte nicht als objektive Reportagen, sondern als subjektive, oft moralisch oder politisch motivierte Interpretationen zu lesen. Seneca schrieb als Stoiker mit einer klaren Agenda gegen die Massenunterhaltung. Die physische Realität, wie sie in den Knochen eingeschrieben ist, war wahrscheinlich weniger blutig und willkürlich, aber dafür umso ritualisierter und professioneller, als es die schockierendsten literarischen Quellen suggerieren.


Vergleichende Analyse der Gladiatorenfriedhöfe von Ephesos und York

Merkmal

Ephesos

York (Eboracum)

Fundort / Datierung

Türkei / 2.–3. Jh. n. Chr.

England / 2.–4. Jh. n. Chr.

Anzahl Individuen

ca. 70

ca. 80

Demographie

Überwiegend junge, männliche Erwachsene (20-30 Jahre), eine Frau

Überwiegend junge, männliche Erwachsene (18-45 Jahre), groß und kräftig

Typische Verletzungen

Konzentration auf Schädel (frontal), Hals, Schultern; Wunden von Dreizack, Schwert

Viele scharfe Klingenverletzungen; hohe Rate an Enthauptungen (von hinten)

Verheilte Wunden

Zahlreiche, gut verheilte schwere Verletzungen, die auf exzellente medizinische Versorgung hindeuten

Ebenfalls diverse verheilte und unverheilte Traumata

Todesursachen

Vielfältige Kampfwunden, gezielte Todesstöße (z.B. Hammerschlag)

Enthauptungen, Kampfwunden; ein Individuum mit Bissspuren eines großen Raubtiers

Besonderheiten

Eindeutige Identifizierung durch Grabsteine; Isotopenanalyse bestätigte Diät

Respektvolle Bestattungen, teilweise mit reichen Grabbeigaben (z.B. Tierknochen von Festmählern)

Was denkst du über diese unglaubliche Ambivalenz? Waren Gladiatoren für dich eher Helden oder Opfer? Oder vielleicht etwas ganz anderes? Lass es mich in den Kommentaren wissen und teile deine Gedanken! Und wenn dir dieser tiefe Einblick gefallen hat, zeig es doch mit einem Like – das hilft uns ungemein, weiterhin solche faszinierenden Inhalte für dich zu erstellen.


Synthese und Fazit: Die Auflösung des Paradoxons – Virtus in der Arena


Die Analyse der vielfältigen Quellen zeichnet ein zutiefst widersprüchliches Bild des Gladiators. Rechtlich war er eine "Wegwerfware", ein infamis, der am untersten Rand der Gesellschaft stand und dessen bürgerliche Existenz ausgelöscht war. Kulturell war er ein gefeierter "Superstar", ein Idol der Massen und ein Objekt erotischer Begierde, dessen Ruhm den von modernen Athleten erreichte. Ökonomisch war er eine wertvolle Investition, ein corpus pretiosum, dessen Körper durch spezielle Ernährung und exzellente medizinische Versorgung sorgfältig gepflegt und dessen Leben im Kampf aus reinem Kosten-Nutzen-Kalkül geschützt wurde. Der Kampf selbst war keine willkürliche Metzelei, sondern ein hochgradig ritualisiertes und reglementiertes Spektakel, dessen Brutalität durch ein komplexes Regelwerk kanalisiert wurde. Die archäologischen Beweise korrigieren dabei das literarisch überzeichnete Bild und betonen die Professionalität des Handwerks.


Wie passt das alles zusammen? Die Auflösung dieses scheinbaren Paradoxons liegt im zentralen römischen Wertbegriff der virtus. Virtus umfasste die Summe aller männlichen Tugenden: Tapferkeit im Angesicht des Feindes, Standhaftigkeit im Leiden, Disziplin, Pflichtbewusstsein und vor allem die Verachtung des Todes. Die Arena war der ultimative Ort, an dem diese Tugend auf die Probe gestellt und auf die spektakulärste Weise zur Schau gestellt werden konnte. Selbst der verachtetste Sklave oder Verbrecher konnte im Moment des Kampfes zur Verkörperung der höchsten römischen Tugend werden. Cicero selbst, der Gladiatoren eigentlich verachtete, erkannte diesen Aspekt an, als er ihre Leidensfähigkeit bewunderte und sie als Vorbild für einen "für den Ruhm geborenen Mann" darstellte.


Der Gladiator war somit weit mehr als nur blutige Unterhaltung. Er war ein lebendiges moralisches Exempel (exemplum). Er demonstrierte dem gesamten Volk, von den Senatoren bis zu den einfachen Plebejern, wie ein wahrer Römer dem Schicksal und dem Tod begegnen sollte: aufrecht und unnachgiebig. Die ungeheure Faszination der Gladiatur lag genau in diesem Spannungsfeld: Ein rechtlich und sozial Ausgestoßener, ein infamis, demonstrierte in Perfektion jene virtus, die viele Römer bei ihrer eigenen, als verweichlicht und dekadent empfundenen Elite vermissten. Der Gladiator war der lebende Beweis, dass wahre Männlichkeit und Ehre nicht vom sozialen Status abhingen, sondern im Angesicht des Todes verdient werden mussten.


Die Antwort auf unsere Ausgangsfrage lautet daher: Der Gladiator war beides. Sein Status als rechtlose "Wegwerfware" war die notwendige Voraussetzung dafür, dass sein Leben überhaupt in der Arena aufs Spiel gesetzt werden durfte. Sein Aufstieg zum "Superstar" resultierte aus der perfekten Verkörperung der virtus in diesem Moment der höchsten Gefahr. Das Paradox ist somit kein Widerspruch in unserem Verständnis, sondern die eigentliche Essenz des Gladiators – eine tragische und zugleich glorreiche Figur, die an der Schnittstelle von sozialer Verachtung, ökonomischem Kalkül und der höchsten moralischen Anforderung der römischen Kultur existierte. Was für eine Geschichte, oder? Und was sagt sie uns heute noch über Ruhm, Ehre und den Wert eines Menschenlebens?


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Verwendete Quellen:


  1. Ferrum est quod amant Das Amphitheater in der lateinischen Literatur des ersten und zweiten Jahrhunderts unter politischen und g - https://epub.uni-regensburg.de/33718/1/Dissertation%20Stefan%20Beck.pdf

  2. Gladiatoren: Geschichte & Kämpfe - https://www.studysmarter.de/schule/geschichte/geschichte-der-antike/gladiatoren/

  3. Gladiator - Wikipedia (Englisch) - https://en.wikipedia.org/wiki/Gladiator

  4. Infamia - Wikipedia (Englisch) - https://en.wikipedia.org/wiki/Infamia

  5. Appendix I: Infamia – UnRoman Romans - https://pressbooks.bccampus.ca/unromantest/back-matter/appendix-i-infamia/

  6. Death in the Roman amphitheater - https://penelope.uchicago.edu/encyclopaedia_romana/gladiators/death.html

  7. Seneca's letter describing gladiators - https://en.wikisource.org/wiki/Seneca%27s_letter_describing_gladiators

  8. Potsdamer Lateintage 2018 - 2020 : Roms Umgang mit sozialen Randgruppen - https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/klassphil/Lehrstuhl/Publikationen/Potsdamer_Lateintage/polat12.pdf

  9. Worum geht es inhaltlich? - CC Buchner - http://www.ccbuchner.de/_files_media/mediathek/downloads/2140.pdf

  10. Gladiatoren - Stars oder Verbrecher? | Terra X - https://www.youtube.com/watch?v=q3ST6MUAFo4

  11. Gladiator Fights Revealed in Ancient Graffiti - Live Science - https://www.livescience.com/51203-ancient-graffiti-gladiator-combat-discovered.html

  12. Tod und Spiele - Das Online-Magazin der Universität Bern - https://www.uniaktuell.unibe.ch/2014/tod_und_spiele/index_ger.html

  13. Largest ever gladiator graveyard found in York - The History Blog - https://www.thehistoryblog.com/archives/6268

  14. Stable Isotope and Trace Element Studies on Gladiators and Contemporary Romans from Ephesus - PubMed Central - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4198250/

  15. Disgrace and Agency: Pompeiian Gladiators and Infamia - PRISM - https://ucalgary.scholaris.ca/bitstreams/12e61420-eb12-493a-9c46-df0433bbfeb1/download

  16. Andreas Wacke Gloria und virtus als Ziel athletischer Wettkämpfe - https://kups.ub.uni-koeln.de/7483/1/WACKE_Gloria_und_virtus.pdf

  17. "Virtus" and "Toxic Masculinity" in Ancient Rome - TOTALLY AWESOME HISTORY - https://www.totallyawesomehistory.com/blog/virtus-and-toxic-masculinity-in-ancient-rome

  18. CLAS 355 Spectacles of Violence (Gladiators & Chariot Racing) - https://christed.faculty.arizona.edu/clas355/3-2a.html

  19. Gladiatoren - Sragg.de - http://www.sragg.de/geschichte/Websites/Web%20Alltag%20Rom/Webseiten/gladiatoren.htm

  20. Gladiators, combatants at games | Oxford Classical Dictionary - https://oxfordre.com/classics/display/10.1093/acrefore/9780199381135.001.0001/acrefore-9780199381135-e-2845

  21. Playing Culture (Chapter 4) - Rome and America - Cambridge University Press - https://www.cambridge.org/core/books/rome-and-america/playing-culture/461FAD5CAD55ADA07AB1FF668777A948

  22. In seiner Konzeption über die Entstehung der Gladiatoren spiele hebt der französische Historiker G. Ville stark den Unterschie - Pomoerium - https://pomoerium.com/pomoer/pomoer3/slapek.pdf

  23. Infamy for gladiator « IMPERIUM ROMANUM - https://imperiumromanum.pl/en/curiosities/infamy-for-gladiator/

  24. Gladiatoren – Theoria Romana - imperium-romanum.info - https://imperium-romanum.info/wiki/index.php/Gladiatoren

  25. Wie brutal waren Gladiatorenkämpfe? - Österreichische Akademie der Wissenschaften - https://www.oeaw.ac.at/news/wie-brutal-waren-gladiatorenkaempfe

  26. Gladiator - Wikipedia (Deutsch) - https://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator

  27. Römische Gladiatoren: Krieger, Sklaven und Superstars des antiken Rom - https://www.celticwebmerchant.com/de/blogs/info/roemische-gladiatoren-krieger-sklaven-und-supersta/

  28. Gladiatorenspiele: Wie tödlich waren sie wirklich? - YouTube - https://www.youtube.com/watch?v=eUZ9VUyi5no

  29. Gladiator – Die wahre Geschichte - Antikenmuseum Basel - https://aegypten.antikenmuseumbasel.ch/gladiator-skelett-v2/

  30. Das Kolosseum und die Gladiatoren - Forum Traiani - https://www.forumtraiani.de/das-roemische-reich/kolosseum-gladiatoren/

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