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WTF-Fragen
 

Gibt es eine Säure, die so stark ist, dass sie Glas, Knochen und sogar Gold einfach ausradiert?

 

Kategorie:

Chemie

Der kurze TEASER:

Ja. Die stärkste bekannte Säure der Welt ist so unvorstellbar aggressiv, dass sie die Regeln der Chemie neu schreibt – und sie in einem Behälter aufzubewahren, ist ein wissenschaftlicher Albtraum für sich.

Die ausführliche Antwort:

Wenn wir an Säure denken, haben wir meist das Bild aus Filmen im Kopf: eine blubbernde, grüne Flüssigkeit, die sich zischend durch Stahl frisst. Das ist zwar dramatisch, aber die Realität der Chemie ist weitaus spektakulärer und verstörender. Um die wahre Königin der Säuren zu verstehen, müssen wir zuerst die Schulchemie hinter uns lassen. Dort lernen wir Säuren wie Salz- oder Schwefelsäure kennen und messen ihre Stärke mit dem pH-Wert. Ein niedriger pH-Wert bedeutet "starke Säure". Doch der pH-Wert ist wie ein Tacho, der nur bis 50 km/h geht, während wir über ein Formel-1-Rennen sprechen. Er gilt nur für wässrige Lösungen. Wenn wir über die pure, rohe Kraft einer Säure sprechen, brauchen wir eine andere Messlatte. Hier betreten wir die Welt der Supersäuren. Eine Supersäure ist per Definition stärker als 100-prozentige, reine Schwefelsäure. Das ist bereits ein Level an Ätzkraft, das man sich kaum vorstellen möchte. Doch unser heutiger Protagonist, die Fluorantimonsäure (HSbF6​), spielt in einer völlig anderen Liga. Sie ist keine einzelne Substanz, sondern ein teuflisches Duo aus zwei Komponenten: Fluorwasserstoffsäure (HF) und Antimonpentafluorid (SbF5​). Jede für sich ist schon extrem gefährlich. Fluorwasserstoffsäure ist berüchtigt dafür, Glas zu ätzen und im Körper Kalzium aus den Knochen zu rauben. Aber erst die Kombination erschafft das wahre Monster. Das Antimonpentafluorid ist eine der stärksten bekannten Lewis-Säuren, was bedeutet, es hat eine unersättliche Gier nach Elektronenpaaren. Es reißt das Fluorid-Ion (F−) brutal von der Fluorwasserstoffsäure weg. Übrig bleibt ein fast völlig "nacktes" Proton (H+), das von allen chemischen Bindungen befreit und extrem reaktiv ist. Dieses freie Proton ist der Grund für die unfassbare Aggressivität der Fluorantimonsäure. Sie ist bis zu 10 Quadrillionen Mal (eine 10 mit 16 Nullen: 10.000.000.000.000.000) stärker als 100-prozentige Schwefelsäure. Ihre Wirkung ist keine normale "Auflösung". Sie zerstört Materie auf der fundamentalsten Ebene durch einen Prozess namens Protonierung. Sie zwingt ihre Protonen auf nahezu jedes andere Molekül, egal wie stabil es ist. Trifft sie auf Kerzenwachs (ein Kohlenwasserstoff), protoniert sie die Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen, die daraufhin zerbrechen und die gesamte Struktur zerfällt. Sie tut dies mit Kunststoffen, Holz, Stoffen und ja, auch mit Knochen. Selbst Materialien, die als extrem widerstandsfähig gelten, haben keine Chance. Glas, hauptsächlich Siliziumdioxid (SiO2​), wird mühelos zersetzt. Metalle werden sofort oxidiert und zerfressen. Und Gold, das edle Metall, das selbst Königswasser (einer Mischung aus Salz- und Salpetersäure) nur langsam auflöst? Die Fluorantimonsäure kann es unter bestimmten Bedingungen ebenfalls angreifen und auflösen, indem sie die stabilen Goldatome dazu zwingt, Elektronen abzugeben und neue, instabile Verbindungen zu bilden. Das wirft eine offensichtliche, aber überlebenswichtige Frage auf: Worin zum Teufel bewahrt man eine solche Substanz auf? Glasflaschen? Zersetzt. Metallbehälter? Aufgelöst. Man kann sie nicht einfach in ein Regal stellen. Die Lösung ist ein Material, das fast jeder zu Hause hat, aber in seiner reinsten und widerstandsfähigsten Form: PTFE (Polytetrafluorethylen), besser bekannt unter dem Markennamen Teflon. Die chemische Struktur von Teflon ist eine lange Kette von Kohlenstoffatomen, die von Fluoratomen vollständig umschlossen sind. Die Bindung zwischen Kohlenstoff und Fluor ist eine der stärksten bekannten kovalenten Bindungen in der organischen Chemie. Sie bildet einen schützenden "Panzer" um die Kohlenstoffkette, der so stabil und reaktionsträge ist, dass selbst das hyperaggressive Proton der Fluorantimonsäure keine Angriffsfläche findet. Es ist, als würde man versuchen, eine uneinnehmbare Festung mit einer Armee zu stürmen, die keine Leitern und keine Waffen hat. Die Säure prallt einfach ab. So wird die stärkste Säure der Welt von der gleichen Chemie in Schach gehalten, die auch verhindert, dass dein Spiegelei in der Pfanne anklebt.
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